Die Spur der Quader 10
Der Diamantkörper Teil 4
Werner Zurfluh
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Die Spur der Quader Teil 9

8. Welten des Lichts
«Wenn während der Ruhe ununterbrochen dauernd der Geist die Empfindung einer großen Heiterkeit hat, als wäre er trunken oder neu gebadet, das ist ein Zeichen, daß das lichte Prinzip im ganzen Leib harmonisch ist; da beginnt die Goldblume zu knospen. Wenn dann weiterhin alle Öffnungen stille sind und der silberne Mond inmitten des Himmels steht und man das Gefühl hat, daß diese große Erde eine Welt des Lichts und der Helligkeit ist, so ist das ein Zeichen, daß der Leib des Herzens sich zur Klarheit öffnet. Das ist das Zeichen, daß die Goldblume aufgeht» (Wilhelm (1929) 1965:101-102). Bemerkenswert ist, daß «der Ausdruck Goldblume (Gin Hua) in esoterischer Hinsicht auch den Ausdruck 'Licht' enthält» (Wilhelm (1929) 1965:68), womit eindeutig auf die Bewußtseinskontinuität, das "Licht des Lebens", verwiesen ist.

Sogyal Rinpoche schreibt: «Im Bardo der Dharmata nimmst du einen Lichtkörper an. Die erste Phase dieses Bardo beginnt, wenn ‚Raum in Lichtheit aufgeht': Plötzlich wirst du dir einer fließenden, vibrierenden Welt von Klang, Licht und Farbe bewußt. Alle gewöhnlichen Erscheinungsformen unserer vertrauten Umwelt sind zu einer allumfassenden Landschaft aus Licht geschmolzen. Sie ist funkelnd, klar und strahlend, durchscheinend und vielfarbig, unbegrenzt von irgendeiner Dimension oder Richtung, schimmernd und in ständiger Bewegung. Das ‚Tibetische Totenbuch' beschreibt sie als ‚eine Luftspiegelung in der Ebene bei größter Sommerhitze'. Ihre Farben sind der natürliche Ausdruck der dem Geiste innewohnenden Eigenschaften der Elemente» (Rinpoche 1993:325-326).

Ich werde nun von einem Ereignis erzählen, das zumindest indirekt mit der Heiterkeit zu tun hat, obwohl und gerade weil es das Problem der ideoplastischen Verformungen und anderer möglicher Irrtümer aufzeigt. Das Geschehen vom 9. Januar 1980 ist ziemlich komplex und dafür geeignet, die als normal geltende Wirklichkeitsauffassung nicht nur ins Wanken zu bringen, sondern schlicht zusammenbrechen zu lassen. Spätestens angesichts einer derart massiven 'Wirklichkeitsverfremdung' läßt sich die Leichtigkeit des menschlichen Seins nur noch mit Hilfe einer humorvollen Heiterkeit leben. Dabei geht es nicht um ein ungehemmtes und schrilles Lachen, das beinahe an die Grenzen des Wahnsinn stößt, sondern um eine gelassene Heiterkeit und stille Fröhlichkeit, welche selbst die ernsthaftesten Belange mit einem Hauch des Spielerischen umweht.

Das Geschehen beginnt in einem zur Straße hin gelegenen Zimmer in der elterlichen Wohnung. Hier waren in der frühen Jugendzeit mein jüngerer Bruder und ich für eine Weile einquartiert. Ich liege in meinem Bett im Wissen darum, auf der Schwelle zum Einschlafen im hypnagogischen Zustand zu sein und weiß auch um meine Identität als Werner Zurfluh.

Bemerkungen vom Januar 1980: Ich versäume es allerdings, eine Kontrolle der Bewußtseinskontinuität durchzuführen, weshalb mir nicht auffällt, daß ich schon seit bald zwei Jahrzehnten nicht mehr an diesem Ort lebe, längst verheiratet bin und selber Kinder hat. Diese sind jetzt etwa in dem Alter, in dem damals in diesem Zimmer mein Bett gestanden hatte. Es fehlt also die Erinnerung von jenem Zeitpunkt an 'aufwärts'. Für mich wurde diese zeitliche Verschiebung bei diesem - wie ich es nennen möchte - "falschen Einschlafen" keineswegs zum Problem. Der Kenntnisstand rund um den hypnagogischen Zustand, die ideoplastischen Vorstellungen und sogar in bezug auf die Außerkörperlichkeit entspricht dem Wissenstand, den ich jetzt im Alter von 35 Jahren tatsächlich besitze. Das Phänomen der "selektiven Erinnerungslücke" war mir bislang nicht bekannt, und es wurde meines Wissens - im Gegensatz etwa zum "falschen Aufwachen" - auch nirgendwo erwähnt.

Trotz dieser merkwürdigen Ausfilterung von Gedächtnisspuren ist es mir möglich, die nunmehr auftretenden Geschehnisse genauestens zu beobachten und zu reflektieren. Ich kann ihnen gegenüber eine klare Haltung einnehmen und sie nach meinen eigenen Wünschen beeinflussen. Dies wird in dem Moment auch notwendig, als der Ereignisse meine Bewußtseinskontinuität aufzulösen drohen und mich beinahe in einen Traumzustand hineinschlittern lassen.

Je tiefer ich mich in den hypnagogischen Zustand hineinfallen lasse, desto plastischer werden die Formen, die aus dem Nichts entstehen. Es sind durchaus weibliche Gestalten, bestehend aus einem Leib mit zwei Beinen. Sie haben auch Arme und einen Kopf, wobei mir auffällt, daß in keinem Fall ein Gesicht ausgebildet ist. Deshalb sind diese Frauen eigentlich gesichtslos und wesenlos. Das merke ich aber erst nach etwa fünf bis zehn Minuten, nachdem ich schon mit einem guten Dutzend weiblicher Körper in Kontakt gekommen bin. Dabei spielt das Berührungselement eine wesentliche Rolle, d.h. im empfinde die Nacktheit der Körper stark. Stets schweben die Körper mit den Beinen oder mit dem Gesäß voran auf mich zu wie träge Ballone. Wenn sie in meiner Reichweite sind, dann ergreife ich sie und ziehe sie zu mir heran.

Erstaunlich ist dabei die Tatsache, daß manche Leiber einen ungemein starken Vaginalausfluß haben, wobei die zähe, schleimige und manchmal blutrot gefärbte Flüssigkeit in fingerdicken Strömen über die Oberschenkel rinnt. Dieser Ausfluß und die Farbe wirken direkt unheimlich. Es ist nicht unangenehm, die klatschnassen Körper zu streicheln, sachte wieder wegzustossen und gleich anschließend einen anderen Leib heranzuholen.

Neben dem starken Vaginalausfluß ist auch der Bauchnabel bei manchen auffällig stark ausgebildet. Er ragt derart satt aus der Bauchdecke, daß es scheint, als würde er im nächsten Augenblick wie ein Pfropfen von der Champagnerflasche knallen. Und der Überdruck im Innern müßte - so denke ich mir - mit Wucht die Gedärme herausquellen lassen. Das Aussehen der herausdrängenden dampfenden Innereien wäre jedoch weitaus makabrer und schwieriger auszuhalten als der Anblick des feucht-schleimigen Ausflusses. Ein lebenswarmes Gewühl von Därmen, die sich aus dem Bauchraum hervordrängen, dürfte meine Fähigkeit, grauenerregende Anblicke zu ertragen, etwas arg strapazieren.

Damit stellt sich die Frage, wie stark sich meine ideoplastischen Vorstellungen in diesem Moment auswirken. Genügt etwa schon der bloße Gedanke an die Möglichkeit des Zerplatzens der Frauenkörper, um das Geschehen einzuleiten? Das wäre durchaus möglich! Aber ich bin doch erleichtert, als ich feststellen muß, daß es nicht geschieht. Für mich ist dies immerhin ein Hinweis darauf, daß es mit der Umsetzung von ideoplastischen Vorstellungen nicht so einfach ist. Es gibt offensichtlich keine simple 1:1 Beziehung zwischen einer Vorstellung und deren Realisierung.

Die These ließe sich in diesem Augenblick durch eine Verstärkung der imaginativen Kräfte prüfen. Aber aus diversen Gründen verzichte ich darauf. Einerseits scheint es gegenüber diesen Körpern irgendwie unfair, auf eine direkte und deshalb eher plumpe Art vorzugehen. Die Leiber wirken zwar dumpf, wesenlos und komatös, aber vielleicht spüren sie doch etwas! Immerhin sind diese beinahe schon mitleiderregenden Geschöpfe irgendwie berührungsempfindlich! Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein - aber sicher ist sicher, also lasse ich es bleiben. Andererseits ist es so, daß die Verwirklichung eines derartigen Versuches für mich nur eine Art Mutprobe darstellt. Aber wäre dies eine ausreichender Legitimation für die Durchführung eines Versuches? Die willenlosen Dinger aufplatzen zu lassen einzig deswegen, um mir selber zu beweisen, daß ich fähig bin, berstende Frauenleiber anzusehen und anzufassen? Wie bei einem "Happening", bei dem warme Gedärme auf jemanden herabfallen? - Nein!

Ich möchte mich lieber darum bemühen, mit den bislang stumm gebliebenen weiblichen Wesen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen. Mit Hilfe einer Akzeptierung könnte es vielleicht zu einer echten Begegnung und letztlich sogar zu einem intimen Kontakt kommen! Um das zu erreichen, sind die Körper so weit umzudrehen, bis das Gesicht erkennbar wird, denn nur so wird eine Gesprächsaufnahme möglich sein!

Gedacht, getan - aber zu meiner großen Verblüffung besitzen alle diese Frauen tatsächlich überhaupt kein Gesicht! Dort wo Augen, Nase und Mund hätten sein sollen, ist bloss eine ungegliederte fleischige Masse ausgebildet. Demzufolge sind das alles nur wesenlose Gestalten, unfähig zu einer echten Auseinandersetzung in Form einer direkten verbalen Kommunikation.

Mich erschreckt dies ziemlich stark. Mein Entsetzen beruht nicht etwa darauf, daß ich nun meinen würde, die Gesichtlosigkeit dieser Frauen sei die Folge eines Vergehens, das sie früher einmal begangen haben könnten. Oder daß ich vermuten würde, ihr horrorartiges Aussehen sei die Verkörperung einer 'Schuld'. Vielmehr ist der Grund meiner Bestürzung die Befürchtung, daß meine eigenen ideoplastischen Vorstellungen diese Leiber geschaffen haben oder daß durch irgendwelche im Hintergrund bzw. "unbewußt" sich auswirkende Gedanken derartige Körper angezogen wurden.

Ich frage mich, was ein sexueller Kontakt mit solchen Wesen darstellen soll. Eine solche Begegnung könnte doch nur der Vollzug eines auf Befriedigung egoistischer Wünsche aufgrund lüsterner Geilheit augerichteten Strebens sein. Wenn jedoch meine Imagination derart stark gewesen sein sollte, daß diese gesichtslosen Frauenkörper die alleinige Schöpfung meiner Gestaltungskräfte sind, ist das schon mehr als bedenklich.

Jetzt wird mir endlich bewußt, daß eine derartige Spielerei von einer Disziplinlosigkeit sondergleichen zeugt. Die damit verbundene Unachtsamkeit führt leicht und schnell einmal dazu, daß die Kontinuität des Bewußtseins verloren geht, und das Ich langsam in einen traumartigen Dämmerzustand abzugleiten beginnt.

Daß dies alles eine "Bewußtseins-Falle" darstellt, wird mir vor allem auch deswegen klar, weil das Moment des Überganges vom inner- in den außerkörperlichen Zustand an Wahrscheinlichkeit zunimmt. Das ist nun gut spürbar und möglicherweise sogar eine Folge der Tatsache, daß ich vor die Wahl gestellt werde, entweder in ein orgiastisches Geschehen zu versinken oder schlicht auf die "Freuden des Dahingleitens" zu verzichten. Ich könnte also einen totalen Verlust der Bewußtseinskontinuität - ein "black-out" - zulassen oder bewußt "aussteigen" und die Bewußtseinskontinuität behalten.

Der Entschluß, mich von der Faszinosität des "wogenden Leiberflutens" abzuwenden, wird maßgeblich durch eine akustische Wahrnehmung unterstützt. - Deutlich ist nämlich das leise Klagen einer feinen Stimme zu hören: «Leider ist die Sexualisierung groß!»

Ich verstehe diesen Satz als einen Hinweis darauf, daß gerade im hypnagogischen Zustand die Tendenz zur Sexualisierung derart übermächtig wird, daß der "floatenden" geschlechtlichen Erregung trotz Bewußtseinskontinuität nur selten widerstanden werden kann.

Der Menge der schwebenden Leiber nach zu urteilen ist diese Sexualisierung nicht nur ein persönliches Problem, sondern sichtbar gewordener Ausdruck eines ausgedehnten "ideoplastischen Feldes". Weil in unserer Gesellschaft die Sex-Aspekte ziemlich stark betont werden, muß das Ich ganz automatisch in den Sog eines etwas zwielichtigen Attraktionsfeldes geraten, sobald es die Übergangsphase vom Wach- in den Schlafzustand des physischen Körpers - den hypnagogische Zustand - betritt. In einem solchen Moment ist das Ich irgendwie geschwächt und viel anfälliger für die Wirkungen der kollektiven Ideoplastie-Felder. Es ist auch gezwungen, direkt auf die Ausstrahlung der weiteren Umgebung zu reagieren. So sind denn die Auswirkungen von Sex-Feldern wesentlich besser zu spüren, wenn die Bewußtseinskontinuität zu 'dümpeln' beginnt.

Dies ist auch der Grund, weshalb wie aus dem Nichts Frauenleiber heranschweben, die reine Sexualobjekte zu sein scheinen.

Solche Larvalformen werden vor allem beim Übergang vom Wach- in den Schlafzustand gebildet, denn beim Einschlafen kommt es meistens zu einer Bewußtseinsminderung, zu einem "abaissement du niveau mental". Im hypnagogischen Zustand verblaßt die Bewußtseinskontinuität und damit die 'Wachheit', weshalb gerade jene Phantasien mit Leichtigkeit in den Vordergrund treten, die tagsüber von einem selbstkritischen Reflexionsvermögen eher beiseitegeschoben werden. Speziell jene Vorstellungen, die manchmal sexuell gefärbt und etwas zwielichtiger Art sind, bewirken dann den Aufbau entsprechender Wunschgebilde und die Verfestigung verwandter, bereits bestehender Objekte.

Derartige Gedankenschöpfungen bzw. "Psychogone" werden «durch starke Emotionen und plastische Vorstellungskraft zu einer virtuellen Realität für den Urheber» (Ballabene 1997). Je nachdem, wieviel eigene Seelenkraft und wieviel Energie seitens anderer Menschen in die Erschaffung solcher Ausformungen einfließt, «wird die Dichtigkeit und Lebendigkeit eines solchen Abbildes zu- oder abnehmen» (ibid.). «Gedankenschöpfungen haben in den Jenseitsauffassungen der Theosophen einen hohen Stellenwert, gibt es doch nach ihrer Lehre eine eigene Ebene (Mentalwelt), die aus solchen Bildern erschaffen ist» (ibid.). «Es ist zu beachten, daß die Wesen in der Astralwelt nicht nur ihre eigenen Gedankenformen vorfinden, sondern auch die von all jenen, die ähnliche oder gleiche Interessen und Glaubensbekenntnisse verfolgen. Mitunter sind diese Gedankenformen das Produkt ganzer Generationen, also tausender von im selben Sinn abgestimmter Gedankenformen» (C.W. Leadbeater zit. von ibid.).

Persönlichkeitsfragmente mischen sich leicht mit subjektfremden Komponenten, die eine gewisse Affinität dazu haben. Diese verdichten sich dann im feinstofflichen Bereich zu Larvae und Tulpas mit einem geringen Fremdanteil oder zu Tulkus, die eine maximale Selbständigkeit besitzen. Jede dieser Gestaltungen kann von ihrem Schöpfer unabhängig werden und ein unter Umständen gefährliches Eigenleben entwickeln. Im außerkörperlichen Zustand kann man ihnen begegnen. Auch die alchemistische Homunculus-Erschaffung gehört unter diese Rubrik. (Zu Tulpa und Tulku vgl. auch David-Neel (1931) 1965:113-130, 288-320.)

Ziellos fliegen die Gestalten im Raum der mentalen Vorstellungsbilder herum und geraten dabei in das Anziehungsfeld, das ich als sexuelles Wesen selbst und in eigener Verantwortung ausgebildet habe.

Deshalb wird es unmöglich sein, die Larvae barsch wegzuweisen, denn durch die Abstossung würde ein negatives Sexualitätsfeld ausgebildet. Das Verhalten der apathisch und passiv dahinschwebenden Wesen müßte sich aufgrund der "Turbulenzen" meiner negativen Emotionen ändern. Die Gestalten könnten sogar bösartig werden und mich attackieren. Um dies zu verhindern, muß ich gelassen bleiben, und zum Schein "mitmachen". Dies hat ohne jegliche innere Beteiligung zu geschehen, denn nur auf diese Weise kann mein eigenes "Sexualitätsfeld" leise verklingen. Tatsächlich nimmt die sexuelle Anziehung langsam ab, so daß keine weiteren Larvae mehr herangeschwebt kommen. Und diejenigen, die bereits in der Nähe sind, dümpeln orientierungslos und träge im Zimmer herum, durchdringen die Wände und verschwinden ganz von alleine und ohne mein Dazutun.

Das Geschehen ist sehr eigenartig und erstaunt mich zutiefst. Vor allem bestärkt es mich in der Meinung, daß diese ideoplastischen Gebilde nicht ausschließlich meine eigenen Produktionen sind, sondern eigenständige Wesen. An deren Aufbau war ich zwar früher mit größter Wahrscheinlichkeit mitbeteiligt - vor allem in der Pubertätszeit. Das würde erklären, daß sich alles gerade in diesem Zimmer abspielt!

Die Larvae können nicht zerstört werden. Sie müssen sich von alleine auflösen! Dies kann nur geschehen, wenn ihnen keine weiteren Energien mehr zufließen - sei es nun von meiner oder sonst von irgendeiner Seite her. Die Gebilde werden in dem Moment kraftlos, wenn weder positive noch negative Felder aufgewirbelt werden, und ihre Reaktion im jetzigen Umfeld hängt einzig von meiner Einstellung ab.

In dem Masse, wie diese Wesen verschwinden, steigert sich die Bewußtseinsklarheit bis hin zur vollständigen Bewußtseinskontinuität. Gleichzeitig geling mir eine Körperablösung. Beide Prozesse sind vollständig miteinander gekoppelt - auf eine Weise, wie ich sie niemals zuvor erlebt habe. Mit der definitiven Ablösung des Zweitkörpers werde ich mir aller bislang noch fehlenden Zusammenhänge bewusst - auch des Umstandes, daß der Austritt aus einem Körper heraus erfolgt, der nicht in jenem Bett liegt, in welchem er eigentlich liegen müßte. Das verwirrt mich ziemlich, und ich habe große Schwierigkeiten, mich zu orientieren.

Zu sehen ist nichts - der Körper, mit dem diesmal der Austritt erfolgt, ist mit Blindheit geschlagen, aber ich weiß, daß dieser Zustand behoben werden kann. Er ist mir von früheren Austrittserfahrungen her bekannt, denn oft ist das Sehvermögen gerade während oder kurz nach der eigentlichen Austrittsphase nicht vorhanden - so als müßte die neue Situation erst einmal erschaut werden. Dies ist ein Lernprozeß, in dessen Verlauf sich das Ich auf das Sehenkönnen zu konzentrieren hat, damit sich das Augenlicht nach kurzer Zeit wieder stabilisieren und ebenenadäquat normalisieren kann. Also achte ich sorgfältig auf das Sehfeld und blicke ruhig in die Dunkelheit hinein. Dabei gilt die Aufmerksamkeit nur dem Hinschauen. Sie verlagert sich in keinem Moment auf die Muskelbewegungen einer Lidöffnung der physischen Augen, denn durch das erzwungene Hochheben der Lider käme es bloß zu einem Sehen auf der Alltagsebene. Diesen Fehler gilt es zu vermeiden.

Nach knapp einer Minute gelingt es mir, die Sehfähigkeit im außerkörperlichen Zustand wiederherzustellen.

Als nächstes verlasse ich den "Raum der Jugend", steige durch das Glas des geschlossenen Fensters auf das Dach hinaus und laufe der Regenrinne entlang. Nach wenigen Schritten halte ich inne und beginne mit einer ausführlichen Kontrolle der Bewußtseinskontinuität, wobei ich mich besonders darum bemühe, nicht denselben Fehler wie beim gestrigen luziden Traum zu machen, bei dem keine extensive Kontrolle durchgeführt wurde. Das hatte sich bereits im Verlaufe des betreffenden Traumes als nachteilig erwiesen.

Bei der Bearbeitung dieser besonderen Problematik beim gestrigen Protokollieren wurde mir klar, daß eine vollständige Kontrolle der Bewußtseinskontinuität nur erfolgreich sein kann, wenn es gelingt, 'die Welt anzuhalten' - wie Don Juan zu sagen pflegt. Das bedeutet, daß die Kontrolle so durchzuführen ist, daß sie mit dem momentanen Traumgeschehen direkt nichts zu tun hat. Weil ich mich bestens daran erinnere, gelingt es mir, dieser Forderung im jetzigen Moment zu entsprechen und bewußt stehen zu bleiben. Das abrupte Innehalten ist insofern ein Risiko, weil es als willentliche Handlung zu einem blitzartig Hinüberwechseln in den physisch-materiellen Körper und zum Erwachen desselben führen könnte.

Die Bewußtseinskontinuität scheint mir jedoch genügend stabil. Zudem muß das Risiko eingegangen werden, denn eine exakte Kontrolle ist in meinem momentanen Zustand besonders wichtig. Wenn ich mir der Bewußtseinskontinuität zu sicher und zu gewiss bin, besteht die Gefahr der Unachtsamkeit, weshalb etliches übersehen werden könnte.

Also schaue ich mich zuerst sorgfältig um. Was meinen Standort betrifft, habe ich mich nicht getäuscht: Ich stehe ein paar Meter von jenem Fenster entfernt, das zu dem Zimmer gehört, in dem mein Bruder und ich gelebt haben. Bei genauerem Hinsehen sind jedoch Unterschiede zu den früheren Verhältnissen festzustellen - vor allem im Hinblick auf den Aufbau desjenigen Teiles des Daches, auf dem ich stehe. Das Dach unterhalb des Fensters fiel schräg bis zur Regenrinne ab. Jetzt geht es nach dem Schrägabgefall in einen noch gut ein Meter breiten horizontalen Teil über. Außerdem entsprechen die Häuser auf dieser Seite der Strasse keineswegs weder den früheren noch den jetzigen Alltags-Verhältnissen.

Die Unterschiede sind zwar erstaunlich, aber sie beunruhigen mich überhaupt nicht. Meines Wissens gibt es merkwürdigerweise stets mehr oder weniger eklatante Differenzen zwischen den Alltagsgegebenheiten und jenen Ausformungen, die im außerkörperlichen Zustand anzutreffen sind. Solche Diskrepanzen sind keinesfalls meinem Gedächtnis anzulasten, denn ich erinnere mich detailgetreu an die tatsächlichen Verhältnisse. Deshalb ist es mir auch möglich, die Unterschiede zweifelsfrei auszumachen.

Verblüffend ist allerdings die Tatsache, dass die Abweichungen bestehen bleiben und sich nicht verformend an die Erinnerungen anpassen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, daß diese Gebilde nicht einfach ideoplastische Ausformungen sind und damit meiner Fantasie entsprechen. Abgesehen davon ist es mir völlig egal, wie diese Gebäude aussehen. Den Unterschieden liegen also auch keine Wunschproduktionen zugrunde, welche die 1Wirklichkeit verzerren. - Aber jetzt kann ich mich nicht mehr länger mit diesem Problemkreis beschäftigen, denn ich muß mit der Kontrolle der Bewußtseinskontinuität weiterfahren. Und diese läßt sich durchaus zufriedenstellend durchführen. (Auf das Aussehen der Gebäude vis à vis komme ich später zurück.)

Mir ist bewusst, daß mein "eigentlicher" physisch-materieller Körper nicht in jenem Zimmer liegen kann, in welchem ich vorher lag und einen Austritt erlebt habe. Da wohnen nämlich schon seit Jahren andere, mir unbekannte Leute. Aber wo mag denn mein Körper schlafend liegen, der mir tagsüber als Vehikel dient? Nach kurzem Überlegen komme ich zum Schluß, daß sein Aufenthaltsort in jenem kleinen Haus sein muß, in dem wir die ersten paar Jahre unserer Ehe gelebt haben. - Aber nein, das kann nicht sein! Seit Jahren wohnen wir nicht mehr dort! Die Kinder sind auch schon wesentlich älter.

Das ist nun exakt der Punkt, der mich zu einer umfassenden Kontrolle der Bewußtseinskontinuität zwingt. Sonst würde ich gewissermassen mit meiner Erinnerung an einem Ort steckenbleiben, der für meine momentane Situation überhaupt keine Gültigkeit besitzt. Das wirkt sich für kurze Zeit sehr verwirrend aus, denn die Selbstverständlichkeit, mit der ein derartiger zeitlicher und räumlicher Zuordnungs-Fehler beinahe akzeptiert worden wäre, ist geradezu heimtückisch und schier unfaßlich. Beinahe hätte ich kritiklos die 'Tagesordnung des Traumgeschehens' übernommen.

Aufgrund der Umstände bleibt mir nichts anderes übrig, als erst einmal das Jahr, den Monat und den Tag ins Gedächtnis zurückzurufen, an welchem ich tatsächlich zu Bett gegangen bin.

«Oh - mein lieber Alfred Lischka! Da sieht man wieder, wie praktisch Hinweise sein können - in diesem Falle jener, ausdrücklich eine Datumskontrolle durchzuführen. - Also gut, heute haben wir den - äh - ja, es muss 1980 sein und zwar Januar. Es ist der 8. Januar 1980, d.h. ich bin nun in der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1980 und zwar außerhalb meines physisch-materiellen Körpers. Und der befindet sich keineswegs in der 'Steinbühlalle 176', sondern 'beim Lindenbaum 11a.»

Damit ist endlich der Erinnerungsanschluß an das 'hic et nunc' geschafft - und ich bin nun überzeugt, die Kontrolle der Bewußtseinskontinuität bestmöglichst ausgeführt zu haben. Es fehlt kein Mosaiksteinchen mehr im Gedächtnispuzzle. Sicherheitshalber will ich die Kontrolle noch etwas erweitern und auch die Tagesereignisse überprüfen - und mich daran erinnern, was ich gestern am 8. getan habe und was ich am 9. zu tun gedenke.

«Gestern war Sonntag. Da habe ich eine Menge Karteikarten geschrieben im Zusammenhang mit dem Thema Wirklichkeit und Heiterkeit. Albert Hofmann bearbeitet momentan das Gebiet, und wir diskutieren darüber. Dann gab es da noch einen hübschen Trickfilm mit Tim und Struppi über den Sonnentempel auf dem TV Suisse Romande. Am 9. habe ich einen strengen Tag vor mir, weil ich von 14 bis 20 Uhr unterrichten muß. Deshalb wird es wohl wieder einmal schwierig sein, genügend Zeit zum Aufschreiben dieses luziden Traumes aufzubringen. Das werde ich wohl auf den Dienstag und den Mittwoch verschieben müssen.» (Die ersten Seiten dieses Protokolls werden dann am Dienstag Morgen geschrieben, denn es fallen ein paar Lektionen aus.)

Bemerkungen vom Januar 1980: Was die Datumskontrolle betrifft, ist von ganz besonderem Interesse, dass das Datum 'objektiv' nicht stimmt, dagegen subjektiv betrachtet exakt jenen Vorstellungen entspricht, die ich vom Datum habe! Der Fehler beruht darauf, dass ich den alten Thangka-Kalender des Jahres 1979 so aufgehängt habe, dass das Juli-Blatt zu sehen ist. Auf diesem Blatt habe ich seit drei Tagen das jeweilige Datum abgelesen und mich dabei an den Wochentagen orientiert. Montag ist dann eben der 9., Sonntag der 8. - statt der 7. und der 6. - sic! Dieser Fehler ist aus einer Unachtsamkeit meinerseits tagsüber entstanden, die sich dank der Bewußtseinskontinuität auch 'nächtlicherweise' auswirkt. Diesen Fehler habe ich erst am 10. Januar 1980 'entdeckt', also drei Tage nach dem 7. Januar. Ich wollte zuerst die Daten korrigieren, mußte dann aber davon absehen, da bereits einige Karteikarten bestehen mit den 'falschen' Daten. (Was das Datum betrifft, habe ich am 10. Januar 1980 geschrieben, also in dem Moment, wo ich wieder Zeit hatte, weiterzuschreiben - ab Notizenblatt. Da ich mich sehr gut an das Geschehen zu erinnern vermag, spielt es keine Rolle, dass ich 'erst jetzt' weiterfahre.)

Nach der Durchführung dieser sehr umfassenden Kontrolle der Bewußtseinskontinuität freue ich mich, daß sie derart gut gelungen ist. Mich freut auch ganz besonders, daß ich mich nicht aus einem falschen Sicherheitsgefühl heraus habe dazu verleiten lassen, keine Kontrolle zu machen.

Als weitere Kontrolle und als Ergänzung zur vorhergehenden gilt es jetzt, eine Zustandskontrolle zu machen, bzw. herauszufinden, ob Kohärenz zu früheren Erfahrungen derselben Art besteht. Zum einen soll die Sehschärfe geprüft werden, zum anderen die Farbigkeit. Normalerweise besitze ich im außerkörperlichen Zustand eine umfassende Sehschärfe sowohl in bezug auf die Tiefe als auch auf die Breite des Sehfeldes. Ein 'Rundumsehen' von 360 Grad habe ich meines Wissens bislang noch nie erlebt - oder es einfach nicht bemerkt, weil es zu verwirrend und deshalb kaum zu fassen war. Auch jetzt sehe ich in einem normalen Sehwinkel. Aber alles darin ist total scharf abgebildet, und es gibt keinerlei unscharfe Randzonen! Wegen der fantastischen Aussicht, die sich mir nach wenigen Schritten eröffnet, ist dies ganz besonders eindrücklich.

Auf der anderen Straßenseite sind die Häuser niedriger, weshalb die Sicht kilometerweit bis zu den Hügeln und Bergen reicht, die von vorne nach hinten höhenmässig sich staffelnd aufragen. Auf der vordersten Hügelkuppe ist eine Art Schloß zu erkennen.

Was die Farben betrifft, die erfahrungsgemäß im außerkörperlichen Zustand wesentlich intensiver sind, so stimmen die angetroffenen Verhältnisse mit meinen Erwartungen überein. Damit ist die Kontrolle auch des Zustandes zu meiner Zufriedenheit zuverlässig abgeschlossen.

Die Zustandskontrolle hat ergeben, daß eine fliegende Fortbewegung problemlos möglich wäre, wenn ich beispielsweise den Wunsch hätte, jenes Schloss in der Ferne näher anzusehen. Aber mir ist nicht danach, ich möchte etwas anderes versuchen, was in dieser Form von mir noch niemals überprüft werden konnte - nämlich der absichtlich und bewußt durchgeführte Ebenenwechsel. Das Vorhaben ist insofern risikoreich, als ich nicht wissen kann, was beim Wechsel geschehen, wohin es gehen und wie die andere Welt aussehen wird.

Hierfür scheint mir der von allem Anfang an eingeschlagene Weg besonders geeignet, denn ich muß - wenn ich ihn weitergehe - automatisch bis zum etwa 50 Meter entfernten 'Turm' gelangen, der als markanter Eckpunkt den Übergang von der Altkircherstrasse zur Gotthelfstrasse abgibt und zu einem Eckhaus gehört.

Unterwegs beachte ich noch einmal genau die erheblichen Unterschiede zum Alltag. Die Häuser auf der anderen Straßenseite sehen ganz anders aus, und auch die Aussicht entspricht nicht im geringsten der Alltagsrealität. Das zu sehende Gebiet ist mir zwar von meinen diversen außerkörperlichen 'Ausflügen' her bestens bekannt, die ich in meiner Jugendzeit vom Estrichzimmer aus auf das Dach unternommen habe. Ich kann mir aber trotzdem nicht erklären, weshalb die Umgebung jetzt nach all den Jahren nach wie vor exakt so aussieht wie damals - und vor allem als eine anderweltliche Landschaft wiedererkannt werden kann - obwohl die Hügel des "Juragebietes" anders geformt und viel weiter entfernt sind.

Es ist schon merkwürdig! Aber auch die Häuser sind anders, zu denen die Dachkante gehört, auf der ich gemütlich weitergehe. Sie haben alle etwa dieselbe Höhe, besitzen ein Schrägdach und sind Mehrfamilienhäuser. Früher standen da wesentlich kleinere Häuser - und heute hat es Gebäude, die höher sind als das Wohnhaus mit der elterlichen Wohnung. Woher, so frage ich mich, mag diese 'Nivellierung' kommen?

Bald einmal komme ich zum viereckigen Turmdach, das mit schmalen, farbigen Biberschwanzziegeln bedeckt ist.

«Hoffentlich findet bei der Durchdringung des Daches ein Ebenenwechsel statt», denke ich beim vorsichtigen Hindurchschreiten der Ziegel. Das geht problemlos und bietet keinerlei Schwierigkeiten. Es erfolgt jedoch kein spürbarer Ebenenwechsel. Es wird einfach nur der Spitzboden des Turmes sichtbar und mit ihm die hölzernen Sparren des Dachstuhles und die Innenseite der Ziegel.

Bevor ich die neue Situation einfach nur als Ausdruck eines gescheiterten Versuches betrachte, schaue ich mich genauer um. Es scheint so zu sein, daß tatsächlich kein 'Weltenebenenwechsel' stattgefunden hat, aber bei genauerer Überlegung und dem Erspüren der Atmosphäre des vorgefundenen Raumes ist doch zu erkennen, daß zumindest ein signifikanter Wechsel des Erlebnisraumes stattgefunden hat. Die vordergründigen Erwartungen wurden zwar nicht erfüllt, aber es gilt, das Vorgefundene zuerst einmal zu akzeptieren und zu schauen, welche Möglichkeiten es bietet.

In diesem Raum steht nichts, er ist leer und nicht ausgebaut. Tausende von kleinen Lichtpunkten schweben in der Luft - multiplen Luminositäten gleich, die wie Lichtsamen im Chaos umherschwirren. Die Lichter sind auf zwei Flächen verteilt, die beide jeweils gut ein Quadratmeter gross sind. Ich muss ein zweites Mal hinsehen, bis diese Lichtpunktfelder als solche zu erkennen sind, denn etwas in dieser Art habe ich nicht erwartet und außerdem noch niemals gesehen. Die beiden Flächen erinnern mich an gewisse Darstellungen von Weltenflächen in Form eines Netzkoordinatensystemes, die zur Veranschaulichung der Allgemeinen Relativitätstheorie verwendet werden. Aber dies sind frei schwebende Lichtpunkte. Sie sehen aus wie ein Modell eines Teils des Universums mit einer Unmenge verschieden grosser Galaxien - ähnlich gewissen Aufnahmen astronomischer Art.

Ich komme mir vor wie ein gigantisch gewachsener Beobachter, der zwei Universen vor sich in der Luft schweben sieht. Eine weitere Merkwürdigkeit ist der total schwarze Raum zwischen den einzelnen Lichtpunkten. Dieser Raum stellt keine verbindende Fläche für die Lichter dar, aber er erinnert mich an einen Text, der besagt, daß es im LSD-Zustand möglich sei, die Schöpfung des Universums mitzuerleben, sie wie von aussen anzusehen und dennoch dabei beteiligt zu sein.

«Weshalb sollte dies eine ähnliche Situation sein?» frage ich mich. «Und weshalb werde ich gerade jetzt mit einem Problem direkt konfrontiert, das mich weder in den letzten Tagen noch sonst irgendwann besonders beschäftigt hat? Vielleicht ist mir dieser Fragenkreis vor einigen Jahren einmal begegnet - aber bestimmt nicht in den letzten paar Monaten.»

Es handelt sich hier bloß um ein extrem kleines 'Modell', aber auch das ist schon eindrücklich genug, weil es etwas in dieser Art im physisch-materiellen Bereich kaum geben kann - höchstens vielleicht als Hologramm.

Wie ich näher an die beiden Flächen herangehe, kommt es beinahe zu einem Zusammenstoß. Im letzten Moment strecke ich meine Arme aus. Zu spät! Bereits die leiseste Berührung der langsam dahinschwebenden Dinger führt dazu, daß die Flächen sich zu Kugeln umformen. Und an den Orten, wo die Kugeln zusammenstossen, treten die Lichtpunkte der betreffenden Zonen, die eine Schnittmenge bilden, in Wechselwirkung. Dabei entstehen unermeßliche Kräfte. Angesichts der Größenverhältnis ein unfaßliches Ereignis.

Ich sehe die Geburt eines neuen Universums aus unermeßlich weiter Ferne wie durch ein verkehrt vor die Augen gehaltenes Riesen-Teleskop - und gleichzeitig mit dem Gefühl, als würde der Prozeß durch einen Zeittunnel hindurch betrachtet. Die gewaltigen Energien, die bei der Berührung der beiden Kugeln entstehen, lassen die Lichtpunkte der Kontaktregion miteinander fusionieren. Nach der Verschmelzung bersten die hochenergetischen Lichtpartikel explosionsartig auseinander, werden in das Innere der einen oder der anderen Kugel geschleudert und wandeln sich dabei zu Galaxien um, die aus Millionen von Sternen bestehen.

Das Ereignis ist von einem kaum hörbaren, dumpfen Getöse begleitet, das sich schockwellenartig von den entstehenden Galaxien ausbreitet. Es ist von einer Gewalt, deren Mächtigkeit unvorstellbar ist und nicht einmal am Rande erahnt werden kann. In diesem Augenblick bin ich froh darüber, derart weit vom eigentlichen Geschehen entfernt zu sein, denn ich hätte die Kontinuität meines Bewusstseins nicht aufrecht erhalten können, wäre ich inmitten eines Entstehungsfeldes einer Galaxis gewesen.

Nun wundert es mich umso mehr, weshalb ich das alles zu sehen 'bekomme' - und zwar auf eine Art, die ich gut zu bewältigen vermag. Das scheinbar lächerlich kleine Modell ist die Darstellung unbeschreiblich gewaltiger Dimensionen und ungeheuer weiter zeitlicher und räumlicher Entfernungen. Aber es bleibt letztlich - und zu meiner Beunruhigung - zu bezweifeln, daß es sich bloß um ein Modell handelt, denn meine Sehweise könnte sich auch total verändert haben.

Dann transformieren sich die beiden 'Kugeln' zu einem mir völlig unbekanntes Metall und rotieren mit einer unfaßbar hohen Geschwindigkeit um die eigene Achse, wobei sie rhythmisch zusammenstossen. Die gegenseitige Abschleifung beim Zusammenprall ist dramatisch. Die abgeschliffenen Partikel fliegen nicht nach außen, sondern werden implosionsartig in die Kugeln hineingeschleudert. Das kann ich mir physikalisch nur damit erklären, daß die Gravitationskräfte im Inneren immens sein müssen.

Fasziniert schaue ich dem unglaublichen Geschehen zu, als plötzlich jemand von unten heraufkommt und mit einem Ruck die Falltür aufstößt. Aus der Bodenluke steigt ein kleiner Knabe. Fast automatisch verwandle ich mich beim ersten Geräusch der sich öffnenden Tür in ein Mädchen von etwa sieben Jahren. Dabei ist mir bewußt, daß es sich um eine instinktive Anpassung bzw. einen Tarneffekt handelt. Ich staune nur, daß die Transformation derart rasch und spontan geschieht. Sie verhindert zu meiner großen Beruhigung, daß mein Zustand als außerkörperlich und bewußtseinskontinuierlich erkannt wird.

Der Knabe steigt auf den Dachboden und betrachtet interessiert die rotierenden, ockergelben Metallkugeln. Er sieht mich nicht gleich, weil ich mich etwas von den Kugeln entfernt habe und in eine dunkle Ecke gegangen bin. Hier bleibe ich regungslos stehen und warte erst einmal ab.

Bald einmal ist deutlich zu spüren, daß sich die Mädchengestalt nicht stabilisieren läßt und sich unaufhaltsam zu einen gleichaltrigen Knaben umformt. Mir behagt diese Unstetigkeit überhaupt nicht, denn sie könnte mir Schwierigkeiten bereiten, wenn sie zufälligerweise vom Buben gesehen wird. Glücklicherweise gilt dessen Aufmerksamkeit allein den Kugeln. Aber wer hätte ihm schon dieses Ereignis geglaubt!?

Kurze Zeit später steigt eine anmutige Frau die Treppe hoch. Sie ist etwa 30-35 Jahren alt - und sie ist offensichtlich für meine Tarnung verantwortlich. Sie muß nämlich gespürt haben, daß jemand im außerkörperlichen Zustand das Dach durchdringt und daß der Junge auf den Dachboden steigt. Aus Sorge, eine Begegnung könnte kritisch werden, hat sie mein Aussehen verändert. Jetzt kommt sie selber herauf, um nach dem Rechten zu sehen. Ich verlasse sogleich mein Versteck und gehe zu ihr hinüber.

Erst beim Näherkommen erkenne ich zu meinem größten Erstaunen, daß die Augen dieser Frau eine goldene Iris haben. Gleichzeitig ist deutlich zu spüren, daß sie mir gegenüber äußerst wohlwollend und liebevoll eingestellt ist.

Die goldenen Augen sind ein Hinweis auf das "Liecht der Natur" (Paracelsus). Dieses stellt ein mondhaftes Gegenprinzip zum sonnengeprägten Intellekt dar.

«Das Mittelalter nannte dieses Gegenprinzip die Weltseele (anima mundi). Sie mußte durch menschliches Bemühen aus der Mutter Erde (mater materia) befreit werden. Diese Befreiung der Weltseele aus der Mutter Erde bedeutete das zentrale Element des alchemistischen Opus (Werk)» (Roth 1998d).

Es ist die kosmische Weltseele, das "kollektive Unbewusste" (C.G. Jung), welche in der Nacht ihre Traumbotschaften schickt. Eine regelmässige Auseinandersetzung mit den «eigenen Träumen entspricht daher einer modernen Art der Befreiung der Weltseele» (ibid.). Träume verfügen über ein "vorbewußtes" oder "absolutes Wissen" - und somit auch über «ein symbolisch verschlüsseltes Wissen um unsere Zukunft» (ibid.) und um die augenblickliche Situation mitsamt ihren Problemen.

«Die Weltseele ist immer überall. Sie umfasst daher räumlich gesehen den ganzen Kosmos und zeitlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Derart verbindet sie uns auch mit der Welt des Jenseits, mit der Welt, in die wir nach dem Tod eingehen werden. Träume handeln daher des öfteren - so beispielsweise bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte und vor allem während der midlife crisis - auch von der Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod. Vor allem aber geben sie uns Hinweise darauf, welche Aufgabe wir in diesem Leben erfüllen müssen, um in ein individuelles Leben im Jenseits hineinwachsen zu können. Es zeigt sich dabei, dass ein wesentlicher Aspekt dieser diesseitigen Aufgabe die Arbeit am Aufbau eines Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod darstellt» (ibid.).

Bevor ich mit dieser 'Anima' spreche, gehe ich zu meinem 'Bruder' hinüber. Er ist etwas über meine plötzliche Anwesenheit verblüfft, denn er hat mich nicht die Treppe hochsteigen sehen. Bevor er auf die Idee kommt, dieses Problem zu hinterfragen, mache ich ihn darauf aufmerksam, dass die Masse eines Neutronensternes von wenigen Zentimetern Durchmesser ohne weiteres die Masse eines Sonnensystemes übertreffen kann. Der kleine Kerl beobachtet nämlich aufmerksam, daß die abgeschliffenen Teile der rotierenden Kugeln durch die Kugelwandungen hindurch in das Kugelinnere fliegen und nicht nach außen weggeschleudert werden.

Ich spreche mit dem Knaben und sage: «Nein, ich kann mir keineswegs erklären, wie das zustande kommt. Ich weiß auch nicht, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Neutronenstern, schwarzem Loch und dieser 'Implosion' gibt.»

Doch mein 'Bruder' bekümmert sich nicht weiter um solche Fragen, schaut dem Geschehen bloß noch eine Weile aufmerksam zu und verliert dann das Interesse. Er wendet sich ab und steigt durch die Bodenluke hinunter.

Auch die 'Mutter' geht wieder hinab. Ich gehe zur offenen Tür, steige hinunter und spreche sie an:

«Entschuldige bitte, daß es mir nicht möglich gewesen ist, die Gestalt des Mädchens beizubehalten. Die automatisch wirkenden ideoplastischen Vorstellungen waren einfach zu groß, und ich bin es nun mal gewohnt, männlich zu sein!»

Dann verabschiede ich mich von dieser 'Anima', von der ich ganz genau weiß, daß sie nicht 'meine' Anima ist, sondern eine von mir unabhängige, 'objektive' Gestalt, die sich freundlicherweise als meine 'Mutter' ausgegeben hat, um mir eine perfekte Tarnung zu ermöglichen.

Anschließend nehme ich wieder meine normale äussere Gestalt an, da der kleine 'Bruder' mich nicht mehr sehen kann. Er wird sein Erlebnis im Turm oben kaum jemandem erzählen. Und wenn doch, wird ihm niemand glauben, sondern seinen Bericht nur der kindlichen Fantasie zuschreiben.

Zwischen dieser Frau und mir besteht eine tiefverankerte Liebe, aber diese darf in keiner Art und Weise zum Ausdruck kommen. Ein direkter Kontakt wäre viel zu gefährlich, weil die 'Nachbarn' die dabei entstehenden energetischen Feldveränderungen sofort bemerken und darauf reagieren müßten. Das wissen wir beide.

Bevor ich gehe, sagt die Frau mit den goldenen Augen:

«Ich werde von den Nachbarn seit langem sehr mißtrauisch beobachtet, denn keiner weiß, wer der Vater des Knaben ist. - Sei bitte sehr vorsichtig. Niemand darf merken, daß du luzid bist!»

In diesem Moment wird mir definitiv klar, daß diese Frau nicht nur mich, sondern auch meinen außerkörperlichen Zustand kennt und zudem weiß, daß ich mich normalerweise nicht auf dieser Ebene aufhalte.

«Du musst mir verzeihen», sagt sie weiter, «daß es nicht in meiner Macht steht, böses Blut zu verhindern, falls jemand merken sollte, dass du bewußtseinskontinuierlich bist.»

«Sei nur beruhigt», anworte ich, «ich werde sehr vorsichtig sein. Außerdem werde ich nun wieder gehen. Also wird mich hier niemand sehen. Besten Dank, daß ich diesen eindrücklichen 'Modellversuch' habe sehen und erleben dürfen. Danke auch dafür, daß Du mir eine derart herzliche Aufnahme bereitet hast!»

Dann gehe ich in den Garten hinaus, den wir im Verlaufe unseres Gespräches über das Treppenhaus hinunter erreicht haben. Dabei schaue ich mich vorsichtig um, vergewissere mich, daß niemand mich sieht oder sehen kann und verschwinde unauffällig zwischen den Bäumen und den Büschen.

Gerne würde ich weiterhin bewußtseinskontinuierlich im außerkörperlichen Zustand bleiben, doch ist jetzt ein schwacher Sog zu spüren, der eindeutig von meinem physisch-materiellen Körper stammt. Sofort lasse ich mich in ihn zurückziehen, wobei für einen ganz kurzen Moment eine dunkle Übergangszone zu durchqueren ist, in welcher ich nichts zu erkennen vermag. Dabei erleide ich nicht den geringsten Verlust der Bewußtseinskontinuität und bin schnell wieder zu Hause in Bett im Körper - nunmehr aber im tatsächlichen Heim, in dem auch meine Frau und unsere beiden Kinder leben. Nach knapp zwei Minuten stehe ich auf, um im Badezimmer das eben Erlebte zu notieren, damit es nicht vergessen wird.

Es ist 00:20 Uhr. Und bis 00:50 werden die ersten Notizen geschrieben. Dank der jahrelangen Schulung des Gedächtnisses ist es mir auch jetzt wieder möglich, mich sehr genau und manchmal sogar erschreckend detailgetreu zu erinnern.

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