Die Spur der Quader 8
Der Diamantkörper Werner Zurfluh |
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Teil 2
4. Eine Anekdote des Scheiterns
«Meister
Lü Dsu sprach: Eure Arbeit wird allmählich gesammelt und reif.»
Aber es gibt «noch viele Möglichkeiten des Irrtums. ... Diese Zustände
erkennt man erst, wenn man sie persönlich erlebt. So will ich sie hier aufzählen.»
Die Arbeit hat auch «Schritt für Schritt ihre Bestätigungszeichen,»
doch «erst möchte ich von den Irrtümern reden und dann auf die
Bestätigungszeichen zu sprechen kommen» (Wilhelm (1929) 1965:98).
Was
die Irrtümer betrifft, sei der luzide Traum von jemandem erzählt, der
sich seit gut 2 Jahren intensiv darum bemüht, im Schlafzustand des
physischen Körpers die Bewußtseinskontinuität nicht zu
verlieren. Er schrieb mir im Mai 1998:
... Irgendwann bin ich luzid geworden und befinde mich in einer Großstadt. Die Leute, die mir begegnen, sind wieder einmal sehr aggressiv. Ich verstehe nicht, warum sie mich verfolgen und ständig begrabschen müßen - und versuche für ne Weile, das zu ignorieren. Aus diesem Grunde will ich auch eine schöne Umgebung 'herbeizaubern'. Das gelingt nicht! Also sende ich Frieden aus. Funktioniert auch nicht! Schließlich habe ich mich - wieder einmal - unsichtbar machen müssen und bin von A nach B und dann nach C geflohen.
Die Leute schießen auf mich, was allerdings keine Schmerzen verursacht. Sie gehen auf mich los mit scharfen, spitzen Gegenständen. Letztendlich hat mich das auch aggressiv werden lassen. Ich will davonfliegen. Aber das geht - wieder einmal - nur in Zeitlupe. Andauernd werde ich verfolgt! Dann bin ich am Bahnhof und laufe dort rum. Ein Mann kommt auf mich zu und meint, er würde jetzt mit mir schlafen. Ich gerate in Panik und renne wieder davon ..., aber der Typ läßt sich einfach nicht abschütteln. Voller Aggression brülle ich ihn an:
«Stirb!»
Darauf stirbt er, aber kurze Zeit später verfolgt er mich wieder - es ist total niederschmetternd.
Dann stehe ich auf einer belebten Straße und will mal ausprobieren, ob die Autos durch mich hindurchfahren. Allerdings fahren mich die Autos an, und ich knalle zuerst auf die Kühlerhaube und pralle anschließend auf der Windschutzscheibe ab. Das ist allerdings sehr spaßig, weshalb ich dies bestimmt fünf Mal wiederhole. Dabei begrabsche ich durch die Scheiben hindurch die Fahrerinnen. Später beteilige ich mich noch an einer wilden Wasserfahrt auf einem Fluß, was ebenfalls Spaß macht.
Aber das, was von diesem luziden Traum hängen blieb, ist echt ziemlich enttäuschend. Ständig befand ich mich auf der Flucht. Und ich HABE oft versucht, die Umgebung umzuformen. Ich stand auf der Straße und wollte die Schwingungen verändern - aber nichts! Das einzige, was mir bei solchen luziden Träumen wirklich hilft, ist das Sich-Unsichtbar-Machen. Als der luzide Traum zu Ende war, war ich so ziemlich den Rest des Tages down.
Wenn dies das einzige Resultat der Bemühungen
ist, die Bewußtseinskontinuität im Schlafzustand des physischen Körpers
beizubehalten, ist tatsächlich nicht einzusehen, wozu all die Mühen
zur Erschließung der Bewußtseinskontinuität gut sein sollen. Es
wäre allerdings sinnvoll, sich die Frage zu stellen, ob etwas in dieser Art
in jedem Fall geschehen muß, oder ob diese Sackgasse nur ein Irrtum ist
und überwunden oder sogar vermieden werden kann, falls das Ich bereit ist,
sich in seiner Egohaftigkeit unsichtbar zu machen.
Die verfolgenden
Wesen können als "Geister der niederen Ebenen" oder eben als «finstere
Dämonen in einer Welt des Wahnbegehrens» (vgl. Wilhelm (1929)
1965:100) bezeichnet werden. Sie sind u.a. daran zu erkennen, daß
durch sie eine bedrückend-einsame Stimmung erzeugt wird.
Interessant
und bedenkenswert ist, daß es Grenzen der Beinflussung gibt, obwohl es den
Anschein macht, bei der Welt des Traumes handle es sich um 'reinen'
Privatbesitz, der sich beliebig kontrollieren läßt. Gerade in solchen
Fällen, in denen aus irgendwelchen Gründen bei der Erschließung
der nächtlichen Quellen "Irrwege" beschritten werden und luzide
Träume beinahe krankhaft scheinen, ist es besonders wichtig, sorgfältig
jene Dinge zu beachten und zu hinterfragen, die NICHT den eigenen
Vorstellungen entsprechen
So geht es z.B. nicht darum, nach dem Grund
der Verfolgungen zu fragen oder danach, was getan werden muß, damit das
Geschehen kontrolliert werden kann. Solche Fragen verheddern das Ich nur noch stärker
in die «Vorstellungsbilder des Kalten und Absterbenden» (vgl.
Wilhelm (1929) 1965:99).
Oder, wie C.G. Jung schreibt: «Man muß
psychisch geschehen lassen können. Das ist für uns eine wahre Kunst,
von welcher unzählige Leute nichts verstehen, indem ihr Bewußtsein ständig
helfend, korrigierend und negierend dazwischenspringt und auf alle Fälle
das einfache Werden des psychischen Prozesses nicht in Ruhe lassen kann» (Jung
(1929) 1965:14).
Und Meister Lü Dsu lehrt: «Wenn die
Geschäfte auf uns zukommen, so muß man sie annehmen; wenn die Dinge
auf uns zukommen, so muß man sie bis auf den Grund erkennen» (Wilhelm
(1929) 1965:104).
Wer beginnt, sich mit luziden Träumen und außerkörperlichen
Erfahrungen auseinanderzusetzen, kommt u.U. zu folgenden Feststellungen bzw.
sogar zu einer Auflistung einer Art von 'Anekdote des Scheiterns':
«Warum kann ich in meinen Träumen nicht das machen was ich will? Wie kann ich es erreichen, das Geschehen zu kontrollieren? Mich ärgert das total, und ich glaube nicht mehr richtig daran, daß es überhaupt funktioniert. Wie oft stand ich schon auf Straßen, Feldern und Wegen oder hing in der Luft - und wollte die Umgebung verändern. Und wie oft mußte ich frustriert feststellen, daß ich keine Kontrolle habe. Warum fliege ich wie ein besoffener Schmetterling und warum bin ich immer so sexbessenen. Weshalb gelingt es mir nicht immer, durch Mauern und geschlossene Türen zu gehen oder zu greifen? Weshalb gerate ich in Angst, Furcht und Panik und weshalb überkommt mich tiefstes Unbehagen - obwohl sich doch alles nur im Kopf abspielt? Warum gelingt oft überhaupt nichts von dem, was ich mir vorgenommen habe, in einem luziden Traum zu tun? Niemand erscheint, um meine Fragen zu beantworten. Es gelingt mir nicht, bestimmte Personen herbeizuwünschen. Ich werde verfolgt und kann nicht richtig fliegen - und es gelingt mir nicht, einen Flug zu unterbrechen und auf dem Boden zu landen. Und vor allem: Warum mag mich niemand von denen, die ich in einem luziden Traum antreffe. Ich habe fast keine Lust mehr, in der Nacht auf 'Reisen' zu gehen!»
Daß hartnäckige Verfolger in
Erscheinung treten, ist ein Hinweis darauf, daß es nicht primär darum
geht, eine Situation zu kontrollieren, sondern darum, ihr zu BEGEGNEN,
SICH SELBST zu disziplinieren und die eigenen Schattenaspekte zu
integrieren. Letztlich, sagt Remo F. Roth, ist das in der Körperlichkeit
gefangene Seelische durch sorgsames Bebrüten aus der Materie zu befreien
und ein Hauchkörper (Diamantkörper, subtle body etc.) aus der Körpermaterie
aufzubauen. Die in luziden Träumen immer wieder auftretenden sexuellen
Obsessionen erzwingen hingegen geradezu die Begegnung mit einem "Gegenüber",
z.B. einem Geschlechtspartner. Hinter dieser Problematik versteckt sich das
weite Feld der erotischen Liebesbeziehungen in all seinen Abstufungen - bis hin
zur spirituellen bzw. tantrischen Sexualität und zum göttlichen
Hierosgamos. Die Hochzeitssymbolik des Hierosgamos, das Mysterium Conjunctionis,
beschreibt einen Prozess, den C.G. Jung die Anima-Integration des Mannes und die
Animus-Integration der Frau genannt hat. (Hierzu vgl. Roth 1998:
Was uns die Träume
über ein mögliches Leben nach dem Tod sagen.) Sollte etwas in
irgendeiner Form zu einer Verstrickung des Ich führen, bedeutet dies immer "nur",
daß die in Frage stehende Angelegenheit noch nicht geklärt worden
ist, weshalb ihr nicht mit Gelassenheit begegnet werden kann. - «Auch darf
man sich nicht verleiten lassen von den zehntausend Verstrickungen. Dies
geschieht, wenn ohne Unterbrechung allerlei Bindungen plötzlich auftreten,
nachdem man den Ruhezustand begonnen hat» (Wilhelm (1929) 1965:99).
Es
wäre zudem wichtig, eventuell störende Alltagsbelange nicht zwangshaft
dominant werden zu lassen: «Alle Verwicklungen soll man beiseite legen,
ganz souverän und selbständig sein. Auch darf man nicht die Gedanken
auf die richtige Ausführung richten. Wenn man sich zu viele Mühe gibt,
so tritt diese Gefahr ein. Ich sage nicht, daß man sich keine Mühe
geben soll, aber das richtige Verhalten ist in der Mitte zwischen Sein und
Nichtsein; wenn man absichtlich die Absichtslosigkeit erlangt, dann hat man es
erfaßt» (Wilhelm (1929) 1965:98-99). Das tönt etwas
widersprüchlich, aber die "absichtliche Absichtslosigkeit" ist
wie das "handelnde Nichthandeln" die Grundvoraussetzung für das
Gelingen der Quest der Bewußtseinskontinuität und der "Herstellung
des Diamantkörpers", denn das «Nichthandeln verhindert, daß
man in Form und Bild (Körperlichkeit) verwickelt wird. Das Handeln im
Nichthandeln verhindert, daß man ins starre Leere und tote Nichts versinkt»
(Wilhelm (1929) 1965:105).
Verfolgung, Aggressivität und
Handlungsunfähigkeit sind insofern gute Zeichen, als damit verdeutlicht
wird, daß die Dinge nicht unbedingt so laufen, wie das Ich in seinem Wahn,
alles kontrollieren zu wollen, sich das so vorstellt. Es geht keinesfalls darum,
die in einem luziden Traum auftauchenden Welten lückenlos zu überwachen
und zu beherrschen, sondern bloß darum, die egohaften Tendenzen des Ich zu
zügeln.
Wenn die Bewußtseinskontinuität dafür
genutzt wird, spassige Spielchen zwecks Befriedigung des Ego zu veranstalten,
ist dies ein Zeichen dafür, daß sich das Ich mit dem Ego
identifiziert. Ein egobezogenes Ich ist leider unfähig, offen, gelassen und
wechselwirkend in eine Situation hineinzugehen. Statt dessen zwingt es sich
dazu, primär seinen Ego-Status mit allen Mitteln zu verteidigen. Demzufolge
muß das Geschehen andauernd manipuliert werden, und es gelingt nicht,
genau hinzusehen, zurückhaltend zu beobachten und still hinzuhören.
Wenn die gesamte Energie nur darauf verwendet wird, etwas zu beinflussen und
nach eigenem Gutdünken zu ändern, wird die Möglichkeit verpaßt,
das Unerwartete und Überraschende zu erkennen und darauf situationsadäquat
zu reagieren - oder einfach nur zu staunen. Das egoistische Verhalten führt
unweigerlich zur Eindimensionalität.
5. Ein weiterer Irrtum
Selbstverständlich
sind auch bei mir Dinge geschehen, die auf mögliche Irrtümer
hinweisen. Eine egobezogene Bewußtseinskontinuität verschwindet nicht
einfach definitiv, sondern kommt mit subtiler Leichtigkeit wieder zum Vorschein,
wenn das Ich unaufmerksam wird und meint, seine Überzeugungen ungefragt
vertreten zu müssen. Das Ich wird schnell einmal dazu verleitet, magische
Operationen durchzuführen und die Dinge zu beinflussen. Dies geschah bei
mir am 8. Januar 1980, als ich versuchte, ein erkenntniskritisches Gespräch
anzuzetteln und meinen außerkörperlichen Zustand zu beweisen. Dieses
Vorgehen verursachte ein starkes 'Wirbelfeld' und erzwang eine Rückkehr. Es
hätte eben folgendes bedacht werden müssen:
«Oder wenn
beim langen Sitzen die Vorstellungen in Scharen sich erheben, man will sie
hemmen, es geht nicht; man läßt sich von ihnen treiben und fühlt
sich leichter: dann darf man unter keinen Umständen mit der Meditation
fortfahren, sondern muß aufstehen und eine Weile umhergehen, bis Kraft und
Herz wieder im Einklang sind; dann erst mag man sich wieder zur Meditation
hinsetzen.» (Wilhelm (1929) 1965:100)
... In einer Stadt ganz in der Nähe des Hauptbahnhofes begegnen mir zwei jüngere Frauen. Die Freude des Wiedersehens ist groß, denn wir kennen uns von früher und stehen uns irgendwie nahe. Das hat allerdings nichts mit sexueller Anziehung zu tun - es ist einfach eine 'Herzensverbundenheit'. Die Frauen sind sich ihres Zustandes nicht bewußt, verfügen also über keine Bewußtseinskontinuität bzw. Luzidität. Wir sprechen über ihr Universitätsstudium und auch ein bißchen über meine momentane Arbeit. Bei diesem Gespräch werde ich nach und nach "reflexiv" und schließlich "luzid" und erreiche einen lückenlosen Anschluß an die Alltags-Erinnerungen, zumal ich von Dingen erzähle, von denen die beiden nichts wissen können.
Es dauert einige Minuten, bis ich die volle Luzidität erreicht habe. Ein Grund dafür könnte der sein, daß ich apriori keine ausdrückliche Kontrolle der Bewußtseinskontinuität gemacht habe, weil dafür nicht die geringste Notwendigkeit bestanden hat. Aber durch den beim Gespräch gebotenen Einbezug derart vieler Alltags-Erinnerungen und erkenntniskritischer Überlegungen kommt es ganz so nebenbei zu einem Total-Check meines Zustandes.
Dennoch bin ich nicht ganz zufrieden, denn ich hätte noch eine gesonderte Kontrolle machen müssen, die nichts (!) mit dem laufenden Geschehen zu tun hat. Möglicherweise ist eben nur das eine echte Kontrolle! Sie muss 'außerhalb' des Geschehens stehen, weil nur dann 'die Welt angehalten' werden kann. Dies ist wohl einer der zentralen Punkte der meditativen Kontrolle der Bewußtseinskontinuität. Sie läßt sich tagsüber einüben und verlangt zeitlich keinen großen Aufwand. Zudem gibt es hierfür eine Unmenge von Techniken und Angeboten. Welche Methode gewählt wird, ist ziemlich belanglos. Das eigentliche Problem besteht bloß darin, daß regelmässig meditiert wird.
Mich wundert beim Gespräch vor allem die Diskrepanz der von den Frauen geschilderten anderweltlichen Ereignisse zu dem, was sie auf der Alltags-Ebene tun, und ich erinnere mich zu guter Letzt daran, mehrere Verlagsprospekte bei mir zu haben. Ich schlage eines auf und sehe, daß der Bildinhalt nicht dem enstpricht, was mir von der Alltags-Ebene her bekannt ist. Meine Worte sind folgende:
«Möglicherweise ist dieses Prospekt hier in der Anderwelt ein zukünftiges Prospekt der Alltagsebene.»
Um diesen Verdacht genauer untersuchen und später mit den Alltags-Gegebenheiten vergleichen zu können, versuche ich, den Text zu lesen. Doch zuvor mache ich die Frauen auf ein höchst interessantes Problem aufmerksam, das in luziden Träumen und in außerkörperlichen Erfahrungen beobachtet werden kann: Lesen ist schwierig und nur selten problemlos möglich. Aber jetzt könnte es klappen!
Außerdem sage ich zu den Frauen:
«Ihr seid jetzt ja selber in ein nächtliches Geschehen verwickelt und werdet vielleicht ähnliche Probleme wie ich haben. Also können wir gemeinsam der Sache nachgehen. Dies wäre allein schon deswegen sehr aufschlußreich, weil sich daraus später die Möglichkeit ergibt, im Alltag Übereinstimmungen nachzuweisen.»
Ich beginne die ersten Zeilen im Prospekt zu lesen und stelle erstaunt fest, daß die Buchstaben und Wörter überhaupt keinen Sinn ergeben. Vor allem dann nicht, wenn ich genauer hinsehe - nämlich so genau, daß es mir möglich wäre, das Gelesene zu memorieren. Die beiden Frauen werden sofort informiert:
«Ich habe offensichtlich die Zeilen zu stark fixiert!«
Aber auch beim nächsten Versuch ist nichts zu machen, und es gelingt mir auf keine Weise, den Sinn des Gelesenen zu erfassen. Andauernd verändert sich der Text, wobei die Ursache der Umformungen nicht zu erkennen ist.
Zukünftige Möglichkeiten sind immer nur Wahrscheinlichkeiten und niemals feststehende Größen. Wenn also versucht wird, ein Blick in die Zukunft zu erhaschen, wird das Gesehene einen mehr oder weniger verschwommenen Eindruck machen - vor allem in der "digitalen" Textform. Buchstaben sind zu feststehend und ergeben meist zu eindeutige Worte, auch wenn die semantischen Felder eine gewisse Unschärfe aufweisen. Bildhafte Eindrücke hingegen sind dank ihrer eher "analogen" Eigenschaften besser geeignet, zukünftige Wahrscheinlichkeitsfelder auszudrücken.
Am Tisch, an dem die Leseversuche stattfinden, sitzen jetzt auch andere Leute. Als diese hören, daß ich der Meinung bin, im außerkörperlichen Zustand zu sein, bezweifeln sie dies und verlangen einen Beweis. Ich sage ihnen, daß es mir im außerkörperlichen Zustand beispielsweise möglich sei, durch feste Gegenstände hindurchzugehen.
Um meine Behauptung zu beweisen, beuge ich den Kopf so stark nach hinten, bis es zur Berührung und anschließend sogleich zur Durchdringung der Wandtäferung kommt. Die Anwesenden sind sichtlich beeindruckt. Andererseits scheinen sie - ihren Reaktionen nach zu urteilen - den Nachweis nicht recht erfassen und begreifen zu können. Es fehlt ihnen die Bewußtseinskontinuität, weshalb sie sich nicht an ihre Existenz im Alltag zu erinnern vermögen. Also verfügen sie nicht über das dafür notwendige Vertikalbewußtsein, das die verschiedenen Erfahrungsebenen erinnerungsmäßig miteinander verbindet. Aber nur diese Vertikale würde es ihnen erlauben, meine Demonstration einigermassen nachzuvollziehen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu erkennen. Wenigsten scheinen sie ganz am Rande das Geschehen erfaßt oder zumindest irgendwie erahnt zu haben.
Nun spüre ich, daß während meines Beweisversuches - wie beim Lesen zuvor - irgendwelche 'Wellen' erzeugt werden. Die 'Schwingungen' sind wegen der durch die Beweislast für mich und die anderen durch Emotionen wesentlich stärker belasteten Situation ausgeprägter. Die durch den Versuch erzeugten 'Vibrationen' werden von anderweltlichen Wesen registriert. Diese Gestalten sind für mich unfaßbar. Deutlich ist jedoch zu spüren, daß sie den Versuchen gegenüber eine prinzipiell feindliche bzw. ablehnende Haltung einnehmen. Vor allem scheinen sie nicht zu wünschen, daß auf irgendeiner Traum-Ebene Luzidität erreicht wird - und schon gar nicht, daß jemand um die Bewußtseinskontinuität weiß und dieses Wissen anderen zu vermitteln sucht. Deshalb beginnen sie spürbar, mich als eine Person anzupeilen, die ein Störfeld erzeugt.
«Jemand will mich angreifen!» sage ich lapidar zu den Tischgenossen. «Ich muß schleunigst von hier verschwinden und in den Alltags-Körper zurückzukehren. Sobald die Unbekannten nämlich meinen Aufenthaltsort festgestellt haben, werden sie den Sog verstärken. Ein solches Attraktionsfeld würde jedoch meine Bewegungsfreiheit einschränken und es mir unmöglich machen, diese Ebene ohne Verlust des Erinnerungsvermögens zu verlassen.»
Eigentlich bekommen die Anwesenden meine Worte nur ganz am Rande mit. Ihre Bedeutung erfassen sie nicht. Da sie mir gegenüber nicht feindlich eingestellt sind, bleiben sie zurückhaltend und machen keinen Beeinflussungsversuch. Ich lehne mich also noch stärker zurück und falle bewußt in den physischen Körper hinein, dessen Position mir genau bekannt ist.
Es gibt nur einen kurzen Übergang ohne jegliches Black-Out, bei dem eine schmale und sehr kurze Passage von 'grau-schwarzer' Farbe zu passieren ist. Dann erwache ich sofort im schlafenden Körper und spüre ihn vollständig. Gleichzeitig mit dem physischen Erwachen auf der Alltagsebene wird jeder Kontakt mit eventuellen Verfolgern abrupt beendet. Ihnen ist ab sofort keine direkte Lokalisierung mehr möglich, denn die Deckungsgleichheit des Ich mit der materiellen Körperlichkeit auf der Alltagsebene löst mich sozusagen im Irdischen auf und läßt mich verschwinden! Es würde ihnen sogar nicht einmal etwas nützen, wenn sie wüßten, wo ich bin, denn der physische Körper wirkt wie ein undurchdringlicher Schutzpanzer.
Das ganze Erlebnis befremdet mich doch sehr. Ich muß einen Fehler gemacht haben durch die zeitliche Raffung der Versuche - und vor allem deren erkenntniskritischen Charakter. Die von mir erzwungenen Operationen haben offensichtlich ein zu starkes 'Wirbelfeld' erzeugt, weshalb 'dämonische Kräfte' auf mich aufmerksam geworden sind, die meine Bewußtseinskontinuität vernichten wollten.
Derartige Erfahrungen sind vor allem deswegen verblüffend, weil sie den gehegten Erwartungen total widersprechen. Wer sagt, alles würde sich "nur" im Gehirn und auf der "Subjektebene" abspielen, dürfte sich letztlich selber etwas zu viel zumuten und letzten Endes in die Falle der Ichhaftigkeit und des Solipsismus treten - ohne es zu bemerken. Bislang wurde ja nicht einmal verstanden, wie Gedächtnis oder Intelligenz funktionieren, weshalb eine Trivialisierung der nächtlichen Erfahrungen tunlichst zu vermeiden ist.
6. Der Donnerkeil
Der Diamant ist
ein geeignetes "Symbol" sowohl für die Unsterblichkeit wie auch für
die Bewußtseinskontinuität. Diamant und Bewußtseinskontinuität
sind durchsichtig, "unsichtbar" und doch vorhanden. Beide lassen
Lichtstrahlen ungehindert, ungetrübt und ungefiltert passieren und brechen
sie je nach Schliff zu einem oszillierenden Feuerwerk sämtlicher Farben - ähnlich
einem Regenbogen. Beide sind stabil, beständig und kontinuierlich. Der
Diamant wurde wegen seiner Härte, Durchsichtigkeit und Farbe der edle und
gebenedeite "Stein der Philosophen" genannt. Der "lapis
philosophorum" kann nicht angegriffen werden, er strahlt unberührt und
unverändert in der inneren (und äußeren) Welt, bis er sich eines
Tages dem Ich enthüllt. Vermutlich geschah dies bei mir am 18. Januar
1974:
... Dann sehe ich auf dem Boden plötzlich einen riesigen Diamanten in Form eines Vajra, eines Donnerkeiles. Er ist mindestens ein Meter lang, weist an den Enden kugelförmig ausgebildete Verdickungen auf und ist unglaublich kompliziert geschliffen. Außerdem glitzert das Gebilde mit unbeschreiblicher Stärke, Klarheit, Schärfe, Vielfalt und Farbenprächtigkeit - ein lebender Diamant! Ich bin zutiefst beeindruckt. ... (Die ganze Erfahrung ist in den "Quellen der Nacht" S.132-133 erzählt.)
Weil der Donnerkeil mit der Bewußtseinskontinuität
zu tun hat, sei diese an dieser Stelle doch etwas genauer erläutert:
Der
wohl wesentlichste Bestandteil meiner Ausführungen ist und bleibt die
Kontinuität des Ich-Bewußtseins, die Bewußtseinskontinuität
(= BK). Luzides Träumen und Außerkörperlichkeit sind nur als
eventuell auftretende Nebeneffekte dieser Kontinuität zu betrachten. Sie
werden beinahe wie selbstverständlich in dem Moment erlebt, wenn das Ich
bereit ist, für eine Weile die gewohnte Identität mit dem Zustand des
physischen Körpers aufzugeben. Dabei bleibt das Ich sich selbst bewußt
und überläßt dem Körper die Selbstorganisation des
Einschlafens. Gleichzeitig ist dieses Tun, das vor allem darin besteht, nichts
zu tun, auch eine heitere Einübung des Sterbens.
Die Entkoppelung
des Bewußtseinszustandes von Körperzustand ist sehr leicht zu
bewerkstelligen, denn sie verlangt vom Ich nur die Bereitschaft, jene Dinge
loszulassen, mit denen es meinte, sich identifizieren zu müssen. Solange
jedoch das Haben an erster Stelle steht, wird das Sein zum Problem. Aus diesem
Grunde sei nun der Unterschied erläutert zwischen einer leeren bzw.
inhaltslosen BK (= BK 0/0) und einer inhaltsbefrachteten BK (= BK m/n), denn «man
muß zwischen dem Sein und dem dieses und jenes sein unterscheiden,
zwischen dem 'Ich bin der Ich bin' und dem 'Ich bin dieser oder jener', zwischen
dem Sich-Enthüllen ohne Namen und Gestalt und dem Leben für Namen und
Gestalt» (Raphael in: Shankara (1977) 1992:6).
BK m/n ist
eine Ich-Bewußtheit, die einen bestimmten Inhalt 'besetzt' hat und sich
mit der gegebenen Form identifiziert. Dies kann verglichen werden mit Wasser (BK
0/0), das ein spezifisch geformtes, kompaktes Gefäss (m/n) vollständig
'erfüllt'. Auf diese Weise wird die BK 0/0 zu einer BK m/n. Wird das Wasser
gefroren und das Gefäß zerschlagen oder aufgelöst, bleibt nur
das pure Eis übrig. Dieses Eis hat nun exakt die Form des Gefässes.
Ohne genaues Bedenken dieser Situation kann es mit Leichtigkeit zu einer
Verwechslung kommen insofern, als das Eis (die BK 0/0) mit dem Gefäß
(m/n) identifiziert wird. Es wäre also auch ein Leichtes, zu meinen, das
Ich sei identisch mit einer bestimmten Körperlichkeit.
Die BK 0/0
kann irgendeinen Inhalt 'erfüllen' und sich mit diesem vereinen - ohne sich
damit zu identifizieren. Es kann sich dabei um ein Tier, eine Pflanze, einen
Stein oder sogar die ganze Welt handeln. Viele Schamanen nutzen diesen Umstand für
eine BK-Übertragung, um z.B. mit den Augen eines über die Prärie
fliegenden Adlers zu sehen und die Situation auszukundschaften. Normalerweise
ist es so, daß die BK einen physischen Körper 'einnimmt'. Dabei kommt
es zu einer Identifizierung mit der betreffenden Körperlichkeit, die schließlich
in eine totale Identität von Ich und Körper einmündet. Es ist
dann nicht der Körper, der schläft, sondern das Ich, nicht der Körper,
der Schmerz empfindet, sondern das Ich.
Natürlich ist es
sinnvoll, sich mit der momentan eingenommenen Körperlichkeit zu
identifizieren. Aber das sollte bewußt, freiwillig und in eigener
Verantwortung geschehen - und im Wissen darum, daß der 'eigene' Körper
eines Tages sterben wird.
BK 0/0 ist also die LEERE bzw.
inhaltslose Bewusstheit - die "eigentliche" BK und der "Wurzelgrund"
einer jeden BK m/n. Es wäre sehr klug, stets GLEICHZEITIG BK 0/0
und BK m/n zu sein, d. h. stets die Verbindung zum 0/0 beizubehalten! Dies
'wirkt' zu jedem Zeitpunkt relativierend, läßt jedoch die
Verantwortung weiterhin bestehen.
Manche werden sich als erstes
fragen, inwieweit sich das Ich-Bewußtsein (BK 0/0) von dem Bewußtsein
unterscheidet, das bei körperlicher und geistiger Wachheit vorhanden ist
(BK m/n). Wer versucht, die BK während 24 Stunden täglich
beizubehalten, sieht sich nämlich schnell einmal mit folgenden Problemen
konfrontiert: Tagsüber tritt häufig das Gefühl auf, in einem
Traum zu sein, und nachts gelingt es nicht, einzuschlafen.
Letzteres
ist eine Folge der sprachlichen Konditionierung, die sehr subtil ist. Das Körper
schläft ein, nicht das Ich. Wenn aber auch nur ganz beiläufig gedacht
wird: «Es gelingt mir nicht, einzuschlafen!» ist die Identifizierung
mit dem physischen Körper schon wieder geschehen. Weil das Ich es versäumt
hat, sich die Frage nach dem «WER schläft ein?» zu
stellen, zwingt es sich dazu, einen bestimmten Inhalt und damit eine physische
Körperlichkeit zu übernehmen. Das Ich muß sich darüber klar
werden, daß es NUR der Körper ist, der einschläft, und
NICHT die BK! Das Ich muß nicht schlafen und kann stets hellwach
bleiben - ohne zu ermüden!
Das Gefühl, auch tagsüber in
einem Traum zu sein, ist ein gutes Zeichen, denn eine der Konsequenzen und eine
der grössten Herausforderungen der BK ist die Erkenntnis, daß ALLES
ein Traum und gleichzeitig ALLES Realität ist.
«Es
scheint mir denn doch wesentlich vernünftiger zu sein, der Seele dieselbe Gültigkeit
einzuräumen, wie der erfahrbaren Welt und ersterer dieselbe 'Wirklichkeit'
zu verleihen, wie letzterer» (Jung (1929) 1965:47).
Die
BK bedeutet unweigerlich, daß alles Tun und Handeln des Ich irreversibel
ist und seiner alleinigen Verantwortung obliegt. Umso wichtiger ist es deshalb,
mit äußerster Sorgfalt und Aufmerksamkeit durch die Welten des
Alltags und der Nacht zu gehen - ohne Hast und Übermut. Das eigene Tun wird
zu einem 'handelnden Nichthandeln' (Wu-Wei) und ist geprägt von einer
'aktiven Passivität'.
Wer beginnt, sich mit der BK
auseinanderzusetzen, kann manchmal eine Konzentration auf das Ich als Ego
beobachten. Die Betonung wird auf das Wort "Ich" gerichtet. Dadurch
entsteht der Eindruck der Egozentrik oder der Eindruck, daß das Ich
alleine und eine Interaktion mit anderen Wesen unnötig sei.
Dies
ist ein fatales Mißverständnis, das unweigerlich die Falle des
Solipsismus zuschnappen läßt. Jeder Mensch ist eine BK 0/0 Einheit für
sich, aber gleichzeitig wie ein Wassertropfen im Meer des alles umfassenden 0/0
enthalten. Was ist nun der Unterschied zwischen dem Meer und dem Tropfen?
Bedeutet die Grenzenlosigkeit des Meeres auch eine Grenzenlosigkeit des
Tropfens? Sind Meer und Tropfen identisch? Jein!
Eine Beantwortung
dieser Fragen in einem dualen System ist unmöglich. Nur ein Sowohl-Als-Auch
kann einem Entweder-Oder ein Metasystem sein. Eine Wechselwirkung auf "körperlicher"
Ebene, die einen Schöpfungsprozeß zur Folge hat, bedingt, daß
sich BK 0/0 Einheiten voneinander absondern und - laut Bibel mehr oder weniger -
freiwillig das Paradies des Sowohl-Als-Auch verlassen. "Draußen"
sind sie in die Erzeugung einer äußerst mannigfaltigen, diffizilen
und filigranen, GEMEINSAM aufgebauten Wirklichkeit einbezogen. Dabei
kommt es zu einer andauernden Wechselwirkung und gleichzeitig zu einem
gegenseitigen Erkennen.
Die Menschen tauschen sich miteinander aus,
treten zueinander in Beziehung und reagieren aufeinander. Niemand ist alleine,
denn ohne Interaktion gibt es kein Leben und ohne Intersubjektivität keine
kontinuierlich fortschreitende Schöpfung. Wenn das Ich es schafft, sich
sowohl des 0/0 (das "Zentrum des Zyklons", wie John C. Lilly sagt) wie
auch des m/n - eines begrenzten Inhaltes - bewußt zu bleiben, lebt es in
der Vielfalt der Einheit.
Fortsetzung 7. Was ein Kind finden kann
in:
Die Spur der Quader Teil 9
Konvertierung zu HTML Mai 1999
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http://www.surselva.ch/oobe
e-mail: werner.zurfluh@surselva.ch
©Werner
Zurfluh