und Kanna Kalas eine tatarische Heldensage Teil 1/2 |
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Unter einem hohen Berge am weißen Meere stand ein Uluss; voll von Volk und voll von Vieh war die Steppe. Über diesen Uluss herrschte ein Held. Kulate Mirgän mit weißblauem Rosse. Seine Frau hieß Kubâsen, und sie hatte eine Tochter, Namens Kubaiko, sowie einen Sohn, Komdei Mirgän, mit weißbraunem Rosse. Das Mädchen Kubaiko war fünf Jahre alt, der Sohn drei Jahre. Diese Nacht schläft man. Am Morgen steht Kulate Mirgän auf, kleidet sich an, sattelt sein Roß und waffnet sich. Seine Frau kommt und fragt ihn: »Wohin fährst du, mächtiger Held?« Der Alte antwortet: »Unser Mädchen ist fünf Jahre lang gewachsen und so lange habe ich mein Vieh nicht gesehen. Es ist Zeit endlich zu gehen und über das Vieh Rechnung zu halten. Mein Sohn ist drei Jahre lang gewachsen und während dieser ganzen Zeit habe ich nicht nach dem Volke gesehen. Nun will ich gehen um auch nach meinem Volk zu sehen.« So sprach er und begab sich auf die Reise. Er reiste zuerst durch die offene Steppe und kommt dann auf einen hohen Berg. Vom Berge blickt er herab und sieht sein vieles Volk und seine reichen Herden. Selbst wundert er sich und spricht: »Wieviel Volk und wieviel Vieh hat mir nicht Gott verliehen!«
Während er steht und sich rühmt, fragt ihn sein weißblaues Roß, was er stehe und mit sich spreche. Kulate Mirgän erwidert: »O du mein weißblaues Roß! Glaubst du, daß irgend jemand in dieser lichten Welt Gottes soviel Volk und soviel Vieh hat, als ich?« Das Roß antwortet: »O du mein Hauswirt Kulate Mirgän! Es gibt Helden in der Welt, die weit reicher und stärker sind als du.« Kulate Mirgän fährt fort: »Was kennst du für Helden, welche mir überlegen wären?« Das Roß antwortet: »Jenseits neun Länder von hier lebt ein Held, Kalangar Taidji, mit scheckigem Rosse, und ein anderer, Katai-Chan, mit weißbraunem Rosse. Sie sind beide Brüder und mächtige Helden, beide dir weit überlegen. Noch haben sie einen Schwager, Sokai Alten, mit tigerfleckigem Rosse.« »Heute«, fährt das Roß fort, »kommt von ihnen eine Botschaft zu dir, um von dir Tribut zu fordern. Sie nehmen Tribut von allen Helden in diesem Lande und auch von dir werden sie fortan Tribut fordern.«
Kulate Mirgän meint, daß er nie in seinem Leben an irgend einen Chan, wie mächtig er auch sein mag, Tribut zahlen werde. Darauf reitet er heim, unterwegs aber, nicht weit vom Hause, sieht er Spuren eines Heldenrosses. Er kam heim und im Sattel sitzend ruft er seinen Sohn und seine Tochter zu sich heraus. Darauf fragt er sie, was für ein Held zum Uluss geritten sei. Sie antworteten: »Zu uns ritt während deiner Abwesenheit ein mächtiger Held mit rothaarigem Roß, Namens Kan Mirgän, wir wissen aber nicht, wer er ist und woher er gekommen.« Der Vater fährt fort den Sohn zu fragen: »Was hat dieser Held euch gesagt und verkündet?« »Er hat gesagt«, entgegnet der Sohn, »daß zwei Brüder, Kalangar Taidji mit weißgrauem Rosse und Katai-Chan mit weißbraunem Rosse, sowie deren Schwager Sokai Alten mit tigerfleckigem Rosse Tribut von ihm fordern, und daß er ihnen vierzig Jahre entlaufen sei, da er allein nicht im Stande wäre mit den drei mächtigen Helden zu kämpfen. In Vereinigung mit dir getraue er sich den beiden Heldenbrüdern und deren Schwagerdie Spitze zu bieten. Nachdem er dies gesagt hatte, ritt er davon mit den Worten: "Wenn eine Botschaft von den zwei Heldenbrüdern kommt, so saget dem Boten nicht, daß ich hier gewesen bin."«
Als Kulate Mirgän dies gehört hatte, stieg er aus dem Sattel und in demselben Augenblick kam auch die Botschaft von den zwei Heldenbrüdern. Als der Bote kam, schrie er mit solcher Stärke, daß Kulate Mirgän zugleich mit seinem Rosse umfiel. Der Bote fragt: »Ist Kan Mirgän mit einem rothaarigen Rosse hier gewesen?« Erschreckt antwortet Kulate Mirgän: »Während meiner Abwesenheit ist er hier gewesen; meine Kinder haben ihn gesehen und mit ihm gesprochen!« Der Bote fährt fort: »Du mußt dich morgen bei Zeiten bei meinen Herrn Kalangar Taidji und Katai-Chan einfinden und ihnen Tribut bringen!« Sobald er dies gesagt hatte, schlug er auf sein Roß los und folgte dem Kan Mirgän auf den Spuren.
In sein Zelt gekommen fragt Kulate Mirgän seine Frau, was für Tribut die zwei Heldenbrüder von ihm fordern könnten: »Menschen, Vieh, oder was für Habe?« Die Frau anwortet: »Begieb dich morgen selbst zu ihnen und frage sie, was sie von dir fordern.« Kulate Mirgän stand am Morgen auf, kleidete sich an, sattelte sein Roß, waffnete sich und begab sich auf den Weg. Die zwei Heldenbrüder wohnen jenseits neun Länder. Sobald Kulate Mirgän auf den halben Weg gekommen war, sieht er eine Steppe voll von Volk. Er fragt das Volk, weshalb es sich versammelt habe und einer antwortet: »Es gibt zwei mächtige Heldenbrüder, welche von uns Tribut fordern und wir sind jetzt mit dem Tribut auf dem Wege zu denselben.« Kulate Mirgän fragt das Volk, womit es seinen Tribut den Heldenbrüdern entrichte und einer aus dem Volke erwidert, daß sie ihre Abgaben mit drei berghohen Haufen von Zobeln erlegen. »Ich«, sagt dazu Kulat Mirgän, »habe keine Zobel gefangen und werde ihnen den Tribut für meinen Kopf mit meinem Kopf selbst bezahlen, welchen ich ihnen jetzt in ihre Hände bringen will.« Hiermit ritt Kulate Mirgän seines Weges, legte die andere Hälfte des Weges zurück und kam zu einem Berge bei dem Uluss der beiden Heldenbrüder. Vom Berge sieht er den Uluss und ruft ihnen zu, sie aber hören den Ruf nicht, denn sie feiern ein Gastgebot. Wiederum ruft er den zwei Heldenbrüdern zu: »Ihr begehret, daß ich für mein Haupt einen Tribut in Zobeln bezahlen soll, da ich aber keine Zobel gefangen habe, so bringe ich euch mein Haupt selbst.« Als die zwei Heldenbrüder den Ruf noch nicht vernahmen, griff er zu seinem Bogen, schoß einen Pfeil ab und tötete beide Helden mit demselben.
Ihr Schwager Sokai Alten, als er den Tod der beiden Heldenbrüder erfuhr, setzte sich auf sein tigerfleckiges Roß und ritt dem Kulate Mirgän entgegen. Auf den Berg gekommen stieg er vom Rosse und auch Kulate Mirgän stieg aus dem Sattel. Nun begannen sie zu ringen. Sie rangen so sieben Monate lang, worauf Sokai Alten dem Kulate-Chan das Leben nahm. Sein Roß lief gleich darauf nach Hause, unterwegs aber sahen es die Hirten, welche die Tabunen des verstorbenen Kulate Mirgän hüteten und ließen das Roß nicht in den Uluss. Neun Tage hielten die Hirten das Roß in der Tabune, am neunten aber sagte der jüngste derselben: »Wir handeln unrecht, wenn wir das weißblaue Roß hier behalten. Die Helden haben Kulate Mirgän getötet und wir verhindern das Roß daran Botschaft nach Hause zu bringen. Erfährt dies der Sohn Komdei Mirgän, so haut er uns allen den Kopf ab.« Die Hirten fanden diese Worte sehr klug und ließen das Roß los.
Als nun das Roß nach Hause kam, begegnete demselben die Witwe, der Sohn und die Tochter, welche sich an den Hals des Rosses hingen und den Tod Kulate Mirgän's beweinten. Endlich sagte Komdei Mirgän: »Hier hilft Weinen nicht, sondern ich reite selbst aus, um den Tod meines Vaters zu rächen.« Er sattelt dann sein weißbraunes Roß, setzt sich in den Sattel, reitet über die neun Länder und kam so zum Berge, wo der Vater getötet worden war. Hier ruft er mit einer Heldenstimme: »Rühme dich nicht, Sokai Alten, dessen, daß du meinen Vater getötet hast!« Als Sokai Alten diesen Ruf hörte, stieg er zu Roß und ritt dem Komdei Mirgän auf den Berg entgegen. Sokai Alten fragt Komdei Mirgän, mit was für Waffen er den Streit zu beginnen wünsche und Komdei Mirgän erklärt sich zufrieden mit jeder Art Waffen zu kämpfen. Sokai Alten wählt den Bogen und die beiden Helden gingen jeder auf einen besonderen Berg. Sokai Alten ruft dem Komdei Mirgän zu, er möchte den ersten Schuß absenden. Komdei Mirgän seinerseits schenkt den ersten Schuß dem Sokai Alten und dieser beginnt sofort seinen Bogen zu spannen, schießt einen Pfeil ab, der Pfeil aber trifft den Komdei Mirgän nicht. Nun spannte auch Komdei Mirgän seinen Bogen und als er den Pfeil abschoß, fiel Sokai Alten sofort tot zu Boden.
Komdei Mirgän macht sich nun zum Uluss auf, um alles Eigentum in Besitz zu nehmen, am Fuße des Berges aber sieht er einen schwarzen Fuchs an sich vorbeilaufen. Komdei Mirgän kehrt sein Roß um und macht sich daran dem Fuchs nachzujagen; er ritt in dessen Spuren über den Berg zurück und kommt so zu einem hohen, steilen Berge. Der Fuchs lief über den Berg, das Roß aber stolperte und fiel vom Berge zurück, wobei Komdei Mirgän sein Bein brach und auf dem Boden liegen blieb. Während er dort liegt, steigt aus der Erde ein Stier mit vierzig Hörnern hervor und auf demselben reitet ein Djilbegän (Untier) mit neun Köpfen. Djilbegän kam zum Liegenden, faßte ihn mit der linken Hand an der Schulter und haut Komdei Mirgän's Kopf mit der rechten ab. Er nahm den Kopf mit sich und begab sich mit demselben unter die Erde: Komdei's Roß kehrte aber wieder heim.
Als Mutter und Schwester das Roß ohne Herrn wiederkehren sahen, weinten sie sieben Tage lang Tag und Nacht ohne Unterlaß. (zurück) Am siebenten Tage legt Kubaiko ihre besten Kleider an und sie war eine so schöne Jungfrau, daß es ihresgleichen nicht auf Erden gab. Dann bestieg sie das Roß ihres Bruders, mit den besten Kleidern angetan und ritt davon den Bruder aufzusuchen. Sie ritt vorwärts und sah lauter hohe Berge und weite Meere. Auf dem Wege fragt sie ihr Roß, weshalb es sie in solche unzugängliche Gegenden bringe; und das Roß antwortet, daß Helden und Heldenrosse nie auf besseren Wegen reisen. (zurück) »So führ mich«, sprach das Mädchen, »wohin es dich beliebt, aber zeige mir nur die Stelle, wo mein Vater und mein Bruder getötet worden sind.« (zurück) Zur Stelle gekommen, wo der Vater getötet worden war, fing das Mädchen an zu weinen und weinte ohne Unterlaß neun Tage an der Leiche ihres Vaters. Dann kam sie zur Stelle, wo der Bruder getötet worden war, und weint auch dort drei Tage lang. Sie merkt aber nicht, daß der Bruder ohne Kopf ist. Als sie dies endlich am dritten Tage bemerkt, spricht sie zum Rosse und fragt: »Weißt du vielleicht, wohin der Kopf meines Bruders gekommen ist?« Das Roß fing an zu sprechen und sagte, daß ihr Bruder sich auf der Fuchsjagd sein Bein gebrochen habe und daß Djilbegän, während er lag, gekommen sei und seinen Kopf genommen habe. Da bittet das Mädchen das Roß sie denselben Weg zu führen, den Djilbegän mit dem Kopfe des Bruders gegangen sei.
Unter die Erde gekommen sieht das Mädchen einen ebnen Weg, und auf demselben erscheinen noch Spuren des Djilbegän. Hier sieht sie sieben Tonkrüge am Wege, und neben den Krügen steht eine Alte, welche emsig Milch aus dem einen Krug in den andern gießt. Bei dieser Stelle vorübergekommen, sieht sie ein Roß, das an einen drei Klafter langen Strick gebunden ist. Das Roß steht auf einer Sandfläche, wo es weder Gras noch Wasser gibt, dessen ungeachtet ist aber das Roß sehr fett. Das Mädchen verwunderte sich darüber, ritt ihres Weges dahin und sah wiederum ein Stück vom Wege ein anderes Roß, das an ein sehr langes Seil gebunden bei einem rinnenden Bach stand. Das Gras wuchs bis an die Knie, dessen ungeachtet aber war das Roß sehr mager. Das Mädchen verwundert sich hierüber, reitet wiederum weiter und sieht die Hälfte eines Menschenkörpers am Wege liegen. Ein Bach rinnt gegen den toten Körper und bleibt in seinem Lauf quer vor der Leiche stehen. Das Mädchen konnte nicht begreifen, wie ein halber Menschenkörper im Stande wäre, einen ganzen Fluß zu dämmen, und so ritt sie ihren Weg wiederum weiter. Ein Stück weiter sieht sie einen ganzen Menschenkörper am Wege liegen. Gegen diesen Körper fließt ein ähnlicher Fluß wie der frühere; aber dieser Körper, obwohl ganz, hemmt nicht den Lauf des Flußes, sondern das Wasser fließt über die Leiche. Das Mädchen erstaunte immer mehr über das, was sie sah macht jedoch nicht Halt, sondern fährt fort zu reiten. (zurück)
Als sie so reitet, begegnet ihr auf dem Wege ein Mädchen. Dieses setzte sich bei dem Anblick von Kubaiko auf die Erde und Kubaiko hielt zugleich ihr Roß an. Die Sitzende redet Kubaiko an und bittet sie, vom Roß zu steigen. Kubaiko stieg sogleich vom Roß und setzte sich an die Seite des sitzenden Mädchens. Kubaiko fragt die Sitzende, ob sie ein unterirdisches Wesen oder vielleicht im Lande des weißen Lichtes geboren sei. Die Sitzende antwortet, daß sie von Gott geschaffen sei, daß sie auf Erden gelebt und einen Bruder, Kan Mirgän, gehabt habe. »In einer Nacht«, fuhr die Sitzende fort, »als Kan Mirgän in seinem Zelte schlief, kam ein Bote von den beiden Heldenbrüdern Kalangar Taidji und Katai-Chan. Der Bote band meinen Bruder an Händen und Füßen, während er schlief; darauf nahm er ihn und brachte ihn zu den Irle-Chan's unter der Erde. Dieser Irle-Chan's gibt es acht, und der neunte ist ihr Ataman. Dieser Ataman läßt jetzt meinen Bruder brennen, und ich bin hergekommen, um zuzusehen, ob ich ihn nicht befreien kann. In Irle-Chan's Wohnung gelangt, hörte ich einen so starken Lärm von Hammerschlägen, daß ich nicht weiterzugehen wagte, sondern zurückkehrte.« Das sitzende Mädchen Kanarko fügt hinzu: »Kommst du zu meinem Bruder, so gib ihm dieses seidene Tuch von mir, damit er sich den Schweiß abtrocknen könne, während er auf dem Feuer gebraten wird.« Darauf fragt Kanarko die Kubaiko, weshalb sie sich in die Unterwelt begeben und Kubaiko antwortet, daß sie ihren Bruder suche, dessen Kopf Djilbegän hingebracht hätte. (zurück) Hierzu fügt Kanarko noch hinzu: »Gehst du auf diesem Wege weiter, so kommst du zum Ufer eines Flußes, der unter einem hohen Berge fließt. An diesem Ufer siehst du ein steinernes Haus mit vierzig Ecken, und in diesem Hause lebt Irle-Chan. Vor der Tür dieses Hauses stehen neun Lärchenbäume, die aus ein und derselben Wurzel wachsen. Dies ist der Pfahl, an den die neun IrleChan's ihre Rosse binden.«
Als Kanarko ihre Rede beendigt hatte, begab sie sich hinauf zum Sonnenlande, Kubaiko aber setzte ihre Wanderung noch tiefer in die Unterwelt fort. (zurück) Je mehr sie sich der Wohnung der Irle-Chan's näherte, desto stärker tönen die Hammerschläge in ihren Ohren. Auf dem Rosse sitzend sieht sie vierzig Männer, welche Hämmer schmieden und andere vierzig, welche Sägen schmieden, und noch andere vierzig, welche Zangen schmieden. Dann kam sie zum Lärchenbaum, stieg vom Rosse und folgte stets den Spuren Djilbegän's, welche bis zur Tür Irle-Chan's führen. Ehe das Mädchen eintrat, blieb sie beim Lärchenbaum stehen und sah dort eine also lautende Inschrift: »Als Kudai Erde und Himmel schuf, ward auch dieser Lärchenbaum geschaffen, und außer Irle-Chan ist bis auf diesen Tag kein Mensch und kein Tier lebend bis zu demselben gekommen.« Das Mädchen band ihr Roß an den Lärchenbaum, trat in Irle-Chan's Wohnung und schloß die Tür hinter sich. Drinnen ist es so finster, daß Kubaiko weder vorwärts noch rückwärts den Weg findet, sondern sich verirrt. In der Finsternis ergreift man Kubaiko, reißt sie an den Kleidern, zerrt und plagt sie; wenn aber Kubaiko ihre Hände ausstreckt und ihre Plagegeister ergreifen will, kann sie keinen packen, denn sie hatten keine Körper. In ihrem Schreck schreit sie auf, sofort wird eine Tür geöffnet, der Raum erhellt und der Ataman tritt ein. Kubaiko erhebt sich, der Ataman gewahrt sie und kehrt zurück, ohne ein Wort zu äußern. Kubaiko folgt ihm auf den Spuren. Der Ataman geht aus einem Gemach ins andere und die Gemächer stehen noch leer. Der Ataman geht aus einem Gemach ins andere und öffnet die Türen. Kubaiko macht jede Tür zu und folgt dem Ataman auf den Spuren. Endlich kam man zu einem Gemach, das mit alten Weibern angefüllt war, die Flachs spannen. Darauf kamen sie in ein anderes Gemach, das ebenfalls mit Weibern angefüllt war, die alle alt und gebrechlich waren. Sie taten durchaus nichts sondern saßen und quälten sich, denn sie waren alle krank. Alle schienen sie etwas verschlucken zu wollen, konnten es jedoch nicht herunterbringen. Ferner kommen sie in ein drittes Gemach, das gleichfalls mit Weibern angefüllt war, die in den mittleren Jahren standen. Um ihre Arme und ihren Hals waren große Steine gebunden, die sie nicht zu rühren vermochten. Dann kommen sie in einen vierten Raum, wo Männer saßen, auf deren Nacken große, mit Schlingen an ihrem Nacken befestigte Bäume hingen. Durch die Last der Bäume standen ihre Augen aus dem Kopfe hervor und die Zunge hing ihnen aus dem Munde. In einem fünften Gemach liefen Männer mit Schießgewehren und waren mitten durch den Leib durchschossen. Sie liefen und wehklagten im Gemache. In einem sechsten Gemach sah Kubaiko messerbewaffnete Männer die sich mit ihren Messern geschnitten hatten. Das Blut rinnt von diesen Männern herab, und sie laufen klagend und jammernd im Gemache herum. Dann kam sie zu einem siebenten Gemach, das mit rasenden Hunden und rasenden, von den Hunden gebissenen Männern angefüllt war. In einem achten Raum liegen Männer mit ihren Frauen unter großen Decken, die aus neun Schaffellen zusammengenäht sind. Jeder hat seine besondere Decke, aber so groß sie auch ist, bedeckt sie doch nur die eine Ehehälfte, weshalb, wenn eine von beiden die Decke über sich zieht, die andere stets ohne bleibt. In einem neunten Gemach liegen auch Männer mit ihren Frauen. Ihre Decken bestehen nur aus einem einzigen Schaffell; so klein dieselben auch sind, so konnte noch ein dritter unter derselben Decke liegen. Von hier kam sie in ein zehntes Gemach, das groß wie eine Steppe war. Kubaiko sieht sich in diesem Raum um und gewahrt acht Irle-Chan's, die sitzen; und in ihrem Kreise ließ sich auch der Ataman als der neunte nieder. Kubaiko steht und verneigt sich vor ihnen und fragt, aus welcher Ursache ihr dienstbarer Geist Djilbegän das Haupt ihres Bruders abgehauen und fortgeschleppt habe. Die Irle-Chane erwidern, daß solches auf ihren Befehl geschehen sei, und daß der Kopf noch bei ihnen in Verwahrsam sei, aber nicht in Güte wiedererlangt werden könne. »Willst du«, fahren die Irle-Chane fort, »in den Besitz des Hauptes deines Bruders kommen, so sieh zu, daß du dabei nicht dein eigenes verlierst. Jedoch wollen wir dir das Haupt deines Bruders wiedergeben, wenn du es vermagst, die Arbeiten auszuführen, die wir dir auferlegen. Wir haben einen Hammel, der tief in der Erde festsitzt, so daß nur der Kopf aus der Erde hervorguckt. Dieser Hammel hat sieben Hörner, und vermagst du es, ihn bei den Hörnern herauszuziehen, so geben wir dir das Haupt deines Bruders. Im entgegengesetzten Fall hauen wir dir dein eigenes Haupt ab und legen es neben das deines Bruders.« Hierauf standen alle Irle-Chane auf, nahmen das Mädchen mit und begaben sich aus dem Gemache hinaus.
Sie gingen darauf durch neun andere Gemächer, welche alle mit Menschenköpfen angefüllt waren. Das Haupt ihres Bruders erkannte Kubaiko in dem mittelsten Gemache mitten unter einer Menge anderer wieder. Als Kubaiko den Kopf ihres Bruders sah, blieb sie stehen und fing an zu weinen. Die acht Irle-Chane sprachen: »Sieh, dort liegt nun das Haupt deines Bruders, und vollführst du glücklich die dir auferlegte Aufgabe, so wirst du das Haupt hier wiedererlangen, im entgegengesetzen Fall wird dein eignes Haupt in diesem Gemache aufgestellt werden.« Hierauf begaben sich die Irle-Chane aus dem Gemach, und das Mädchen folgte ihnen durch alle Gemächer bis in das zehnte. In dem zehnten lag der Hammel in der Erde mit dem Kopf und den sieben Hörnern nach oben. Die Irle-Chane ermahnten das Mädchen Hand ans Werk zu legen, unter der Bedingung, daß sie den Hammel mit drei Rucken aus der Erde ziehen und auf ihre Schulter heben solle. Das Mädchen packt den Hammel am Kopf, hob ihn beim ersten Ruck bis zu den Knien, beim zweiten bis zu dem Gürtel und bei dem dritten auf ihre Schulter. Nun fallen die Irle-Chane dem Mädchen zu Füßen, verbeugen sich vor ihr und versprechen ihr, das Haupt des Bruders wiederzugeben. Sie kehren in das Gemach zurück, wo das Haupt verwahrt wurde, nehmen das Haupt und bringen es in das Gemach, wo die neun Irle-Chane saßen. Hier holen die Irle-Chane ein großes Buch hervor und fangen an zu lesen. Im Buche ist der ganze Streit zwischen Kulate Mirgän und Komdei Mirgän von der einen und den beiden Heldenbrüdern und Sokai Alten von der anderen Seite beschrieben.
Als die Irle-Chane gefunden hatten, daß Kulate Mirgän und Komdei Mirgän in diesem Kampfe gerechtfertigt waren, sagten sie der Kubaiko, daß sie das Haupt ihres Bruders mitnehmen könne. Darauf gaben sie das Haupt dem Mädchen und sagten: »Zu uns hat ein Bote von den zwei Heldenbrüdern Kalangar Taidji und Katai-Chan einen Helden, Kan Mirgän, gebracht, den man lange Zeit im Feuer brennt, ohne ihn verbrennen zu können. Du, welche du eine mächtige Heldin bist, weißt du nicht irgendeinen Rat, ihn zu verbrennen?« Das Mädchen begehrt nun Kan Mirgän zu sehen, und die Irle-Chane geleiten sie zu der Stelle, wo die Schmiede mit Hämmern beschäftigt waren. Auch hier gab es eine Wohnung mit neun Gemächern, und nachdem sie durch alle gegangen waren, kamen sie zu einem zehnten, wo Kan Mirgän verbrannt wurde. Als dieser das Mädchen sah, erinnerte er sich seiner zu Hause gebliebenen Schwester, fing an zu weinen und fragte Kubaiko um die Ursache ihres Erscheinens. Darauf bat er Kubaiko seine daheimweilende Schwester Kanarko in ihr Zelt zu nehmen und sie wie ihre eigene Schwester zu behandeln. (zurück) Ihrerseits fingen auch die Irle-Chane an, zu Kubaiko zu sprechen und sie um die Art und Weise zu fragen, wie man Kan Mirgän verbrennen könne. Das Mädchen antwortet, daß sie zuerst wissen müsse, aus welcher Ursache die Irle-Chane einen mächtigen und guten Helden auf diese Weise plagen. Sie antworten, daß dies deshalb geschähe, weil Kan Mirgän sich geweigert habe, seinen Herren, den beiden Heldenbrüdern Kalangar Taidji und Katai-Chan, Tribut zu zahlen. Kubaiko sagt, daß dies nicht nach Recht und Billigkeit geschehen sei, daß Kan Mirgän sich noch befreien und an den Irle-Chane Rache nehmen würde, wenn sie ihn nicht in Güte losgäben. Darauf warf sie dem Kan Mirgän das Tuch seiner Schwester zu und verfügte sich zurück, in Gesellschaft mit den neun Irle-Chans. Als sie herausgekommen waren, bittet das Mädchen, alle die Wunder sehen zu dürfen, die es bei den Irle-Chanen gab. Auf einen Ruf derselben fanden sich sogleich sechs Kartenspieler und sieben Violinspieler ein, und die Irle-Chane sagten: »Diese Leute werden hier für ihr unordentliches Leben geplagt, denn sie haben ihre Zeit unnütz vergeudet, sich berauscht und geschlagen, und die Kartenspieler haben sich außerdem einander betrogen.« Sie gingen weiter und kamen so zu dem Lärchenbaum, an den Kubaiko ihr Roß gebunden hatte. Sie band das Roß los, stieg in den Sattel und bat die Irle-Chane, ihr den Weg zu zeigen. Die Irle-Chane wagten es nicht, sich zu weigern, sondern begleiteten das Mädchen, das unterwegs fragte, weshalb die Menschen und Rosse, die sie auf der Herreise gesehen, auf solche Weise unter der Erde geplagt würden. Die Irle-Chane antworten: »Diejenige, die du Milch aus einer Schale in die andere gießen sahst, wird deshalb geplagt, weil sie ihren Gästen mit Wasser untermischte Milch gegeben hat. Ihr ist nun auferlegt worden, hier die Milch vom Wasser zu sondern, und sie wird diese Strafe in alle Ewigkeit leiden.« »Der halbe Körper, welcher den Fluß dämmet«, fahren die Irle-Chane fort, »leidet keine Strafe. Er liegt jetzt dort, um die Vorübergehenden daran zu erinnern, daß ein kluger Mann, wenn er auch seiner Glieder und Gelenke beraubt ist, mit seinem Verstande mächtige Dinge zu Wege bringen kann, während ein unverständiger Mann mit seinem ganzen Körper gar nichts vermag. Der ganze Körper, über den der Fluß rinnt, ist ein von Natur starker, aber sehr unverständiger Mann gewesen. Wie der Fluß jetzt über ihn läuft, so ist auch jede Sache vor seinem Verstande vorübergegangen, ohne daß er es verrnocht hätte, sie zu erfassen oder etwas mit Klugheit durchzuführen.« Die Irle-Chane fügen hinzu: »Das fette Roß erinnert an einen Mann, der sich um sein Roß kümmert und es stets in Stand erhält, wie groß auch der Mangel an Weide und Wasser sein mag, während dagegen das magere ein Beweis davon ist, daß ein Roß nicht einmal bei der besten Weide gedeihen kann, wenn der Hauswirt nicht nachsieht und sich desselben annimmt.«