Kristallisierende Wassertropfen
Teil 4/1 Luzidität und Verantwortlichkeit Werner Zurfluh |
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AI = aktive
Imagination LD = luzider Traum (LD - lucid dream, Klartraum) OOBE = ausserkörperliche Erfahrung (AKEl, out of body exxperience) BK = Ich-Bewusstseins-Kontinuität |
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2. Die Sennenpuppe (Tuntschi, Tunscheli, Toggel)
Die Sage von der Sennenpuppe ist eine eindrückliche Erzählung aus dem Alpenraum. Sie ist geradezu beispielhaft für den Einsatz der Luzidität und den Umgang mit jenseitigen, anderweltlichen Mächten. Und weil die Sage davon berichtet, wie Erwachsene (Älpler) wachbewusst mit den - psychologisch gesagt - «archetypischen Gegebenheiten des Unbewussten» (Isler 2000:62) verfahren, gibt die Sage prinzipiell Aufschluss über die Folgen einer richtigen oder falschen Einstellung des Ichs in einer AI oder den LD's und OOBE's.
2. Die Sage
Eines Tages kamen Alpknechte auf die Idee, sie sollten auch ein Weibervolk haben. Darum küferten sie aus alten Lumpen, Stroh und Holz einen grossen Toggel zusammen und legten ihm Weiberkleider an. Manchmal tauften sie ihn sogar. Und sie kochten für die Puppe die leckerhaftesten Alpspeisen, fütterten sie, haben mit ihr geschwätzt und sie auf den Armen herumgetragen. Mit dem Tunscheli trieben sie dann allerlei Gugelfuhr, nahmen es abwechslungsweise zu sich ins Bett und trieben alle Laster mit ihm.
Aber das unselige Geschöpf erwachte gegen Ende des Sommers zum Leben und fing zum Schrecken der Knechte wirklich und wahrhaftig zu essen an, wurde grösser und dicker, begann zu laufen und frass immer mehr von der besten Alpspeise - unersättlich! Der Toggel wurde immer ungemütlicher und beherrschender - und schliesslich sogar böse. Und zwar deshalb, weil niemand ihn im Herbst mit ins Tal nehmen wollte - obwohl die Puppe ach so gerne hätte mitgenommen werden wollen. Aber die Älpler schämten sich ihrer und liessen sie zurück.
Das Tunscheli aber rächte sich. Bei der Alpabfahrt wurde der Senn, der auf der Alp verantwortlich gewesen war, grausam getötet und geschunden. Der Puppendämon häutete den Älpler, spannte die Haut und nagelte sie auf dem Hüttendach fest! Zudem machte er die Alp für Jahre unbestossbar.
«Es gibt eine einzige Variante (aus Uri), in welcher zwei Brüder die lebendiggewordene Puppe mit ins Tal trugen.» Diese wurde zu Hause zu einem unsichtbaren Geist. Als die Brüder «im Frühling» wieder «in den Berg ins Gras fahren wollten, hörten sie» das Tunscheli «laut weinen. Sie dachten sogleich, das sei das Ditti, das wolle gewiss auch mit ihnen zu Berg» (Isler 2000:61) . Sie nahmen es also mit und hatten es viele Jahre bei sich, merkten seine Gegenwart - aber der Dämon liess sie in Ruhe und tat ihnen nichts zuleid.
Es gibt - so erzählt die Sage - Mächte,
die stärker sind als das Ich, auch wenn dieses meint, in den Welten der AI,
LD's und OOBE's beliebig und rücksichtslos schalten und walten zu können.
Die "moralische Botschaft" der Sage ist die: «So
geht es nicht! Wer sich derart gehen läßt wie diese Älpler, der
wird dafür grausam bestraft» (Isler
2000:55).
Ein Alphirt und Landwirt sagt: «Man sollte eben
... nicht solche Phantasien haben, sonst sind die am Ende stärker als du
selber. ... Wenn einer in der Alp die Arbeit recht machen will, ist solches
Zeugs nichts, gar nichts. Das geht nicht in der Alp, wo man so viel Arbeit hat»
( ibid. S. 59). Diese Aussage kann - wie Gotthilf Isler
dies tut - als «die psychologisch zutreffende Deutung der Sennenpuppensage»
gelten und darauf hinweisen, dass Phantasien bzw. Inhalte der unbewussten Seele
stärker werden können als das Ich (vl. ibid.)
Phantasien
wären also aufgrund ihrer unkontrollierbaren Eigendynamik eher als gefährlich
einzustufen. Aber mit einer Vermeidungsstrategie ist das Problem des Überwältigtwerdens
durch "unbewusste Seeleninhalte" kaum zu lösen - und schon gar
nicht in bezug auf die Luzidität in LD's und OOBE's. Weil Bewusstheit stets
Verantwortlichkeit bedeutet und das Handeln in Eigenverantwortung erst ermöglicht,
besteht grundsätzlich kein Grund, auf die Kontinuität des
Ich-Bewusstseins (BK) zu verzichten. Viele meinen immer noch, die Welt der Träume
sei ein "reines NATUR-Produkt" und dürfte und könnte nicht
mit einem intakten Bewusstsein betreten und erforscht werden.
Dass es
durchaus möglich wäre, die Traumwelt bewusst und ohne die
Hilfe eines etwas anrüchigen Toggels zu betreten, zeigt der LD vom 25.
August 1998, an den ich mich nur noch zum einem geringen Teil erinnern kann.
In einem Palast mit 1000 Räumen begegnet mir eine Gestalt, die ich aufgrund meiner Beobachtung als einen Prinzen einschätze. Ich sehe mich deshalb dazu veranlasst und sogar verpflichtet, ihm bei der Befreiung einer Frau zu helfen, die sich in einem der Gemächer der Gebäude befindet und von riesenhaften Muskelprotzen gefangen gehalten wird. - So schätze ich wenigstens die Lage ein.
So braue ich klammheimlich in einem abgesonderten Raum ein extrem gefährlich scheinendes Gebräu zusammen. Die chemischen Reaktionen der feinen Kristalle im Glas bringen das hinzugeschüttete Wasser zum Brodeln und lassen es schliesslich überlaufen. Um das Schlimmste zu verhindern und die Pfütze auf dem Boden zu entfernen, nehme ich einen Lappen und versuche, das Gift aufzuwischen. Andere, die diesen Raum betreten, sollen ja nicht verletzt werden.12.7.01 Diese Erfahrung ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Meinung, Träume seien reine Naturprodukte, die nicht mittels eines luziden Bewusstseins erschlossen werden können, sollen und dürfen, schlicht irreführend ist. Es macht stets einen grossen Unterschied, ob das Ich in Eigenverantwortung handelt oder nicht.
Beim Aufwischen komme ich selber mit der andauernd mengenmässig zunehmenden Flüssigkeit in Kontakt. Die Haut scheint Schaden zu nehmen. Dies könnte schlimme Ausmasse annehmen - also schnell zum Spültrog unters Wasser. Dabei betrachte und untersuche ich Hände und Finger - und zu meiner Beruhigung sind alle Finger da. Es gibt einen speziellen Grund dafür, dass ich ganz genau hinsehe. Ich erinnere mich nämlich, dass ein E-Mail-Schreiber mir berichtet hat, er habe nicht mehr alle Finger gehabt, als er in einem LD nach seinen Händen geschaut habe. Dieser Mann war fatalerweise stets darauf erpicht, alles in den LD's zu kontrollieren. Und immer wieder hatte ich ihn darauf hingewiesen, auf eine Kontrolle zu verzichten und sich um Zurückhaltung zu bemühen bzw. um eine religiöse (rückbezügliche) Haltung.
Beim Waschen der Hände wird bloss eine goldgelbe Hautschicht runtergespült. Glück gehabt! Ich muss nichts weiteres unternehmen und drastischere "Heilmethoden" anwenden!
Draussen setze ich mit Hilfe des Giftes die Wächter ausser Gefecht. Sie scheinen tot umzufallen. - Nach einer längeren und sehr komplexen Sequenz mit dem `Prinzen' werde ich sozusagen ungehorsam'. Ich weigere mich nämlich, dem Manne jenen Schlüssel zurückzugeben, den er mir zur Verwahrung überlassen hatte. Dieses Aufbegehren führt dazu, dass der 'Prinz' sich mir als Djinn zu erkennen gibt.
Es ist ein freundlicher Djinn! Er gibt mir einen merkwürdigen, dreieckigen Gegenstand von etwa zehn Zentimetern Kantenlänge. Diesen hat er aus seiner weiten Hosentasche gezogen. Da ich nicht weiss, wozu das Ding dienen soll, frage ich nach dessen Funktion.
Der Djinn sagt nur: «Blas es auf! - Und bring die Frau von hier weg!»
Also halte ich das Dreieck an meinen Mund und puste kräftig. Bei dritten oder vierten Mal entfaltet es sich zu einem - ich muss zweimal hinsehen - Teppich! Das filigrane Gebilde schwebt einfach so in der Luft und hat eine Grösse von etwa vier mal fünf Metern.
«Nun denn! - So sieht das mit dem Teppich aus, der aus der Hosentasche gezaubert wird!» stelle ich amüsiert fest - im Gedanken daran, dass mir kürzlich jemand in einer E-Mail geschrieben hat, er würde allerlei Gegenstände im LD aus seiner Hosentasche zaubern, u.a. auch fliegende Teppiche. Er halte in einem LD mittels Zauberkunststücken alles unter Kontrolle! - Mich wundert bloss, weshalb der Kerl immer alles kontrollieren muss. Ein fliegender Teppich kann einem ja auch geschenkt werden! Ein andauernd kontrollierendes Eingreifen bringt doch jede Art von Kommunikation zum Versiegen. Und es macht taub und blind für die Anliegen der "anderen Seite". Das Ego ist zu laut, um das zu hören, was beispielsweise von einem Djinn gesagt wird. Und der hat mir die Aufgabe übertragen, mit dem Teppich die Frau aus dem Palast rauszubringen.
Jetzt rappeln sich die Wächter wieder auf - aber sie sind nun "transformiert" und haben ihre brutalen und aggressiven Verhaltensweisen abgelegt.
Dem Geschilderten ist zu entnehmen, dass ich das
Geschehen sehr wohl zu kontrollieren suche. Dies geschieht zwar in erster Linie
durch die genaue Beobachtung, aber dennoch kommt es zu massiven Fehleinschätzungen.
Dies dürfte darin begründet sein, dass es sich nicht um ein statisches
Ereignis mit feststehenden Landschaften und Gebäuden, sondern um Personen
mit eigener Dynamik handelt. Typischerweise - und deswegen "kontrollhemmend"
- war der Palast unglaublich reich ausgestattet. Die Vielfalt war derart, dass
es mir kaum möglich gewesen wäre, noch etwas "beizusteuern"
und umzumodeln. Hätte ich alles in Flammen aufgehen lassen sollen? Eine
Explosion erzeugen? Ehrlich gesagt, auf diese Idee kam ich nicht. Vielmehr war
die Dynamik aufgrund all der beteiligten Wesen derart stark, dass ich vollauf
genug damit zu tun hatte, einigermassen die "Übersicht" zu
behalten und situationsadäquat zu handeln.
Wenn das Ich meint,
alles "kontrollieren" zu können, werden sogar harmlos scheinende "Sennenpuppen"
bald einmal zu sehr gefährlichen Dämonen! Der Kontrollwahn ist wohl
das grösste Hindernis in bezug auf die Auseinandersetzung mit den Welten
des Traumes und der Phantasie. Das eigentliche Problem ist aber nicht die
beeinflussende Kontrolle als solche, denn diese kann durchaus sinnvoll und
notwendig sein (tagsüber z.B. in der Landwirtschaft und bei
Naturkatastrophen).
So erlaubte ich mir 1975 während etwa zwei Wochen nach jeweils fünfzehn Stunden (täglich) Übersetzungsarbeit (Patricia Garfield «Creativ Dreaming») die LD's zu kontrollieren. Diese waren stets durchgehend und dauerten etwa sechs bis sieben Stunden!
Es war des Nachts immer nur ein einziger und sehr langandauernder und sehr erholsamer LD. Dabei ging es durch wunderhübsche Landschaften. Die Sight-Seeing-Tours waren allerdings völlig harmlos. Es gab überhaupt keinen Grund, die Szenerie zu ändern oder etwa Blitze und Donnergrollen zu erzeugen. Die zu sehenden Landschaftsbilder waren total abwechslungsreich und fantastisch schön und überaus beruhigend. Ich war sogar zu faul (sic!), mich fliegend fortzubewegen und delegierte (!) die Fortbewegung einem kleinen, luxuriösen Eisenbahnzüglein, räkelte mich - zum offenen Fenster hinausschauend - wohlig im Polster und "tankte" wieder auf, um am nächsten Morgen weiter übersetzen zu können.
Neben der eher "kontrollierenden"
Einstellung in einem LD und der beinahe ausschliesslich "beobachtenden"
Haltung (die den "witnessing LD" charakterisiert) gibt es noch den
LD, in dem sich das Ich "situationsadäquat" verhält. Bei
genauerem Hinsehen muss nämlich festgestellt werden, dass Kontrolle und
Witnessing so etwas wie zwei Extreme sind. Ersteres ist eher aktiv
(kontrollierend), letzteres eher passiv (beobachtend). - Bei mir in den LD's
oder OOBE's ist es weder ausschliesslich das eine (Kontrolle) noch das andere
(witnessing), sondern ein Drittes, nämlich ein situationsadäquates
Handeln bzw. Eingreifen in das Geschehen. Ich bin also sowohl Beobachtender wie
auch Handelnder. Was es konkret ist, hängt von der jeweiligen Situation ab.
Dies ist natürlich immer eine Frage der Einschätzung - und es
geschieht in eigener Verantwortung.
Aus dem weiteren Verlauf des
Geschehens kann immer sofort anhand des Feeback bzw. der Reaktion erkannt
werden, ob die eigene Passivität oder Aktivität der Situation
entspricht (ihr adäquat ist) oder nicht. Die "Zerlegung" meiner
Verhaltensweisen gegenüber dem Prinzen und dem Djinn im LD vom 25. August
1998 zeigt das deutlich.
Wenn jedoch aus Übermut oder aus
Langeweile, aus Naivität und kritiklosem Gwunder' "jenseitige Mächte"
wie im Fall der "Sennenpuppe" oder im Fall "neugierig
erschlossener LD's" manipuliert und sogar ausgetrickst werden, können
diese sich rächen. Dazu kommt es im oben erzählten LD nicht, weil das
Ich sich einigermassen situationsadäquat verhält. Sogar die Wächter
legen ihre brutalen und aggressiven Verhaltensweisen ab.
Psychologisch geht es zwar darum, dass das Ich sich «der eigenen
unbewussten Seele ... mit Demut in religiösem Sinn» (Isler 2000:61) annimmt, aber es muss auch etwas tun
und gewisse Aufgaben übernehmen - und vor allem seine Kritikfähigkeit
behalten!
Die beiden Brüder in der Sagenvariante (aus Uri) «waren
zuerst auch Frevler, haben sich dann aber besonnen und die schwere Aufgabe
buchstäblich - indem sie die Puppe ins Tal trugen - auf sich
genommen'» (ibid.). Die Burschen machten wieder
gut, was die Frevler falsch gemacht hatten. Brav' waren sie nicht im schwächlichen
Sinn, sondern tapfer, weil sie es aushielten, den unheimlichen Geistergehilfen
neben sich zu ertragen und mit ihm zusammenzuarbeiten. «Die Frevler waren übermütig,
verschwenderisch, begehrlich - sie fielen dem Dämon zum Opfer»
(ibid.). Die beiden Brüder dagegen verkörpern «offensichtlich
die richtige Geisteshaltung dem Jenseitigen gegenüber. In psychologischem
Verständnis» symbolisieren sie «die richtige Bewusstseinshaltung
dem Unbewussten gegenüber.» Ihnen «wurde der Geisterknecht denn
auch zur täglichen Hilfe» (ibid.).
Oft
handelt es sich bei solchen sogenannten "armen Seelen", die das Ich
bedrängen, um personifizierte Aspekte der eigenen leidenden und verworfenen
Persönlichkeit. Diese müssen dann für irgend welche Missetaten büssen
und führen ein geisterhaftes Schattendasein. «C.G. JUNG nannte diesen
Aspekt den Schatten: er ist all das in uns, was wir eigentlich nicht
sein wollen, was aber zum Menschsein gehört. Laut dem Zeugnis der Sagen
sollen wir ... diesen inneren Bruder' geduldig annehmen»
(ibid. S.62-63). Dies ist aber nur eine eher "naiv"
zu nennende Auffassung, die bloss den individuellen Schatten in Rechnung
zieht. Bei den "armen Seelen" kann es sich aber auch um "Verkörperungen"
schwerwiegendster und dunkelster Aspekte des Kollektivs handeln. Und diese gehören
dann zur "dunklen Seite Gottes"!
In den "armen Seelen"
verkörpern sich auch "Ahnengeister". Dabei handelt es sich nicht
nur um eher neurotische Komponenten innerhalb der engeren und weiteren Familie,
sondern auch um solche Fähigkeiten wie beispielsweise intuitiver Hellsicht,
Mitgefühl und Heilkraft. Es ist deshalb von höchster Wichtigkeit, mit
den verstorbenen Ahnen gut zu stehen bzw. um deren Besonderheiten zu wissen,
denn auf diese Weise bleibt das Ich in gutem Einvernehmen «mit diesem
Ewigen in uns, dem kollektiven Unbewussten» (ibid. S. 63).
Denn dieses "Ewige" nährt und untermauert das Gegenwärtige
in einem nicht zu unterschätzenden Ausmass und bedarf deshalb des vollen
Einsatzes. Es lässt sich also nicht spielerisch so nebenher mit Geringfügigkeiten
und Unverbindlichkeiten abspeisen.
(CR Das Problem bei einer psychologischen Betrachtungsweise scheint darin zu bestehen, dass dabei jeder mögliche Objektanteil quasi eliminiert wird. Das persönliche wie das kollektive Unbewusste werden zu abstrakten Grössen und haben kaum mehr etwas mit dem konkreten Urgrossvater oder der leiblichen Mutter zu tun - oder mit all den durch irgend welche Verwandten verkörperten ungelösten Probleme privater und kollektiver Natur. Aber tatsächlich verkörpert eine reale Person, deren Abbild in einem Traum erscheint, AUCH einen konkret existierenden oder einen verstorbener Menschen. Und in einer solchen Gestalt ist immer ganz konkret ein Gesamtpaket an familiären "Schattenaspekten" enthalten. Diese sind oft ungelöst und sollten transformiert werden. Familienmitglieder übergeben nämlich ihre Probleme stets der Jetztzeit. Dazu gehören z.B. auch das Hellsehen oder ein magisches Weltbild.
Psychologen ordnen einfach alles dem Kontext jener Person zu, die geträumt hat, fassen es primär subjektstufig auf und erklären das ihnen passend scheinende systemkonform. Der Rest wird völlig vernachlässigt, nicht theoretisiert oder schlicht nicht zur Kenntnis genommen. So wird z.B. das Hellsehen oder die Verbundenheit mit einem magischen Weltbild vor allem einmal "pathologisiert" und "neurotisiert". Dabei wird nicht gesehen, dass es eben gerade die Psychologie versäumt hat, ein anderes Weltbild als gleichwertig zu akzeptieren oder als andersgeartete Sicht der Dinge wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Die andere Auffassung wird als primitive Vorstufe betrachtet, die nicht auf der "Höhe der Zeit" ist. Die Psychologie ist es aber auch nicht! Sie hat bloss eine Machtstellung errungen, die sie mit allen Mitteln zu erhalten sucht.
Auch wenn andere Weltbilder - wie etwa das magische - fragwürdig scheinen, so funktionieren sie oft problemlos. Probleme damit hat nur die "moderne" Psychologie, der es nicht gelingt, das Modell in die Jetztzeit zu integrieren und metatheoretisch zu erfassen. Etwas begreifen ist das eine, es als überholte Vorstufe abzutun etwas anderes. Dass sich ein Konzept wie das von C.G. Jung nicht weiterentwickelt, kann ihm nicht angelastet werden. Vielmehr dürfte es eine Frage der Institutionalisierung sein, ob Ideen in ein geradezu sakrosanktes Lehrgebäude quasi eingemauert und nach aussen hin rigoros abgeschottet werden. Dies verunmöglicht eine lebendige Wechselwirkung und erzwingt beispielsweise den Ausschluss der LD's und OOBE's. Derartige Erfahrungsbereiche werden dann als Schattenaspekte oder als "Schizophreniephasen" bezeichnet.
Vieles bleibt ungelöst auf diesem Erdenplan zurücklassen, nicht weil es jemandem nicht bewusst ist, sondern weil schlicht die Zeit dafür fehlt, dem allem nachzugehen. Auch der Zeitgeist (Aion) und manch anderes spielt da eine erhebliche Rolle. Mir ist das psychologische Weltbild zu wenig offen und nicht dynamisch genug. Es gibt nicht unbedingt immer etwas zu therapieren, sondern oft ist etwas zu verstehen und zu vermitteln. So nehmen z.B. Millionen von Menschen den Ahnenkult noch ernst - arme Seelen scheint es nur im Christentum zu geben.)
(RFR: Der Wissenschaftlichkeitsbegriff der institutionalisierten Jungianer scheint mir eher den Kriterien der Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts zu entsprechen. Möglicherweise genügt dies für die Krankenkassentauglichkeit, aber er entspricht wohl kaum den Auffassungen C.G. Jungs. Nimmt man das empirische (!) Konzept des kollektiven Unbewussten ernst, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass dessen tiefste Schichten relativ bis absolut raum- und zeitlos sind. Dies zeigen u.a. die telepathischen und die sogenannten synchronistischen Phänomene ganz eindeutig. Schon im Jahr 1934 - somit also vor bald 70 Jahren - hat C.G. Jung sich in seinem Artikel Seele und Tod (GW 8, § 796ff) mit dieser theoretischen Frage beschäftigt. Er schloss schon damals, dass «die Raumzeitbeschränkung eine aufhebbare Bestimmung ist» und dass die Psyche «die Schranke der Raumzeitlichkeit auch durchbrechen [könnte], und zwar notwendigerweise vermöge einer ihr wesentlichen Eigenschaft relativer Raum- und Zeitlosigkeit». Diese Relativierung bis Aufhebung der Raumzeitbeschränkung führte er zudem darauf zurück, dass es empirische (!) Hinweise gibt, dass wir die Vorstellung einer Gehirnverhaftung der Psyche aufgeben müssen. Diese betreffen sogenannte Synkopen bei akuten Gehirnverletzungen, in denen das Bewusstsein nicht ausgeschaltet wird, aber auch Ohnmachtszustände wie während einer Nahtoderfahrung (near death experience; NDE) (GW 8, § 939ff.). Jung schliesst daher (GW 8, § 938):"Synchronizität ... schreibt dem bewegten Körper eine gewisse psychoide Eigenschaft zu, welche, wie Raum, Zeit und Kausalität, ein Kriterium seines Verhaltens bedeutet. Wir müssen dabei auf die Vorstellung einer mit einem lebenden Gehirn verbundenen Psyche völlig verzichten und uns vielmehr des 'sinngemässen' bzw. 'intelligenten' Verhaltens der niederen Lebewesen, die kein Gehirn besitzen, erinnern. Wir befinden uns dort schon in grösserer Nähe des formalen Faktors, der, wie gesagt, mit einer Gehirntätigkeit nichts zu tun hat. Man müsste sich hier, wie es scheint, die Frage vorlegen, ob nicht das Verhältnis der Seele zum Leib unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten, bzw. ob nicht die Koordination der psychischen und der physischen Vorgänge im Lebewesen als ein synchronistisches Phänomen statt einer kausalen Relation zu verstehen wäre."
An anderer Stelle verbindet er die objektive Psyche, das heisst, das kollektive Unbewusste, mit dem vegetativen Nervensystem (GW 14/I, § 272):
"So gut nämlich der Mensch einen Körper hat, der sich im Prinzip nicht vom Tierleib unterscheidet, so hat auch seine Psychologie gewissermassen untere Stockwerke, in denen noch die Geister vergangener Menschheitsepochen hausen, sowie die Tierseelen aus der Zeit des Anthropopithecus, ferner die 'Psyche' des kaltblütigen Sauriers und zu allertiefst die transzendente Unbegreiflichkeit und Paradoxie der sympathischen und parasympathischen psychoiden Vorgänge."
Meine Erfahrung, vor allem auch mit "schizophrenen" Patienten, hat mir gezeigt, dass diese Vermutungen Jungs empirisch bestätigt werden können, das heisst, dass tatsächlich eine synchronistische (!) Beziehung zwischen den vegetativen Zentren im Bauch (vgl. Archetypische Psychosomatik ) und diesem raumzeitlosen Bereich, den wir seit je eher als "Jenseits" oder "Ewigkeit" bezeichnen, nachgewiesen werden kann.
Auch Marie-Louise von Franz, mit der ich mich mehrere Male über diese Thematik unterhalten habe, war der Ansicht, dass wir mit einer rein subjektstufigen Zuordnung der Äusserungen Verstorbener äusserst vorsichtig sein müssen. Wir wissen nie, ob es sich dabei nicht doch um objektstufige Phänomene handelt, das heisst, nicht um eigene unbewusste Komplexe, sondern um objektive Tatbestände, die wir, ob wir wollen oder nicht, den Verstorbenen im Jenseits zuordnen müssen. In meinem Beitrag Leben nach dem Tod beschreibe ich einige Träume von Klienten, die sich mit dieser Thematik der Beziehung zu den Verstorbenen auseinandersetzen.
Aber auch eine Beziehung des kollektiven Unbewussten zum Karma haben C.G. Jung und Marie-Louise von Franz befürwortet. Sie zitiert beispielsweise Jung im zustimmenden Sinn mit folgender Briefstelle: «Unser Leben ist nicht von uns allein gemacht. Zum grössten Teil entstand es aus verborgenen Quellen. Sogar Komplexe [RFR: wie z.B. der Schatten] können ein Jahrhundert oder länger vor der Geburt ihren Anfang nehmen. Es gibt so etwas wie Karma» (M.-L. v. Franz, Traum und Tod, S. 155f bzw. Jung, Briefe II, S. 47).
Eine bewusste Beziehung zu diesem "Jenseitsreich" scheint nur über die Welt des subtle body (Link 1, Link 2) möglich, die ihrerseits mit Hilfe des von mir vorgeschlagenen Eros-Bewusstseins zugänglich wird. Überhaupt scheint mir, dass wir am Beginn des 3. Jahrtausends vor der Aufgabe stehen, diesen Hauchkörper für das Leben nach dem Tod im Jenseits im Laufe des diesseitigen Lebens aufzubauen. Es ist das "Stirb, bevor du stirbst!" der Sufis, das wir noch erfüllen müssen.
Eines der wichtigsten Traum- und Visualisierungs-Symbole für dieses jenseitige Leben ist, wie Marie-Louise von Franz in ihrem Buch Traum und Tod gezeigt hat, der Stein, der lapis als das Ziel des alchemistischen Werks (opus). Er wird in meiner Deutung des alchemistischen Prozesses auf der Ebene der psychophysischen Einheitswelt (Wolfgang Pauli) aus der Triebhaftigkeit des eigenen Körpers (= prima materia) erlöst, indem dieser stillgelegt wird, um derart mit Hilfe des Eros-Bewusstseins Bilder oder Bildfolgen zu befreien, die einerseits im Krankheitsfall ordnend, aufbauend und heilend wirken, andererseits den subtle body, den Hauchkörper für ein individuelles Leben nach dem Tod aufbauen. Eben diesen Doppelprozess hat schon Paracelsus mit dem Begriff vita longa intuitiv erahnt, und sein Schüler und Nachfolger Gerardus Dorneus (Gerhard Dorn) hat ihn mit dem Symbol der Extraktion der roten Tinktur aus dem lapis genauer umschrieben (vgl. dazu Jung, GW 14/I, § 250ff., § 289ff.; vgl. auch radbild2 , Kap. 6).
Wer sich dieser Aufgabe stellt, wird mit der Zeit sehen, dass diese letztlich das allein Entscheidende ist. Wir wachsen derart in eine moderne, von allen religiösen Bekenntnissen unabhängige Mystik hinein, deren zentrales Wesen C.G. Jung in seiner Autobiographie folgendermassen beschrieben hat (Jung, ETB, S. 327f.):«Die entscheidende Frage für den Mensch ist: Bist du auf Unendliches bezogen oder nicht? ... Wenn man versteht und fühlt, dass man schon in diesem Leben an das Grenzenlose angeschlossen ist, ändern sich Wünsche und Einstellung. Letzten Endes gilt man nur wegen des Wesentlichen, und wenn man das nicht hat, ist das Leben vertan...»
In diesem Sinne hoffe ich mit C.G. Jung und Marie-Louise von Franz, dass möglichst viele Menschen ihrem Leben einen neuen Sinn geben wollen und daher das rational eingeschränkte, sogenannte wissenschaftliche Weltbild der modernen Tiefenpsychologen verlassen, um derart in eine erweiterte, spirituelle Psychologie und Psychosomatik hineinzuwachsen, deren Kriterium der Echtheit nicht in scholastischen Pseudobeweisen sondern darin besteht, dass die "Wirklichkeit der Seele" (C.G. Jung) vorerst einmal vorurteilslos erlebt und erst dann - wenn überhaupt - intellektuell gedeutet wird.)
2.2. Die Totenstarre
Der erste Schritt bei einer
AI besteht - gemäss Barbara Hannah - darin, ein Traumgeschehen bereits im
Wachzustand wahrzunehmen (vgl. Hannah
1967:10).. Da sie der Meinung ist, Wachheit liesse sich nicht
unabhängig vom Wachzustand des physischen Körpers realisieren, übersieht
sie - wie sozusagen alle Jungianer - die mit der BK gegebenen Möglichkeit
des Luzidwerdens im Traum und den bewussten "Austritt" des "Zweitkörpers".
- Aber auch bei LD's und OOBE's ginge es ja darum, die BK bzw. die Wachheit zu
erlangen und beizubehalten.
Bei der Ablösung des "subtle body"
vom physischen Körper treten manchmal grosse Schwierigkeiten auf. Aber auch
bei der Rückkehr kann es - wenn auch seltener - zu einer totalen "Versteifung"
des physischen Körpers kommen. Es ist, als wäre «der räumlich
codierte Teil unseres Selbstmodells, unseres Erlebniszentrums»
(Metzinger
1999:179) ausgehöhlt worden, als würde der Körper
nur noch eine leere Hülle sein. - Hier handelt es sich insofern um einen
Verlust der subjektiven Geschichte eines Menschen, als das System die
gespeicherten Selbstmodelle nicht mehr aktivieren und in sein aktuelles
Selbstmodell einzubinden vermag (vgl. ibid.). Das Ich
kann sich sozusagen als "körperliches Subjekt" auf der physischen
Ebene nicht mehr erleben.
Der physische Körper ist im wahrsten
Sinne des Wortes zu Stein geworden! Dieser "Steinkörper"
(lapis als 'prima materia') erweist sich als total bewegungsunfähig. Und er
verbleibt trotz aller Bemühungen in seiner kataleptischen Starre und
scheint deshalb definitiv gestorben zu sein. Tot! Es wird allerdings kaum etwas
nutzen, diesen Zustand als "dissoziative Bewegungsstörung" zu
bezeichnen und ausserdem daran zu denken, dass der eigene physische Körper
nun leblos wie ein hölzernes Tuntschi ist und bewegungsunfähig wie
eine Statue oder ein Lehmklumpen! Oder könnte dieser Gedanke wie der an
eine Inkarnation vielleicht doch hilfreich sein und verhindern, dass das Ich in
Panik gerät?
Zum einen führt ein rationalistisch-intellektualistischer Standpunkt zu einer "Versteinerung" der Anima, denn das Seelische wird starr-puppenhaft und leblos. Aber um diese Art der Starre geht es bei OOBE's nicht, denn die Blockierung betrifft ganz konkret den physischen Körper.
So erzählte mir eine junge Frau, sie sei etwa mit zwanzig Jahren stets beim Einschlafen in dem Moment in totale Panik geraten, wenn ihr Körper wieder zu kribbeln anfing. Denn jedesmal wurde dieser bei diesem merkwürdigen "Gesumm" immer steifer und steifer - und zwar bis zur vollständigen Erstarrung! Und dann sei es ihr längere Zeit trotz aller Bemühungen unmöglich gewesen, auch nur ein Glied zu bewegen. Aber jetzt - nachdem sie um die kataleptische Starre wisse - sei sie endlich fähig gewesen, der Sache ihren Lauf zu lassen und ruhig zu bleiben. Und tatsächlich geriet sie nicht in Angstzustände, sondern sie löste sich mit dem subtle body' vom im Bett liegenden Körper ab. Bei vollem Bewusstsein (!) sei sie in einem Gang unter der Decke geschwebt. ...
Als sie ihr Kind weinen hörte, wollte sie wieder in den im Bett liegenden Körper zurück, tastete sich an der Bettdecke hinauf, berührte auch ihren physischen Körper und versuchte, sich in diesen hineinzulegen. Aber der Zweitkörper kam schräg auf den physischen Körper zu liegen und war nicht korrekt "eingeschnappt"! Und wieder kam Panik auf - aber wieder erinnerte sie sich an das Gelesene in bezug auf die "astrale Starre"! Also liess sie der Sache ihren Lauf und verlor dabei leicht und schliesslich ganz das Bewusstsein. Und dann erwachte sie im physischen Körper, stand auf und ging zum weinenden Kind. - «Wenn ich schon früher um diese Totenstarre gewusst hätte, wären niemals solche Ängste aufgekommen!»
Zu einer Wiederbelebung kommt es, wenn es
gelingt, das bewusste Ich mit der materiellen Substanz zu verbinden und den "Zweitkörper"
sozusagen deckungsgleich mit dem physischen Körper werden zu lassen und ihn
mit ihm in Einklang zu bringen. Dies ist leichter gesagt als getan, denn dies
geschieht nicht willentlich. Auch das Aufstehen oder Gehen kann nicht gelingen,
wenn das Ich bewusst versucht, einzelne Muskelgruppen zu kontrollieren und zu
koordinieren.
Und doch ist eine Belebung möglich, egal ob es sich
um den im Bett liegenden Körper oder eben um ein Tuntschi handelt. Diese
Belebung geschieht jedoch indirekt und erfordert ein "Leerwerden"
und "Loslassen".
2.3. Das "Leerwerden"
Im Anfangsstadium einer
AI, d.h. bei den ersten Versuchen, «können viele nicht gleichzeitig
imaginieren und aufschreiben. In diesem Fall empfiehlt es sich, nur zu
imaginieren und das Erlebte hinterher zu notieren» (von Franz 2001:42). Bei den LD's/OOBE's kann das Erlebte
wegen des schlafenden physischen Körpers erst hinterher protokolliert
werden. Es ist zwar möglich, während einer LD-Phase im Schlaflabor -
wie Paul Tholey und Stephen LaBerge gezeigt haben - mittels Augenbewegungen auf
bestimmte Fragen zumindest mit einem "Ja" oder "Nein" zu
antworten - aber notwendig ist es natürlich nicht. - Und Schamanen
beschreiben den bei der "Trance-Sitzung" Anwesenden manchmal ihre
Reise fortlaufend. Es wird sogar gesagt, dass in früheren Zeiten alle bei
einer Sitzung Anwesenden den Schamanen auf seiner Jenseitsreise haben sehen können.
So
besteht der erste Schritt bei AI's/LD's/OOBE's stets «in etwas, das auch
die östlichen Meditationswege kennen: nämlich dass man sein
Bewusstsein leer' macht und das rastlose innere diskursive Denken und
Vorstellen abstellt, um sich objektiv hörend und schauend' der Tiefe
zuzuwenden» (ibid. S. 40).
Dieser Schritt ist ausführlich im Kapitel "Die Trance-Methode" in Astralprojektion 5 beschrieben - wie auch das Auftauchen innerer (hypnagogischer) Bilder und kinästhetischer Empfindungen.
Die Bilder und die Empfindungen können überaus
stark von eigenen (Phantasie-) Vorstellungen geprägt sein. Und zwar derart
stark, dass alles andere daneben sich in ein Nichts auflöst. In diesem Fall
kommt es wie bei der "Sennenpuppe" zu einer totalen "Eingleisigkeit".
Das Ich identifiziert sich mit einem ganz bestimmten Inhalt, z.B. mit
dem Tuntschi oder dem starren physischen Körper. Und es zwingt diesen
Dingen seine eigenen Vorstellungen auf. Dies ist - vor allem bei einer
Intellektualisierung - deswegen gefährlich, weil die Gleichsetzung von Ich
und Inhalt dazu führt, dass der Inhalt - statt lebendig zu werden und ein
Eigenleben zu bekommen - zusätzlich blockiert wird und dann völlig
erstarrt, so dass überhaupt kein Zugang mehr besteht.
Das sich ständig z.B. mit dem Inhalt "Tuntschi"
definierende Ich-Bewusstsein bleibt «in seine falschen Gedanken
hoffnungslos verstrickt» und hält «es für sehr schwierig,
seinen Geist von falschen Anschauungen zu befreien, um die ihm innewohnende
Weisheit zu entschleiern ... In seinem Wesen sind wohl latente Möglichkeiten
angelegt, die sich jedoch auch bei ständiger und eindringlicher Belehrung
nicht entfalten können, weil es sich hartnäckig an leere Namen und an
die der menschlichen Sprache eigenen Begriffe klammert» (Lu K'uan Yü 1967:49)..
Das 'alte Ich' hält
somit an seiner gewohnten (rational-positivistischen) Weltanschauung fest,
verbleibt innerhalb des .vorgegebenen theoretischen und paradigmatischen Rahmens
und zieht es notfalls vor, panikartig zu reagieren statt selbst das Wagnis
einzugehen, den sanften Weg des Wissens und der Erfahrung zu beschreiten. Der
physische Körper bleibt starr und die Sennenpuppe ist immer nur ein Stück
Holz. LD's und OOBE's werden als "esoterischer Kram" und "schizophrene
Phasen" bezeichnet, Tuntschis als "folkloristische Älpleridole"
und Sagen gelten als "Phantastereien".
Die Möglichkeit
der Eigenerfahrung (die 'innere Möglichkeit') lässt sich durch die in
der Sennenpuppensage beschriebenen Handlungen oder durch die chinesische Ch'an
Technik wecken und verlebendigen. Bei der Ch'an Technik wird zuerst einmal «dem
immerwährenden Strom der Gedanken, der seit anfangslosen Zeiten unsern
Geist aufrührt» (ibid. S.52) Einhalt geboten. "Die
Welt muss angehalten werden" - so sagte auch der Yaqui-Indianer Don Juan,
und - wieder auf der anderen Seite der Ozeane im Surangama-Sutra heisst es: «Allein
durch Geist-Kontrolle werden uns alle Dinge möglich» (ibid.).
Und Geistkontrolle ist Bewusstseinskontrolle! Die Älpler tun auf ihre Art
dasselbe, denn sie beschäftigen sich beinahe ausschliesslich mit dem
Tuntschi, liebkosen und streicheln es, tragen es mit sich herum, geben dem
Toggel zu essen und nehmen die Puppe zu sich ins Bett.
Prinzipiell geht
es darum, zuerst den schweifenden Geist zu zügeln und von allen Gedanken zu
reinigen, bevor mit der 'Selbstgestaltung' begonnen werden kann. Das ist
ungemein schwierig, weshalb die alten Chinesen die Technik des hua-t'ou
empfehlen - die Älpler die Herstellung des Tuntschi. Hierbei handelt es
sich um eine Art Gegengift, das den Strom der Gedanken versiegen lässt,
weil nur noch eine einzige Vorstellung zugelassen wird, «die zwar im Grunde
auch falsch ist, die aber, wenn sie nicht mehr benötigt wird, verschwindet
und dadurch jene Einsgerichtetheit des Geistes ermöglicht, die eine
Vorbedingung der Verwirklichung des wahren Selbst-Geistes» (ibid.
S. 53-54) darstellt. Nun, so "weit", dass mit der
Puppenherstellung die Verwirklichung des wahren Selbst-Geistes angestrebt würde,
geht die Sennenpuppensage nicht, denn die Älpler interessieren sich weniger
um Meditationstechniken und "Geisterschliessung". Diese Dinge sind an
die Geistlichkeit delegiert worden und bleiben dem sonntäglichen Kirchgang
vorbehalten.
Die Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen
Ich-Bewusstseins beim Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen und Schlafen ist natürlich
schwierig. Die Haltung und damit der Zustand des Körpers spielen zwar keine
Rolle, doch ist «das Sitzen mit gekreuzten Beinen die beste Methode für
den Anfänger, Körper und Geist zu überwachen und zu zügeln.
Weiss man jedoch, wie diese Kontrolle im Meditationssitz erfolgreich ausgeübt
wird, so sollte man sie dann auch beim Gehen, Stehen und Liegen, ja sogar bei
der gewohnten täglichen Arbeit mit Erfolg ausüben»
(ibid. S. 55). 'Ergänzend' wäre anzuführen,
dass von dieser Kontrolle selbst der nächtliche Schlaf (das Liegen) nicht
ausgeschlossen ist.
Die Bewusstseinskontrolle ist niemals automatisch,
sondern muss wiederum kontrolliert werden durch ein beständiges leichtes
Gefühl des Zweifels (I Ch'ing). «Wenn wir also den inneren Blick zum
hua-t'ou lenken, sollten wir den Geist nirgendwo Fuss fassen lassen, sondern ihn
veranlassen, sich ohne Nachdruck einzig auf das I Ch'ing, nachdem dies entfaltet
wurde, zu konzentrieren» (ibid. S. 56). Die Einübung
des hua-t'ou und damit der Gewinn eines Ich-Bewusstseins, das sich ständig
durch ein leichtes Zweifeln kontinuierlich hält, erfordert wesentlich mehr
Geduld, Disziplin und Ausdauer als jede Technik, die direkt zur "Ausserkörperlichkeit"
zu führen verspricht und das Ich-Bewusstsein ungeschult lässt, weshalb
die Bewusstheit höchst anfällig bleibt und schnell verloren geht.
.Wer bloss neue Sensationen erleben will oder meint, die ausserkörperliche
Erfahrung sei eine Angelegenheit, die sich so nebenher wie eine nette
Freizeitbeschäftigung erledigen liesse, der wird rasch in eine der unzähligen
Fallen geraten, in die der Leichtsinnige und Ungeduldige in seiner
Kritiklosigkeit und Naivität blind hineinrennt. Die Sennenpuppensage weiss
davon zu erzählen. Der Bewusstseinsfunken des einzelnen Menschen ist ein
sehr subtiles Lichtlein, das leicht getrübt wird und gar erlischt.
Soviel
zur "Bewusstseinskontrolle und Selbstgestaltung nach der chinesischen Ch'an
(Zen) Schule), Hua t'ou und I Ch'ing". Immerhin zeigt es sich, dass der
Tuntschi-Herstellung ziemlich "chinesisch" bzw. "zenig"
anmutet, wenn daran gedacht wird, dass es um die Ausrichtung des Geistes geht.
RFR: Mit grosser Freude sehe ich, dass Werner Zurfluh hier einen Prozess beschreibt, den ich ohne Kenntnis seiner Forschungen und der betreffenden Literatur im Laufe der letzten 25 Jahre - allerdings aus der Sicht des Fühl- und intuitiven Typus gemäss C.G. Jung (GW 6) - ebenfalls entdeckt habe. Die relativ gleichzeitige, jedoch voneinander unabhängige Entwicklung dieser Vorstellungen zeigt mir, dass sich unsere auf empirischen Erfahrungen am eigenen Körper beruhenden Ideen im Sinne einer historischen Synchronizität entwickelt haben. Es lässt sich nämlich zeigen, dass auch in der Naturwissenschaft wesentliche Entdeckungen in solchen Parallelprozessen geschehen sind, beispielsweise die gleichzeitige, jedoch voneinander unabhängige Postulierung des sogenannten Quark-Modells durch Murray Gell-Mann und Stefan Zweig in der Elementarteilchen-Physik im Jahr 1964.
In meiner Terminologie, die sich wesentlich auf die von den mittelalterlichen Alchemisten beschriebenen Prozesse abstützt, bedeutet das "Leerwerden" den Übergang vom Logos-Bewusstsein mit seinem "rastlosen inneren diskursiven Denken und Vorstellen" zu dem von mir postulierten Eros-Bewusstsein. Dieses letztere entspricht der Bewusstseinshaltung der Alchemisten. Es bedeutet eine Einstellung, in der bei der Erforschung der Aussenwelt beziehungsweise des eigenen Körpers die Innenwelt mit einbezogen wird.
Um diesen Übergang zu bewerkstelligen, sind spezifische imaginative Übungen nötig, die uns wieder mit dem von Michael Gershon vor 20 Jahren entdeckten Bauchhirn verbinden. So weit ich dies verstehe, entspricht dieser Prozess dem von Werner Zurfluh postulierten der Erhaltung der Bewusstseins-Kontinuität (BK).
Das Objekt, auf das die forschende Absicht des Eros-Bewusstseins gerichtet ist, nenne ich die "Innenansicht des Körpers" [oder eben den Hauchkörper oder subtle body (link1, link2)]. Durch möglichst regelmässige Übungen wird zu dieser seit dem Mittelalter verdrängten Schau der Innenansicht zurückgefunden, womit gemäss meinen Vorstellungen eine Transformation der Triebenergie des physischen Körpers in psychophysische Energie stattfindet, die den Hauchkörper aufbaut. Diese Transformation äussert sich in inneren Bildern aus dem Bauch, die im Krankheitsfall in synchronistischer Art und Weise dem Symptom entsprechen und deren Befreiung ordnend, aufbauend und heilend wirkt.
Dieser Transformationsprozess ist jedoch nur möglich, wenn der physische Körper stillgelegt wird. Ist dieser Prozess unbewusst konstelliert, stellt sich die oben beschriebene "Totenstarre", die Empfindung des "Steinkörpers" ein. Man wird völlig bewegungsunfähig - übrigens ein Phänomen, das auch regelmässig als Nebenerscheinung von UFO-Entführungen geschildert wird. Positiv gewertet meint diese Bewegungsunfähigkeit, dass die Zeit reif geworden ist für den Einstieg in die Schau der "Innenansicht des Körpers" und deren Ziel, den Aufbau des Hauchkörpers. Wird diese Notwendigkeit missachtet, besteht die grosse Gefahr, dass sich Krankheiten einstellen, die die Stilllegung des Körpers erzwingen (Multiple Sklerose, Parkinson, aber auch Krebs, usw.)!
In der alchemistischen Terminologie ausgedrückt bedeutet der triebhaft bewegte Körper die prima materia, aus der der Stein, der lapis erlöst oder aufgebaut werden soll. Der stillgelegte Körper stellt dieses erste Ziel der Alchemie dar. Man kann ihn daher als (potentiellen) lapis bezeichnen. Um dessen Inkarnation zu bewerkstelligen, ist jedoch eine neue Art von Bewusstheit, das von mir postulierte Eros-Bewusstsein nötig. Mit Hilfe dieses auf den Bauch konzentrierten, den Logos kompensierenden Bewusstseins wird aus dem lapis die sogenannte rote Tinktur befreit, eine Prozedur, die vom Paracelsusschüler Gerardus Dorneus beschrieben wird und in einer modernen Terminologie der Schau der inneren Bilder und Bildfolgen entspricht, die in meiner Körperzentrierten Visualisierungtm (die ich im Krankheitsfall Symptom-Symbol-Transformationtm nenne) geschieht.
Literaturverzeichnis
Hannah, Barbara Active Imagination - A Record of a Talk given
in Zurich by Miss Barbara Hannah on September 25th 1967 at a Special Lecture
Series for the C.G. Jung Educational Center of Houston, Texas.
zurück zu im Wachzustand wahrnehmen
Isler, Gotthilf Die Sage von der Sennenpuppe in: Gotthilf
Isler, Lumen naturae - Zum religiösen Sinn von Alpensagen (Verlag Stiftung
für Jung'sche Psychologie: Küsnacht ZH, 2000 (Zuerst erschienen in:
Terra plana. Heft 3, Mels 1981))
zurück zu wachbewusster Umgang
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zu positive Sennenpuppenvarianta
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moralische Botschaft
zurück zu Annehmen
Lu K'uan Yü (Charles Luk) Geheimnisse der chinesischen
Meditation - Selbstgestaltung durch Bewusstseinskontrolle, nach den Lehren
des Ch'an, des Mahayana und der taoistischen Schulen in China. (Zürich:
Rascher, 1967); engl. «The Secrets of Chinese Meditation» (London:
Rider, (1964) 3.ed. 1975).
zurück zu Verstrickungen
Metzinger, Thomas Subjekt und Selbstmodell - Die Perspektivität
phänomenalen Bewußtseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen
Theorie mentaler Repräsentation Paderborn: mentis, (2., durchgesehene
Auflage 1999.
zurück zu Selbstmodell
von Franz, Marie-Louise «Aktive Imagination» in:
JUNGIANA - Beiträge zur Psychologie von C. G. Jung, Reihe A Band 10 (Verlag
Stiftung für Jung'sche Psychologie: Küsnacht ZH, 2001: 39-45)
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