Individuum - Kollektiv Paradigmenwechsel - ein Erdbeben 10. Juli 1973 |
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(18.2.01 Die folgenden Ausführungen
schrieb ich allesamt 1973. Ich verbesserte zwar an vielen Stellen die
Formulierungen und gruppierte die Texte neu, aber der Gedankengang bleibt unverändert.)
Was mir zum Geschehen vom 10. Juli 1973 alles einfällt,
soll nun erzählt werden. Mir sind die folgenden Gedanken absolut neu.
Selbstverständlich hatte ich bei C.G. Jung einiges über das Problem
Individuum-Kollektiv gelesen, aber es ging mich selber kaum etwas an. So habe
ich jetzt - nach gut elf Schreibmaschinenseiten - wirklich das Gefühl, dass
das Traumgeschehen für mich sehr Wesentliches aussagt. Es ist sogar so,
dass ich meine, dass ich - auch wenn ich den Traum völlig fehlinterpretiert
haben sollte - überaus wichtige Dinge lernen durfte. Denn es handelt sich
um Dinge, die mir bislang total unbewusst waren. Persönlich mag ich übrigens
den Traum überhaupt nicht, aber ich kann seine Notwendigkeit einsehen.
Damit wird mir eher sympathisch.
Im Traumgeschehen wird das Problem der
Emotionalität und Aggressivität wieder aufgenommen. Sowohl eine persönliche
als auch eine kollektive Ebene kommen zur Darstellung. Dies ist insofern nicht
erstaunlich, als gestern beim Studium methodologischer Fragen in der Komplexen
Psychologie das Gegensatzproblem "individuell-kollektiv" angesprochen
worden ist.
... Nach einer längeren Verfolgung werde ich gefangen und muss nun in einem weissen Kimono gegen die Gegner kämpfen. Meine Kampf- bzw. Karatetechniken machen den Gegnern nicht den geringsten Eindruck und haben keinerlei sichtbaren Effekte. Aber irgendwie werde ich meine "Gefährlichkeit" (und Selbständigkeit) demonstrieren müssen, weil es sonst keine Freilassung geben wird.
Ich scheine mittels einer bestimmte Methode aus dem Bannkreis bzw. der Gefangenschaft eines bestimmten "Komplexes" entkommen zu wollen. (16.2.01 Hierbei handelte es sich um das Umfeld des C.G. Jung-Institutes.) Diese Methode ist eine fernöstliche und zudem eine magische Handlung, mit der ich die Gefängniswärter (16.2.01 d.h. die Schulanalytiker) bannen und ihnen zudem imponieren will.
Zu guter Letzt glaube ich, meine "Gefährlichkeit" einzig mit dem Durchschlagen einer massiven Kastentür mittels eines geraden Faustschlages demonstrieren zu können. Aber es gelingt beim ersten Mal nicht. - Ich versuche es nochmals. Aber der Kasten zersplittert wieder nicht. Es gibt nur ein Loch, das ein wenig mit dem Finger eingedrückt werden kann. Damit lässt sich immerhin demonstrieren, dass tatsächlich ein Durchbruch entstanden ist. Er ist zu meinem grössten Erstaunen kreisrund.
Ich habe mich mit einer Methode identifiziert,
die der Situation nicht angemessen ist. Eine solche Identifikation erfüllt
nicht ihren Zweck und führt nicht zum Ziel. Dass sie es dann doch tut, ist
einem glücklichen Umstand zuzuschreiben und nicht meinem Können. Bei näherer
Betrachtung zeigt es sich sogar, dass der eigentliche Schlag, der zum Erfolg führt,
kein ausgesprochen technisch sauberer Karateschlag, sondern eher eine Art
westliche Version davon ist. Ausserdem ist anzumerken, dass ich mir die
Beherrschung einer Technik anmasse, von welcher ich nicht einmal die geringsten
Anfängerkenntnisse habe. Mit anderen Worten: Ich versuche aus einer
bestimmten Situation mittels einer nicht adäquaten Methode zu entkommen.
(16.2.01 Der Kasten ist eine Form des Quaders.
Und dieser ist - vgl. die Quaderserie - ein "Stargate". Dass die mit
dem Quader in Zusammenhang stehenden OOBEs sehr weit von den Auffassungen der
Komplexen Psychologie von C.G. Jung entfernt sind, war mir 1973 nicht klar.)
Diese
Situation ist im Gegensatz zu den später stattfindenden Traumereignissen
eine individuelle. Ich trickse und imponiere mit einer vermeintlich erreichten
Ganzheit in Form eines runden Loches in der Schranktür. Damit entkomme ich
der Anforderung, mir eine inneren Ganzheit schwer zu erarbeiten - und zwar
innerhalb des von den Gefangenenwärtern vorgegebenen Rahmens und deren
Vorstellungen.
Weil alle dieses merkwürdige kreisrunde Loch unbedingt anschauen wollen, wird die Aufmerksamkeit von mir als Person abgezogen. Es gelingt mir, der Gefangenschaft zu entkommen und zu fliehen. Als mein Verschwinden bemerkt wird, ist es natürlich schon zu spät für eine Verfolgung.
(16.2.01 Beim Lesen dieses ersten Traumteiles, der meine damalige individuelle Situation betrifft, staune ich zutiefst über die deutlich prospektive Aussage und die überaus treffende Darstellung des damaligen Umfeldes.)
Auf meinem weiteren Weg begegnen mir eine Unmenge Soldaten und Soldatinnen. In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viele Militärs gesehen.
Die gelungenen Flucht aus der relativ kleinen
und überblickbaren Gruppe, in der direkte Konfrontationen noch möglich
wären, konfrontiert mich mit einem militärischen Kollektiv bzw. mit
einer uniformierten Masse. Dies geschieht nicht, weil ich meiner persönlichen
Problematik "entfliehen" und in einem anonymen Kollektiv "untertauchen"
will. Es ist mir nämlich mit den mir momentan zur Verfügung stehenden
technischen und methodischen Mitteln einfach nicht möglich, meine Anliegen überzeugend
durchzusetzen. Ich kann mir also nur mittels eines Tricks etwas Luft verschaffen
und den drohenden Zwängen entfliehen und auf diese Weise das Schlimmste
verhindern.
Welcher vertrackten Situation ich unbedingt entkommen muss,
weil Todesgefahr besteht, weiss ich nicht. Die Lage ist mir NICHT BEWUSST. Zu
viele Dinge scheinen auf der individuellen und kollektiven Ebene miteinander
verknüpft zu sein. Meine spezifische Konstellation ist nicht zu erkennen.
Aus diesem Nichtwissen resultiert eine Identifikation mit der kollektiven
Situation. Da ich als Individuum das Problem nicht sehe und es nicht persönlich
erfassen und eingrenzen kann, wird es sozusagen kollektiviert und damit in der
Masse aufgelöst. Dass mir im weiteren Verlauf des Geschehens die Existenz
als bewusstes Individuum nicht verloren geht und mehr oder weniger erhalten
bleibt, scheint nur deswegen möglich, weil bereits eine gewisse
Individualität vorhanden ist.
(17.2.01
Es brauchte Jahre, bis ich die Tragweite meiner Bemühungen um den Einbezug
des luziden Träumens und der OOBEs in das Konzept der Tiefenpsychologie
auch nur einigermassen zu erfassen vermochte. Es ging um nichts geringeres denn
einen Paradigmenwechsel !)
Am Fusse eines Berges ist ein hoher Eingang zu einer geräumigen Höhle, die als "Schlafsaal" eingerichtet worden ist. Hier herrscht geschäftiges Treiben. Weibliche Soldaten räkeln sich in ihren Betten, stehen auf und ziehen ihre Uniformen an. Es wimmelt geradezu von Männern, die lüstern auf die Frauen gaffen und sich Schlüpfer und BHs zu ergattern suchen. Einige versuchen sogar, mit Frauen anzubändeln.
Mich interessiert das alles nicht und ich gehe durch die Höhle ohne das geringste Interesse an einem sexuellen Abenteuer - trotz günstigster Ausgangslage. Früher wäre das nicht möglich gewesen, aber jetzt ärgert mich nicht einmal mehr das Verhalten der Soldaten. Ich denke, die Frauen könnten ohne weiteres all dem einen Riegel vorschieben, wenn sie nur wollten.
(17.2.01 Eine Beziehung auf sexueller Ebene ist gerade im Zusammenhang mit dem luziden Träumen problemlos und mit grösster Leichtigkeit zu bewerkstelligen. Sex ist natürlich wesentlich einfacher als der Einbezug der Luzidität auf allen Ebenen.)
Später steige ich in dem vordersten Wagen eines ungeheuer langen Eisenbahnzuges. Die einzelnen Wagen sind zum Bersten voll mit Soldaten. Wie Trauben hängen sie zu den Fenstern raus und dichtgedrängt hocken sie auf den Bänken und stehen in den Gängen.
Die fehlende Einsicht in bezug auf meinen individuellen Anteil an der nun folgenden Problematik erlaubt es mir zunächst offenbar nicht, alleine zu Fuss weiterzugehen. Ich bin somit gezwungen, mit Hilfe eines Kollektivgefährtes an jenen Ort herangeführt zu werden, an dem ein katastrophales Geschehen stattfindet.
Nachdem der Zug eine ganze Weile dahingerollt ist, sehe ich aus dem vordersten rechten Fenster des Wagens, wie sich plötzlich die Lokomotive abhängt und alleine weiterrollt.
Die zugkräftige kollektive Dynamik koppelt sich vom Rest des Zuges ab und bleibt sich selber überlassen. Mit dieser Abkopplung der Lokomotive wird es mir endlich möglich, den eigenen Anteil an der allgemeinen menschlichen Problematik zu erkennen.
Nun handle ich sofort und ganz der Situation entsprechend, ohne nachzudenken und ohne Hast und Aufregung - mit einer fast absolut zu nennenden Gewissheit, dass das, was ich jetzt tue, genau das ist, was angemessen ist. Dabei verarbeite ich äussere Informationen mit einer Geschwindigkeit und Klarheit, die ich noch niemals bei mir habe feststellen können. Mein bewusstes Ich ist einfach da und schaut zu, trifft jedoch keine Entscheidungen.
Gerade vor dem Abteil, in dem ich bin, ist ein schmaler Lokführerstand. Weil die Verbindungstür abgeschlossen ist, muss ich durch das eine Fenster hinaus- und durch das andere wieder hineinklettern. Im Führerstand schalte ich sogleich den Hebel der Geschwindigkeitskontrolle nach links auf Null. Obwohl der Hebel bis zum Anschlag hinunter gedrückt wurde, hält der Zug nicht an und fährt mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h weiter. Ich versuche die Bremsung mittels Pressen eines blauen Knopfes einzuleiten. Aber es entsteht bloss ein kratzendes Geräusch wie bei einer Fehlschaltung im Auto. Also lasse ich den blauen Knopf wieder zurückschnappen.
Die Dynamik der Situation verliert sich zwar,
aber damit geht auch die Möglichkeit einer effizienten, kontrollierten
Bremsung verloren. Wenn sich eine kollektive Problematik in ihrem individuellen
Aspekt zu manifestieren beginnt, geht offenbar die Lenkung durch das Kollektiv
verloren. Die "Anhängsel" bekommen eine Eigendynamik und das
Problem muss von einem einzelnen Individuum angepackt werden. Nun liegt es an
ihm, einen Steuerungsmodus zu finden. - Bewusstwerdung scheint gefährlich !
Wenn
ein Individuum ein kollektives Problem in der ihm gemässen, individuellen
Art zu bearbeiten beginnt, verlieren sich kollektive Steuerungsnormen - und die
persönliche Verantwortung des Individuums beginnt. Dieser spezifische Übernahmemodus
scheint "angeboren". Meine Reaktionen laufen nämlich völlig
instinkthaft und automatisch ab. Im einzelnen Individuum scheint somit bereits
ein "Übernahmemechanismus" vorprogrammiert zu sein. Die
Individuation verläuft offensichtlich in ganz bestimmten Bahnen, wie etwa
die Entwicklung der individuellen Gesichtszüge.
Mit der "Reduktion"
bzw. dem "Zurückfahren" der Kollektivproblematik ist es einem
Individuum erst möglich, eine heikle Situation als äusserst gefährlich
zu erkennen. Es kann nun versuchen, die ihm angemessen scheinenden Massnahmen zu
ergreifen, um damit zu verhindern, dass es als lndividuum einer kollektiven
Selbstvernichtungstendenz anheimfällt, rsp. einer kollektiven Bewegung
unterworfen wird, die es als Einzelwesen definitiv zerstört.
Durch
Bewusstwerdung wird der Verantwortungsbereich des Einzelnen genauer definiert.
Zu Beginn besteht eine Art unbewusster Kopplung mit kollektiven Meinungen. Diese
schleppt ein Individuum wie Anhängsel hinter sich her. Derartige Dinge
verhindern beinahe das Anhalten bzw. das Innehalten eines Individuums, das
gewillt ist, die Führung und damit einen Grossteil der Verantwortung zu übernehmen.
Es ist eben schwierig - auch angesichts einer als gefährlich erkannten
Situation - die angehängten Kollektivbelastungen aus Meinungen und
Vorstellungen abzubremsen. Das kollektive Erbe hat ein gewaltiges
Beharrungsvermögen. Es wirkt wie eine träge Masse, die das "neugeborene"
Individuum in eine kollektive "Unbewusstheit" schiebt.
Der Zug braust in ein Tunnel. Weit vorne glimmt ein rotes Licht. Aber falls das Geleise einspurig ist, könnte es einen Zusammenstoss mit einem entgegenfahrenden Zug geben. Und es scheint tatsächlich, dass uns ein Zug mit Höchstgeschwindigkeit entgegenkommt. Ich MUSS den Zug zum Halten bringen, denn schon vorher ist es beinahe zu einem Crash gekommen. Diese Katastrophe liess sich nur durch die Abbremsung vermeiden. Nun aber droht ein schwerstes Unglück.
Im Tunnel ist mir insofern ein Fehler
unterlaufen, als ich meine, ein entgegenkommender Zug würde uns nächstens
rammen. Tatsächlich aber besteht die eigentliche Gefahr für mich in
dem Moment, als ich zum Fenster hinaussteige und nach vorn in die Zugführerkabine
des Triebwagens klettere. Da komme ich nämlich einem parallel fahrenden Zug
und damit einer anderen Kombination kollektiver Meinungen und Vorstellungen gefährlich
nahe.
Derartige "Parallel"-Kombinationen gibt es viele,
beispielsweise das Arztbild, die Naturwissenschaft als Träger von
Objektivität oder irgend welche "Berufsbilder" und konfessionelle
Glaubensgruppierungen. Sie alle unterschieden sich voneinander und können
als Schulmeinungen miteinander in Konflikt geraten - und zusammenstossen!
Besonders
gefährlich wird es für ein Individuum, das eben begonnen hat, sich
seiner kollektiven Bedingtheiten bewusst zu werden und in jene Bereiche
vorzudringen, die gedankliche und gefühlsmässige Steuerungselemente
enthalten. Der Umstieg aus der passiven Zone in den Aktivbereich entspricht
einem Erkenntnisprozess, in dessen Phase ein Individuum schwach und anfällig
für andere kollektive Bahnungen ist. Es ist leicht beeinflussbar! Wie ein
Schmetterling, der aus seiner Puppenhülle kriecht. Die Flügel sind
noch weich, das neu enstandene Wesen ist flugunfähig und besonders
verletzlich. Oder die eben geschlüpften Jungen der Wasserschildkröte.
Sie krabbeln dem Meere zu und werden unterwegs von Raubvögeln, Echsen und
anderen Tieren gefressen - und damit als selbständige Wesen in einer
artfremden Seinsumgebung aufgelöst.
In einer Phase der
Transformation ist ein Individuum stets zu wenig differenziert und zu wenig
abgehoben von seinen eigenen kollektiven Voraussetzungen, die prägend
gewirkt haben und erste Entwicklungsmöglichkeiten boten (Elternhaus,
Schule, Gesellschaft, Religion und Staat). Deshalb kommt es manchmal zu einer überaus
konfliktreichen Konfrontation mit anderen Kollektivereignissen. Dies kann sich
fatal auswirken, denn das Individuum ist noch zu wenig in seiner Bewusstheit
gefestigt und prallt deswegen oft unsanft auf andere Ideologien.
Dem
Individuum muss es gelingen, den Rattenschwanz kollektiver Voraussetzungen und
Meinungen zum Stehen zu bringen und die Eigendynamik der Vorstellungen auf Null
herunterzufahren oder wenigstens so weit abzubremsen, dass keine akute
Kollisionsgefahr mehr besteht. Nur dann wird es möglich, sich von jenem trägen
Ballast abzusetzen, der immer wieder die explosive Gefahr einer
Entindividualisierung in sich trägt.
Ich beginne im Führerstand - von einem inneren Impuls getrieben - hin und her zu schaukeln. Irgendwie übertragen sich die Bewegungen auf den Triebwagen, worauf dieser ins Schwanken kommt und schliesslich aus den Geleisen springt ! Rauh scheppernd stellt sich der Wagen etwas quer und bringt den gesamten Zug zum Stillstand.
Im Schaukeln kommt der persönliche Rhythmus zum Ausdruck. Dieser stellt die eigenen Identitätsfindung körperhaft dar, denn das Hin- und Herwiegen gleicht dem Abwägen einer vorgegebenen Situation. Auf diese Weise wird ein Ausbrechen des Vorgegebene aus der sturen Geradlinigkeit und Einspurigkeit sozusagen erzwungen. Dadurch kommt die Eigendynamik einer kollektiven Auffassung definitiv zum Stillstand.
Ich steige schnell aus. Vorne leuchten die drei roten Lichter auf! Wird es zum Zusammenstoss kommen? Nein! Es ist nur ein altes Auto, das da auf den Schienen angefahren kommt. Unbegreiflich! Es fährt ja kein Zug auf den Schienen! Und weiter hinten im Tunnel sind viele Leute - eine unzählbare Menge.
(18.2.01 Damals schätzte ich die Situation im Zusammenhang mit den Jung-Institut - das Auto mit den drei Lichtern weist darauf hin - tatsächlich falsch ein. Ich fühlte mich als angehender Psychotherapeut, besuchte Vorlesungen und Seminare in Zürich, gab Kontrollanalysen und war selbst mitten in einer Schulanalyse. Und ich erkannte nicht, dass es um einen Paradigmenwechsel ging, der wesentlich mehr Dinge betraf als bloss meine Position in den Kreisen der C.G. Jung Gilde.)
Ich ahne und fühle, dass die grösste Gefahr, in der alle schweben, keineswegs vorbei ist. Deshalb strebe ich unbeirrbar zum Tunnelausgang und kümmere mich nicht um die anderen. Ich rüttle die Leute nicht auf schreie nicht lauthals hinaus, dass Gefahr drohe. Ich sage nur zu einem Mann, an dem ich vorbeigehe, er solle möglichst schnell das Tunnel verlassen, da grösste Gefahr drohe. Und ich bitte ihn, diese Info unbedingt weiterzugeben.
Mit der Abspaltung des Individuums vom Kollektiv
stellt sich das Problem der Verantwortung gegenüber den kollektiven
Voraussetzungen und den Vertretern des Kollektivs. In wie weit sollen z.B.
Eltern und Freunde ins Gespräch miteinbezogen werden? Das neugeborene
Menschenwesen erkennt zwar die drohende Gefahr und die neuen Möglichkeiten,
aber darf es allein schon deswegen zu einem Propheten kleineren oder grösseren
Ausmasses werden? Muss es mit der Fahne vorangehend die Leute aus Unglück
und Unwissenheit hinausführen? NEIN ! Denn eine Bejahung würde -
wenigstens im Moment der "Abspaltung" - sofort wieder einen neuen
Rattenschwanz kollektiver Meinungen ausbilden. Und dieser wäre dann
behaftet mit Selbstüberschätzung, inflationärem Dünkel und
sektenhaft anmutender Heilscharakteristik. Es kommt schnell einmal zur Identität
mit einem anderen Kollektivbild und zu einer Neugruppierung mit Schulcharakter.
Es
geht nicht darum, ein Wissen herauszuschreien und sich lauthals Gehör zu
verschaffen. Vor allem dann nicht, wenn es darum geht, andere vor einer
nahenden Katastrophe zu warnen. Eine aus dem Innern aufbrechende Wahrheit sollte
sich leise verbreiten und von Mund zu Mund weitererzählt werden, denn sonst
wird sie von Sensationshascherei erstickt oder von systemkonformen Vorstellungen
erdrückt.
Was also dem Individuum zu tun bleibt, ist eine Art von
Aufklärung und Herzensöffnung. Es kann und darf HINWEISE geben und vor
allem erzählen. Und es sollte auch andere leise Stimmen hören. Denn
speziell in diesem heiklen Stadium der "Erstverfestigung" hat ein
Mensch selber noch genügend mit seiner eigenen Definition und
Bewusstwerdung zu tun. Denn immer noch droht die aufkeimende Bewusstheit
verschlungen zu werden von einer kollektiven Katastrophe, von einer kollektiven
Wandlung. Und diese kann gerade wegen ihres Kollektivcharakters für das
Einzelwesen destruktiv wirken.
Das Kollektiv schaut zunächst über
individuelle Charakteristiken hinweg und schleift sie ab - und tötet damit
ein Individuum. Deshalb ist es in diesem Stadium überaus wichtig, sich auf
sich selber zu beschränken, "geradeaus" zu gehen und sich weder
nach links noch nach rechts umzublicken. Nur so ist es möglich dem
kollektiven Höllenschlund zu entrinnen und nicht von einer kollektiven
Ergriffenheit bzw. einem undifferenzierten Gefühl absorbiert zu werden. Und
schon gar nicht darf sich der Blick nach hinten wenden !
Die Erde beginnt leicht zu zittern. Am vorderen Tunnelende - noch in sehr weiter Ferne - blitzt etwas auf. Von der Decke fallen plötzlich grosse Steine. Schattengestalten rennen in panischem Entsetzen herum. Dann erreichen erste, gellende Schreie mein Ohr. Menschen werden von herabfallenden Felsmassen zermalmt. Viele rennen vergeblich um ihr Leben. Andere schauen sensationslüstern dem Schauspiel zu und scheinen vergessen zu haben, dass auch sie in höchster Gefahr sind.
Die Erde als materielle Grundlage wird in der
heutigen Zeit von gewaltigen Erschütterungen erfüllt. Im kollektiven
Unbewussten finden gewaltige Wandlungen in Form riesiger
Weltbild-Umstrukturierungen statt. Dabei kommt jedes Individuum unweigerlich in
diese unbewusste Region hinein, weil es natürlicherweise mit dem heutigen
kollektiven Unbewussten verbunden ist - seiner Herkunft nach!
Für
jedes Individuum besteht die grosse Gefahr, dass es aufgrund seiner unbewussten
kollektiven Anhängsel (Meinungen, Methoden, Paradigmen, gängiges
Weltbild) in die "inneren Regionen" hinein "getragen" wird,
ohne sich dagegen wehren zu können. Jeder Mensch gerät somit zwischen
die Mühlsteine der heutigen Gegensatzproblematik. Wird aber das Individuum
aufgrund von Eigenerfahrungen in diese Zonen hineinverfrachtet, gerät es
unweigerlich auch in kollektive, völlig unkontrollier- und unübersehbaren
Erschütterungen. Es gelingt ihm unter Umständen nicht, sich von diesen
Ereignissen als ein Einzelwesen zu unterscheiden. Als ein Wesen, das zwar
betroffen ist, aber eben "bloss" zu einem Teil und in einer ganz
bestimmten Art und Weise.
Wenn es keine Abgrenzung und Unterscheidung
zum Kollektiv gibt, ist der Untergang unausweichlich. Entweder wird das
Individuum von der Last der anfallenden Probleme erschlagen und zermalmt oder es
wird von undifferenzierten Emotionen gepackt und vergisst sich selber im
rauschartigen Zustand..
Ich selber gehe Schritt für Schritt weiter - immer weiter - beinahe automatisch, obwohl ich fast zusammenbreche angesichts der Greuel. Endlich habe ich den Tunneleingang erreicht. Meine Gehgeschwindigkeit lässt sich nicht steigern, auch wenn ich wollte - sie ist mir vorgegeben.
Die Erdbebenwelle hat fast schon den Tunneleingang erreicht. Trotz der herabstürzenden Felsen rennen eine Unmenge von Leuten zum Tunnel, um ja nichts zu verpassen. Obwohl ich mit der Zeit einen gewissen Sicherheitsabstand zum Ort des Geschehens erreiche, gehe ich weiter, weil mir die Tunnelumgebung noch zu unsicher scheint. Der Tunneleingang ist nämlich derart hoch, dass ohne weiteres Steine weit hinaus geschleudert werden könnten.
Es geht einen steilen. Hang hinan. Der Aufstieg ist unsagbar mühsam. Endlich bin ich oben. Weiter unten begaffen die Leute nach wie vor das grausigste Schauspiel - wie zu Zeiten der Gladiatorenspiele, als Menschen zum Ergötzen anderer unter schlimmsten Qualen sterben mussten.
Ich selber fühle mich dumpf, denn meine Gefühle sind vollständig eingegrenzt und abgekapselt. Wäre dem nicht so, würde es mich zerreissen und auflösen. Trotz allem muss ich genauestens hinsehen, habe jedoch irgendwie die Gnade erhalten, das ungeheuere Leiden wie ein objektiv Beobachtender zu registrieren. Als Subjekt stehe ich einem gewaltigen kollektiven Geschehen gegenüber - ohne meine kritisch beobachtende Haltung aufgeben zu müssen. Und nur deswegen gerate ich nicht in den vernichtenden Sog jener tödlichen Destruktion, die in diesen undifferenzierten Emotionen wurzelt. Ich fühle als ein individuelles Wesen und nicht als Teil eines Kollektivs.
Mittlerweile hat die Erdbebenwelle den Ausgang des Tunnels erreicht und bereits Tausende von Menschenleben gefordert. Glücklicherweise ist das Beben unter freiem Himmel nicht so schlimm, weil einem keine Steine auf den Kopf fallen können.
Ich gehe in einen kleinen Tunnel, der parallel zum grossen verläuft und überlege, ob es hier nicht auch sehr gefährlich werden könnte. Nur wenigen Leute halten sich hier auf - aber sie haben den Tunnel erdbebensicher gebaut und vor allem verstärkt. Die Tunnelröhre ist mit irgend einer dicken gummiartigen Masse ausgekleidet und kann sich in ihrer Form und ihrem Verlauf der Erdbebenwelle anpassen. Auch Felsbrocken können sich nicht von der Decke lösen. Ausserdem weist dieser Tunnel einen derart geringen Durchmesser auf, dass er nicht zerdrückt werden kann - oder zumindest nicht von solch einem Beben wie diesem, das eben stattgefunden hat.
Ich finde demzufolge andere INDIVIDUEN, die
ebenfalls einen Zugang zur Erde bzw. in den Bereich des kollektiven Unbewussten
gefunden haben. Diese haben sich gegen einen totalen Einbruch abgesichert und
sich insofern differenzierter definiert, als sie den Tunnel ausgekleidet, abgestützt
und den Durchmesser klein und bescheiden gehalten haben. Sie versuchen auch, die
Beben "vorauszusehen" und sich der Möglichkeit eines Bebens
bewusst zu bleiben. Denn aufhalten oder gar verhindern lassen sich die
gewaltigen (inneren) Veränderungen nicht. Der Mensch kann sich bloss als
ein Individuum vom blindwütigen Geschehen "absetzen", indem der
Kollektivanteil bewusst gemacht und der persönliche Wandel akzeptiert und
verantwortlich umgesetzt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit, um die
Transformationen zu überleben, den Wandel BEWUSST mitzumachen und den
Paradigmenwechsel mitzuvollziehen.
In einem Kollektivrahmen läuft
alles blind ab, denn es geschieht in einem sozusagen grösenwahnsinnigen
Massstab. Die Transformation muss jedoch stets ein individueller
Wandlungsprozess sein, der zu einer Individuation des Menschen führt - denn
nur dies ermöglicht dem einzelnen Menschen das Überleben innerhalb
eines Kollektivs. Der Mensch kann weiterhin bewusst am Geschehen mitbeteiligt
sein - auch als ein politisches Wesen.
Konvertierung zu HTML Februar. 2001
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©Werner Zurfluh