2. Kapitel / Teil 2 Werner Zurfluh |
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2.1.2. Weltbild und Paradigma
Während meines Studiums an der Universität und am C.G. Jung-Institut in
Zürich habe ich niemals etwas von einer Außerkörperlichkeit oder
einem luziden Traum
gehört. Meine Versuche, von diesbezüglichen Erfahrungen zu erzählen,
stießen auf taube Ohren. Das Konzept eines sich selbst und
seines Zustandes vollbewußten Ichs bei schlafendem Körper schien an
keiner Stelle in das anerkannte Weltbild oder gar in ein offiziell gebilligtes Paradigma
hineinzupassen. Ich fragte mich nach dem Grund dieses
Sachverhaltes und beschäftigte mich deshalb vermehrt mit Erkenntnistheorie,
woraus ich folgendes lernte:
(Inhalt)
Die Mittel, die man benutzt, um Kenntnisse zu erwerben, werden innerhalb eines bestimmten Rahmens entwickelt, der als eine Art Grundidee vorgegeben ist. Diesen Rahmen bezeichnet man als Weltbild. Nun beruht jedes Weltbild auf einer Reihe von sehr erfahrungsfernen Voraussetzungen, die weder ausdrücklich aufgewiesen noch in Frage gestellt werden. Diese als selbstverständlich aufgefaßten Grundlagen der persönlichen Anschauung werden einfach verwendet und als Bestandteil des gesunden Menschenverstandes betrachtet. Sie bilden eine Art Grundgefühl, das als emotionaler Hintergrund die eigene und die allgemein verbindliche Lebensweise und Lebensauffassung bestimmt. (Anm.1) Dieser Hintergrund gilt als unerschütterlich, unveränderbar und ewig. Aus ihm heraus werden Paradigmen geboren, die nicht zu ihm in Widerspruch stehen. (Inhalt)
Auf die bestimmende Rolle der Paradigmen und die Problematik eines Paradigmenwechsels hat Thomas S. Kuhn schon 1963 hingewiesen. - Z.B. gestatten es die anerkannten psychologischen Paradigmen nicht, die Aufmerksamkeit von der Deutung der Träume auf die Beobachtung und Schulung des Verhaltens des Ich während des Träumens zu verlagern und die damit zusammenhängenden erkenntnistheoretischen Fragen zu stellen. Außerdem lehnen sie strikt jede praktische und theoretische Relevanz der Beobachtung ab, daß man sein Ich-Bewußtsein vollständig auch während des Schlafzustandes des physischen Körpers beibehalten kann. Dieses Verbot ist tief im Weltbild verwurzelt. (Anm.2) (Inhalt)
Meines Erachtens ist es ungeschickt, den Erfahrungsbereich des Menschen einzugrenzen, auf den Alltag zu beschränken und mit irgendeinem Weltbild abzudecken. Dem Sicherheitsbedürfnis und dem Wunsch nach Berechenbarkeit des Unvorhersehbaren steht die Nichtvoraussagbarkeit der Wirkungen spiritueller Erlebnisse gegenüber. Persönliche Erfahrungen verändern das Verhalten und setzen damit jeder erzieherischen Planung, allen wirtschaftlichen Voraussagen und politischen Entscheidungen ihre Grenzen. Die Tore sollten für den Zufall offenbleiben. Doch die Tore bleiben geschlossen. (Anm.3) Und um jedem Zufall vorzubeugen, wird sogar der Rahmen der Grundlagenforschung enger gesteckt. Doch Vorhaben, die durch Zielvorstellungen und Plansoll bestimmt sind, werden dem Zufall gegenüber blind, weil wegen der Sachzwänge keine Zeit mehr übrigbleibt, dem scheinbar Nebensächlichen und Unpassenden nachzugehen. (Anm.4)
Es braucht eine innere Bereitschaft und Offenheit, Dinge als sinnvoll zu betrachten, die nicht in das vorgegebene Konzept hineinpassen. Alles Wissen, das sich durch die Beobachtung des Unerwarteten gewinnen ließe und nicht beachtet wird, bleibt draußen vor verschlossener Tür und wächst dort zu monströsen Formen heran. Wer das alte Weltbild auf der Suche nach dem Lebenssinn verlassen will, hat damit zu rechnen, daß vor der eigenen Türe furchterregende Dinge lauern. (Anm.5) (Inhalt)
Die Weigerung, sich sein Leben ausschließlich durch das momentan gerade modische Weltbild bestimmen und sich seine Erfahrungsmöglichkeiten vorschreiben zu lassen, ist Ausdruck der Umsicht eines Menschen, der genau weiß, daß sein Leben auf dieser Erde nur von beschränkter Dauer ist. Andererseits ergibt sich die Ablehnung und Relativierung einer bestimmten Weltanschauung auch aus der Bereitschaft zur Serendipity. Doch ausschlaggebend für die definitive Abkehr von einer nur auf das Materielle und den Alltag ausgerichteten Lebensweise wird letzten Endes immer die Gewißheit der außerkörperlichen Erfahrung sein. Dieses Erlebnis eröffnet einen bislang unbeachtet gebliebenen Zugang zu den Problemen des Alltags. (Inhalt)
Wer den außerkörperlichen Seinszustand nur ein einziges Mal selbst erlebt hat, (Anm.6) ist überzeugt von der Tatsächlichkeit dieser Existenzmöglichkeit. Aus einem oder mehreren Erlebnissen darf man aber noch kein allgemeingültiges Begriffssystem ableiten wollen. (Anm.7) Sonst würde das Konzept der Außerkörperlichkeit nur wieder zu einem neuen Dogma erstarren und von neuem den Ausschluß unpassender Erlebnisteile erzwingen. Dogmatische Ansichten bleiben systemfremden Erfahrungsgewißheiten gegenüber blind. (Anm.8) (Inhalt)
Werden beim Umbau und der Neukonstruktion des Weltbildes die subjektiven Erfahrungen nicht mitberücksichtigt, muß dies irgendwie begründet werden. Dies geschieht durch die Forderung, wissenschaftliche Resultate müßten objektiv sein, weshalb der Subjektanteil nichts in ihnen zu suchen habe. Aber es gibt keine Theorie, die subjektunabhängig konzipiert worden ist oder ohne den Einfluß (subjektiver Störgrößen) experimentell geprüft werden kann. Dennoch tun viele immer noch so, als würden Vorstellungsvermögen und Erlebnisfähigkeitt (Anm.9) des Menschen beim Aufbau einer Wissenschaft völlig belanglos sein. Manchmal scheint es mir, als sei die Obiektivitätsforderung bloß ein schlecht getarnter Herrschaftsanspruch, der zu seiner Stabilisierung der Entmythologisierung, der statistischen Nivellierung und der Unterdrückung subjektiver Erfahrungen bedarf. Um den subiektiven Faktor nämlich in Grenzen halten zu können, muß der einzelne Mensch zu einem vollangepaßten gesellschaftlichen Wesen und zu einem namenlosen Massenpartikel erzogen werden. Mit gezielten Informationen kann man ihn daran hindern, zu sich selbst vorzustoßen. Dazu gehört auch der Zwang der schulischen und beruflichen Ausbildung, in deren Verlauf man sich Wissen zu erwerben hat, das sich einzig aus dem rationalen und materiellen Bereich rekrutiert und nur linkshirnig (Anm.10) und intellektuell ist. (Anm.11) Auf diese Weise wird der Weg zu den eigenen Erlebnisbereichen verbaut. Als Erwachsener ist es dann kaum mehr möglich, sich das Leben mittels persönlicher Erfahrungen zur Gewißheit werden zu lassen und existentielles Wissen zu gewinnen. (Anm.12) Erwachsene haben gelernt, das durch die Vernunft nicht Greifbare des individuellen Menschseins durch Eingliederung in ein Theoriegefüge zu objektivieren und statistisch einzuebnen. (Anm.13) (Inhalt)
Für die einen sind Eigenerfahrungen völlig bedeutungslos. Andere neigen dazu, sie aufzubauschen, denn gerade aus der unmittelbaren spirituellen Erfahrungsgewißheit erwächst oft ein Elitarismus und Dogmatismus besonderer Ausprägung. Er findet seinen Höhepunkt im Glauben an die Führerschaft und an das Gurutum, wobei jede Skepsis ausgeschlossen bleibt. Führer sind nun diejenigen, denen Geheimes offenbart wurde, wodurch sie sich als Subjekte weit über die dumpfe Masse des Durchschnitts herausgehoben fühlen und sich mit dem Glorienschein der Auserwähltheit umgeben. Jeder Zweifel wird im Keim erstickt, denn «die Massen ... sind nicht imstande, die Wahrheit aus dem Abgrund des Irrtums heraufzuholen. Darum sind Führer notwendig», die «den ganzen göttlichen Plan mit all seinen Zielen und Richtungen» sehen (Challoner 1976:280).
Durch die zwingende Ausschließlichkeit solcher Aussagen wird jede vernünftige Argumentation abgewehrt. Geduldet werden nur noch blinde Gefolgschaft und absoluter Gehorsam. Spätestens jetzt erinnere man sich daran, «daß wir mit unseren Ansprüchen etwas mehr haushalten» sollten (Duerr 1978:315). Zwar vermag jede Erfahrung aus der Ratlosigkeit der Sinnleere hinauszuführen, die Unwissenheit der eingeschränkten, eindimensionalen Lebensweise aufzubrechen und den nagenden Zweifel an der Wirklichkeit verstummen zu lassen. Aber keine Erfahrung darf den Anspruch auf alleingültige und alleinseligmachende Wahrheit erheben - der Grad ihrer Gewißheit, ihres geborgenheit- und sicherheitgebenden Gefühls mag noch so stark sein. Ohne Kritikvermögen und erkenntnistheoretische Reflexion wird Gewißheit bloß zu Voreingenommenheit und Sturheit, erstarrt zur Wandlungsunfähigkeit und fordert fern jeder Nächstenliebe die Erfüllung von Pflichten und Prüfungen, die aus bestimmten Zielvorstellungen heraus legitimiert werden.
Zu leicht vergißt man bei erschütternden, die ganze Person in ihrer Existenz zutiefst treffenden Erfahrungen, daß selbst Gefühle absoluter Gewißheit oder die Gewißheit denkerischer Notwendigkeiten keine Garantie dafür sind, in den Besitz der Wahrheit gekommen zu sein. Die Fahigkeit, der Ungewißheit trotz allem ihre Berechtigung zuzugestehen (Anm.14) und stets mit einem gehörigen Maß an Mißtrauen dem allzu Offensichtlichen entgegenzutreten, bleibt ein notwendiger Bestandteil zwischenmenschlicher Beziehungen und erleichtert das Gespräch erheblich. (Anm.15)
«Kuhn hat ... anhand historischer Beispiele gezeigt, daß die übliche Vorstellung von der Entwicklung der Wissenschaften als einem kumulativen Prozeß der Vermehrung von Wissen durch Sammlung von Fakten und durch Formulierung immer exakterer und umfassenderer Theorien nicht haltbar ist. Perioden normaler Wissenschaft, auf die ein solches Modell zutrifft, werden vielmehr immer wieder von wissenschaftlichen Revolutionen unterbrochen, auf die es nicht anwendbar ist. Ein normales Stadium wissenschaftlicher Entwicklung ist nach Kuhn gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines Paradigmas. Ein Paradigma umfaßt eine Theorie, Modellfälle ihrer erfolgreichen Anwendung, metaphysische Hintergrundannahmen über den Gegenstandsbereich der Theorie und methodologische Normen für Begründungen und experimentelle Untersuchungen. Hintergrundannahmen und Normen sind dabei, wie Kuhn betont, nicht explizit formuliert und die intendierten Anwendungen der Theorie sind nicht exakt abgegrenzt, sondern nur paradigmatisch bestimmt durch die Modellfälle erfolgreicher Anwendungen. ... Ein solches Paradigma definiert Methoden zur Lösung von Problemen, die sich in einigen wichtigen Fällen bewährt haben, und die normale Wissenschaft besteht darin, neue Probleme mithilfe dieser Methoden zu lösen, die Methoden zu verfeinern oder mithilfe neuer Spezialgesetze den Anwendungsbereich der Theorie zu vergrößern. Sie ist also, wie Kuhn sagt, eine Tätigkeit des puzzle solving, nicht jedoch eine Konfrontation der Theorie mit der Erfahrung, eine Prüfung ihrer Gültigkeit. In der normalen Wissenschaft wird die Theorie nicht als eine zu testende Hypothese angesehen, sondern als ein Instrument zur Lösung von Problemen. Sie ist nicht Gegenstand, sondern Grundlage der Untersuchungen. Für jedes Paradigma gibt es ungelöste Probleme, d. h. Phänomene, die sich einer erfolgreichen Beschreibung oder Erklärung mithilfe der Theorie entziehen - Kuhn spricht von Anormalien. ... Probleme oder Problemgruppen, die sich hartnäckig einer Lösung mithilfe des Paradigmas entziehen, können aber mit der Zeit das Bewußtsein wecken, daß das Paradigma für ihre Erklärung unbrauchbar ist. Dadurch gerät es in eine Krise. In dieser Krise erhalten neue Theorien, bzw. Paradigmen eine Chance, die sich für eine Lösung der Probleme anbieten. Die Krise bewirkt eine Bereitschaft unter den Wissenschaftlern, eine neue Theorie zu akzeptieren, mit einem neuen Paradigma zu arbeiten.Zur Kritik an den Auzssagen Kuhn vgl S.509-512.
Einen solchen Paradigmenwechsel bezeichnet Kuhn als eine wissenschaftliche Revolution ... Im Sinn des Kuhnschen Paradigmabegriffs bedeutet dabei ein Paradigmenwechsel nicht nur den Übergang von einer Theorie zu einer anderen, sondern oft auch eine Änderung der wissenschaftlichen Sprache, der Hintergrundannahmen oder der methodologischen Normen. Für Kuhn stellt ein Paradigmenwechsel insgesamt eine grundlegende Änderung der Auffassungen dar, die er mit dem psychologischen Phänomen des Gestaltwandels vergleicht. ...
Die neue Theorie ist zunächst oft weniger exakt formuliert als die alte, ist nicht einfacher und hat oft weniger Probleme gelöst als diese. Die alte Theorie läßt sich auch in der Regel nicht auf die neue reduzieren. ... Insofern sind die konkurrierenden Paradigmen inkommensurabel. Daher gibt es keinen Punkt, an dem der Widerstand gegen ein neues Paradigma unlogisch oder unwissenschaftlich würde.
Das Fazit Kuhns ist also, daß es keine objektiven empirischen oder logischen Kriterien gibt, nach denen man einen Paradigmenwechsel als Fortschritt deuten kann, sondern daß er sich immer nur vom Standpunkt des Siegers aus als Fortschritt darstellt. Fortschritt im kumulativen Sinn gibt es insbesondere nur innerhalb eines Paradigmas.
... Was "wissenschaftlich" oder "rational" ist, bestimmen die Wissenschaftler. Sie bestimmen es je nach ihrem Standpunkt, und dieser Standpunkt ist per definitionem der des Paradigmas, das sich durchgesetzt hat. Die Rede von "Irrationalität" würde voraussetzen, daß es feste, paradigmenunabhängige Kriterien für Wissenschaftlichkeit und Rationalität gäbe, was nach Kuhn nicht der Fall ist.»
Da «Lernvorgänge in beiden Hälften unabhängig voneinander ablaufen
können» Dobkin de Rios/Schroeder 1981:547), muß
zwischen den beiden
Hemisphären nicht unbedingt ein Informationsaustausch stattfinden,
woraus sich dann ein Bewußtseinskonflikt ergibt. Dieser Konflikt kann
durch das dritte Bewußtsein (tertium datur) behoben werden. «Zu diesem
letzteren Zustand kommt es, wenn beide Hälften miteinander verbunden
sind und sich in dialektischer Harmonie befinden. Demnach ist die Beziehung zwischen
beiden Hirnhalbkugeln nicht notwendig antagonistisch,
sondern dialektisch. ... Da der dialektische Modus die Ressourcen beider
Hemisphären nutzen und beide komplementären Denkmodi integrieren
kann, ist er der Modus des ganzheitlichen Verstehens, der Inspiration, der
Gedankenblitze und genialen Ideen» (ibid.:548).
Dieser Ansatz von TenHouten und Kaplan, den sie in ihrem Buch Science
and its Mirror Image 1973 dargelegt haben, ist vielversprechend, knüpft
gewissermaßen an alte Traditionen an und verlangt Schulung und Nutzung
der instrumentellen Funktion der linken Hemisphäre und der intuitiven
Funktion der rechten.
Bevor wir also «sogenanntes magisches Verhalten als irrational oder abergläubisch
abtun, sollten wir es auch unter dem Aspekt der Denk- und
Wahrnehmungsmuster der rechten Hirnhälfte sehen» (ibid.). Von diesem
Gesichtspunkt aus wäre 'Außerkörperlichkeit' eine Reise in die rechte
Hirnhälfte hinein. Meines Erachtens ist diese Auffassung aber doch zu eng,
um die Bandbreite außerkörperlicher Erfahrungsweisen zu erfassen. Doch
als erster Approach mag sie fruchtbar sein.
Untersuchungen über die Links-Rechts-Asymmetrie des Gehirns gehören, verallgemeinert gesehen, zum Problemkreis der Polarität und Gegensätzlichkeit, über den ein umfangreiches Schrifttum vorliegt, zumal sich auch Dichter und Philosophen intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben. Die Dualität des Menschen läßt sich sowohl anatomisch wie physiologisch aufzeigen. Neuerdings ist es auch gelungen, einige der funktionellen Asymmetrien der Großhirnhemisphären «mit anatomischen Asymmetrien in Beziehung zu setzen und ähnliche ungleichmäßige Aufgabenverteilungen auch bei einigen Tierarten nachzuweisen» (Geschwind 1979:127).
Nicht erst die Neurophysiologen der Moderne haben auf anatomische und
physiologische Links-Rechts-Unterschiede hingewiesen. H. Baraduc hat
schon vor 1900 mit Hilfe seiner 'Vibrationsmessungen' deutliche Unterschiede zwischen
der linken und der rechten Körperhälfte festgestellt. Er
folgerte daraus, daß die rechte Körperseite (hauptsächlich
linkshemisphärisch kontrolliert!) Ausdruck des Objektiven, der materiellen Realisierung
und der physischen Vitalität sein muß. Der linken Körperseite
(hauptsächlich rechtshemisphärisch kontrolliert!) ordnete er das Subjektive,
das Vorstellungsvermögen, das Gefühl und die psychische Vitalität zu.
Auch Iwan
P. Pawlow hatte vor der Entdeckung der funktionellen Spezialisierung der
Hirnhälften von "zwei Persönlichkeitstypen" gesprochen: «Die Erfahrung
zeigt deutlich, daß zwei Kategorien von Menschen bestehen, die sich sehr
stark voneinander unterscheiden: Künstler und Denker. Die Künstler
begreifen die Wirklichkeit in ihrer Ganzheit als lebendes und unteilbares
Wesen. Die Denker sezieren die Realität und zerteilen sie bis in ihre
Einzelheiten. Später setzen sie Stück um Stück zusammen und versuchen
ihr Leben einzuhauchen» (zit. in: Deglin 1975/1976:32).
Für die höheren Sektoren des Gehirns ist die Interaktion aufgrund komplexer und
paradoxer Verbindungen von höchster Bedeutung - bildhaftes
und abstraktes Denken können gleichzeitig funktionieren. Andererseits
wird «die verbale Aktivität größer, oder, mit anderen Worten ausgedrückt,
die Aktivität der linken Gehirnhälfte verstärkt sich» (ibid.: S.32),
wenn die rechte Hälfte inaktiv ist. Es scheint auch möglich, daß die eine
Hemisphäre «die andere am Arbeiten» (ibid.) hindert.
«So leicht es ist, die Zusammenarbeit zu verstehen, so wenig sinnvoll
scheint die gegenseitige Behinderung. ... Der Behinderungsprozeß hält den
Stimulus davor zurück, Gebiete zu erreichen, die nicht aktiviert werden
sollen. Er vermindert auch die Intensität des Stimulus, so daß dieser gerade
die Kraft hat, den gewünschten Effekt hervorzurufen, und hemmt ihn
dann, wenn dieser Effekt nicht mehr nötig ist. ...
Die Interaktion der Gehirnhälften gibt uns die Sicherheit, daß immer
Reserven vorhanden sind. Sie erlaubt aber auch ein präzises und feinfühliges
Gleichgewicht zwischen ihren Handlungen herzustellen. So ist es
möglich, jederzeit die beste Verbindung zwischen bildhaftem und abstraktem Denken
aufrechtzuerhalten. ...
Wir können mit Bestimmtheit sagen, daß es ein Irrtum ist, von herrschender und
untergeordneter Gehirnhälfte zu sprechen. Es gibt keine besseren
oder schlechteren Hirnhemisphären. Die rechte Hälfte ist Basis des bildhaften Denkens
und erfaßt alle Erscheinungen in ihrem ganzen Reichtum und
ihrer Mannigfaltigkeit. Die linke Hirnhälfte ist Basis des abstrakten Denkens und sucht
und findet in dieser Welt ein harmonisches Modell von
Ursache und Wirkung. Ein Mensch kann aber seine Fahigkeiten nur dann
voll ausschöpfen, wenn beide Hälften seines Gehirns zusammenarbeiten
und ein harmonisches Gleichgewicht herstellen.» (ibid.)
Pubertierende erleben oft zum ersten Mal ganz bewußt, daß sie auch außerkörperlich existieren können. Dabei sind ihre 'Astral-Sinnesorgane' intakt - und nicht wie bei vielen Erwachsenen funktionsunfähig. Erwachsene verlieren z.B. ihre Sehfähigkeit im außerkörperlichen Zustand nur deswegen, weil sie diese Art des Sehens seit Jahren durch Nichtgebrauch haben verkümmern lassen - und sie müssen auch wieder lernen, die Frage nach dem Ich-Bewußtsein zu stellen. Sie verlieren ihre Kindheit, was die Selbstverständlichkeit betrifft. Es ist die Aufgabe des erwachsenen Menschen, gewisse Dinge kritisch zu bedenken. Ein Kind wird sich kaum überlegen, weshalb die Fähigkeit der Selbstbewußtheit auf den Alltag beschränkt sein und im Schlafzustand des Körpers und in den Träume verloren gehen muß. Gibt es denn einen Grund, jene allnächtlich hell und klar sprudelnden Quellen der seelischen Erfahrung zuzuschütten? Diese Frage haben Erwachsene zu beantworten. Die Antwort liegt in ihrer Verantwortung - und von ihr wird es unter anderem abhängen, ob das Leben einen Sinn hat! (In vielen Märchen geht es übrigens darum, eine verschüttete Quelle wieder zum Fliessen zu bringen.)Mit welcher Selbstverständlichkeit sie die fremdartigsten Erlebnisse im Traum annehmen, das wurde mir von meinen eigenen Kindern gezeigt. Tochter und Sohn berichteten manchmal von ausgedehnten Flugerfahrungen und fantastischen und wunderbaren Ereignissen. Viele der nächtlichen Erfahrungen wurden erzählt, und zeitweise ergaben sich Situationen, wo sogar Ratschläge in bezug auf das Verhalten im Traum erteilt werden konnten.
Meine Tochter erzählte eines Morgens, sie sei in einem Traum am Rande eines sehr steilen Abhanges gestanden und habe ins Tal hinuntergehen wollen, aber keinen Weg gefunden, der einigermaßen sicher gewesen wäre.
«Fliege doch das nächste Mal einfach hinunter! Stoße dich vom Rand ab und dann wird es sehr leicht gehen!», riet ich ihr, worauf sie meinte:
«Aber das geht doch nicht! »
«Doch, das geht», antwortete ich, «du mußt daran denken, daß du träumst. Im Traum gelten andere Gesetze und gibt es andere Möglichkeiten, als hier auf der Erde. Da könntest du natürlich so etwas nicht machen, sondem müßtest zu Fuß gehen. Aber in den Träumen kann man fliegen.»
«Ja sicher?»
«Ganz bestimmt!»
Einige Tage später erzählte sie dann, daß sie geflogen sei und ein herrliches Gefühl dabei gehabt habe.
Für Kinder ist es meist ein Leichtes, die Träume zu erinnern. Und wenn sie Gelegenheit haben, ihre Erlebnisse zu berichten, dann verlieren sie das Erinnerungsvermögen niemals ganz. Ihr Verhältnis zu den nächtlichen Erfahrungen ist spontan natürlich und ungetrübt von psychologischen Konzepten. Die Nacht ist für sie ein Erfahrungsbereich, der dem Tag durchaus ebenbürtig ist. Die Traumerfahrungen sind genauso wichtig oder unwichtig wie das Spiel oder die Femsehsendung. Haben sie die Erfahrung z.B. des Fliegenkönnens einmal gemacht, wird sie als Möglichkeit zur Kenntnis genommen und akzeptiert - und spielt keine besondere Rolle mehr. Kinder lassen sich im Spielverhalten und in der Schule ebenso beeinflußen und erziehen wie im Traumverhalten. Ihre Einstellung zum Traum ist ein Spiegel der Einstellung der Eltern diesem Phänomen gegenüber.
Als ich meinen Sohn einmal fragte, ob er sich bei seinem ausgedehnten Flug über Afrika und Asien, von dem er eben beim Morgenessen der Familie erzählt hatte, eigentlich überlegt habe, ob er träume oder nicht, antwortete er:
"Ich hatte überhaupt keine Zeit, daran zu denken! Es ist sehr schwierig gewesen, genau zu erkennen, über welches Land ich fliege, zumal ich so hoch geflogen bin. Und deswegen konnte ich an nichts anderes denken."Noch ein Letztes zu den Träumen der Kinder: Oft ist zu lesen, Träume seien völlig unzusammenhängend und unverständlich. Das mag für Erwachsene gelten, die vergessen haben, daß sie als Kinder geträumt haben, gilt aber kaum für die Kinder. Ihre Träume sind stets wie Geschichten, die gut verstanden werden. Zudem sind die Träume farbig! Ich habe nie gehört, daß meine Kinder schwarz-weiß geträumt haben. Mein Sohn antwortete auf meine diesbezügliche Frage mit verdutztem Gesicht, dem man deutlich die Mißbilligung ansehen konnte, daß ich überhaupt solch eine unsinnige Frage stelle, nach einigem Zögern:
«Wenn es im Traum Nacht ist, dann sehe ich, wie ich in der Dunkelheit sehe. Wenn es aber Tag ist, dann eben so, wie am Tag. Nachts kann man ja keine Farben sehen, am Tag aber sehr wohl!»Der Hinweis auf die Kinder zeigt eindrücklich, daß sie einen natürlichen und vorurteilsfreien Zugang zu den Träumen und zu den Vorstufen des luziden Träumens und der außerkörperlichen Erfahrung haben. Viele ihrer Träume scheinen luzide Träume zu sein, nur daß die Kinder keine ausdrückliche Ich-Bewußtseinskontrolle machen - aber das machen sie tagsüber auch nicht, weil sie ihr Ich-Bewußtsein als Selbstverständlichkeit leben.
Zwischen dieser Einteilung und der funktionellen Asymmetrie des Gehirns läßt sich leicht eine Parallele ziehen:«Der erste Grad entspricht jenem Geisteszustand, der ... als ditthi bezeichnet wird, nämlich Meinungen oder Ansichten, die nicht unter dem Einfluß der Vernunft (paññindriya), sondern unter dem des Begehrens (tanhâ) und der durch dieses bedingten Sinneseindrücke stehen.
Der zweite Grad ist auf Überlegung und Erwägung (vitakkavicarâ) begründet, d.h. auf logischen Folgerungen, und führt - soweit diese innerhalb der Grenzen begrifflichen Denkens und seiner Gesetze sachgemäß angewandt werden - zu wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen, die mehr oder weniger dem buddhistischen Terminus 'ñâna' entsprechen.
Der dritte Erkenntnisgrad, der höchste Wissensstand, ist bodhi, der Zustand der Erleuchtung, der mit Hilfe von paññindriya, dem leitenden Prinzip des Geistes, verwirklicht wird und seine Grundlage in jenem intuitiven Bewußtseinszustand (jhâna) der Meditation (bhâvanâ) hat, in dem 'die Identität des erkennenden Geistes mit dem erkannten Objekt' vollkommen hergestellt ist (appanâ bhâvanâ)
Obwohl strenggenommen alles Wissen subjektiv ist, d.h. auf individueller Erfahrung, Beobachtung und Gedankenkombination beruht, können wir den ersten Wissensgrad als im engeren Sinne 'subjektiv' bezeichnen, nämlich insofern er das erlebende Subjekt betont; und in ähnlich begrenztem Sinne können wir den zweiten Wissensgrad als 'objektiv' bezeichnen, während der dritte Grad die Vereinigung von Subjekt und Objekt darstellt. Das 'begrenzt-subjektive' Wissen ist mit den augenblicklichen Problemen der sinnlichen (körperlichen) und emotionellen Seite unserer Existenz beschäfigt. Der zweite Grad, der dem intellektuellen Wissen entspricht, betont die Objekte unserer Wahrnehmung, indem er sie von dem wahrnehmenden Subjekt abstrahiert (nur in diesem relativen Sinne können wir von 'objektivem' Wissen sprechen) und beschäfitgt sich mit Wissenschaft und Philosophie, den Problemen der Erscheinungswelt, die als 'Dinge' oder 'Begriffe' dargestellt werden, d. h. als materielle oder gedankliche Einheiten, begrenzt durch Form oder Definition.
Intuitives Wissen, das den dritten Grad bildet, ist frei von Parteilichkeit, Vorurteil oder Dualismus: es hat die Extreme der Subjekt- und Objektbetontheit überwunden und führt zu einer integralen Weltanschauung, zum Erlebnis eines kosmischen Bewußtseins, in dem das Unendliche nicht bloß verbegrifflicht, sondern verwirklicht wird.» (Govinda 1962:48-49).
«Eine Beobachtungsweise, welche das Individuelle absichtlich verwischt, ignoriert und nur die wesentlichsten, am stärksten zusammenhängenden Umstände ins Auge faßt, wird in der Statistik wirklich angewendet» (Mach (1926) 6.Aufl.1968:281).
Für den einzelnenMenschen stellt sich dieFrage, was für
ihn das Wesentlichste ist - wohl kaum das, worin er sich von seinen
Mitmenschen nicht unterscheidet.
Das Einmalige entzieht sich der Statistik, weshalb dann
z.B. bei den Untersuchungen der Intensität der gedanklichen Beschäftigung mit
Tod und Sterben die «Persönlichkeitsdimensionen, obwohl von erheblicher Bedeutung
für die Psychologie ... bisher
kaum beachtet» (Wittkowski 1978:37) wurden.
«Implizit verstehen zahlreiche Untersucher intensive Beschäftigung mit
dem Tod annähernd in demselben Sinn wie angstvolle Beschäftigung mit
dem Tod, eine Auffassung, die einerseits Mißverständnisse begünstigt,
andererseits aber empirisch belegbar ist» (ibid.:39).
Gemäß der von Thomae 1971 vorgestellten «Kognitiven Theorie der alternden Persönlichkeit» ist folgendes Postulat von erheblicher Bedeutung: «Verhaltensänderung kovariiert stärker mit erlebter Veränderung als mit objektiver Veränderung» (Thomae 1971:10, zit. in: Wittkowski 1978: 41). Dies dürfte nicht nur im Bereich der Thanatopsychologie zu beachten sein, sondem ist auch im Zusammenhang mit der Außerkörperlichkeit bedeutsam.
Immerhin kann die Statistik etwas leisten, wenn es darum geht, die allgemeine Verbreitung der außerkörperlichen Erfahrung nachzuweisen. Dies ist z.B. geschehen durch Sheils 1978. In den nächsten Jahren wird sich auch die etablierte Wissenschaft mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Erlebnismöglichkeiten auseinandersetzen und vertraut machen müssen - bis jetzt im Jahre 1996 ist das nicht geschehen. Denn nur so läßt es sich verhindern, daß ungewöhnliche, aber integrierende Erlebnisse als zersetzend und belastend taxiert und falsch behandelt werden.
Statistische Resultate sind aber trotz allem eher Ausdruck der Suggestivkraft bestimmter Fragestellungen
und der Manipulierbarkeit des 'befragten
Feldes' als Beweise für den Wahrheitsgehalt einer Hypothese.
« man der inneren Anschauung nach ist, und was der Mensch sub
spezie aeternitatis zu sein scheint, kann man nur durch einen Mythus
ausdrücken. Er ist individueller und drückt das Leben genauer aus als
Wissenschaft. Sie arbeitet mit Durchschnittsbegriffen, die zu allgemein
sind, als daß sie der subjektiven Vielfalt eines einzelnen Lebens gerecht
werden könnten» (Jung (1961) 1962:l0). So hat es C.G. Jung in seinem
83. Lebensjahr unternommen, den Mythus seines Lebens zu erzählen,
wobei er die Feststellung macht, daß er nur «Geschichten erzählen» kann.
«Ob sie wahr sind, ist kein Problem. Die Frage ist nur, ist es mein Märchen,
meine Wahrheit?» (ibid.; - vgl. zur Frage des Erzählens das, was in einem späteren Kapitel
von 'Quellen der Nacht' zu «mythologein» gesagt wird).
«Die wahre
Sprache der Psychologie ist nicht Latein, sondern schlichte Erzählkunst»
(Naranjo (1973) 1979:161).
«Der am Einzelsystem sich abspielende Vorgang bleibt freilich bei solcher (statistischer) Betrachtungsweise völlig unaufgeklärt; letzterer ist eben durch die statistische Betrachtungsweise aus der Darstellung völlig eliminiert» (Einstein 1936:313;).
Über die Brauchbarkeit der statistischen Methoden und die Voraussetzungen ihres
Einsatzes vgl. Ferrera 1976:56-68. Im Hinblick auf die allgemeine Rezeptionsproblematik bei
Spontanphänomenen bietet Ferrera
mathematische Analysemethoden zu einer objektiven Klärung des Tatbestandes an.
Denn «die Rezeptionsproblematik wird insbesondere dann
gravierend, wenn die fraglichen Phänomene selten auftreten oder wenn sie
sich mit dem jeweiligen Weltbild schwer vereinbaren lassen» (Ferrera 1976:57).
«Endzweck all dieser mathematischen Hilfsmittel soll es nicht sein,
Gegner zu überzeugen - die Rezeptionsbereitschaft wird wohl durch
mathematische Deduktionen ebensowenig beeinflußt wie durch materielle
Beweisstücke - sondern das Datenmaterial .zum Sprechen zu bringem,
d. h. verborgene Eigenschaften und Zusammenhänge zwischen Einzeldaten
aufzudecken» (ibid.).
Für Parapsychologen dürften Ferreras Erörterungen
interessant sein, da sie auch neuere mathematische Spezialgebiete wie
«Automatische Klassifikation» , «Spieltheorie» und «fuzzy sets theory» zur
Sprache bringen. Allerdings würde ich den «volkstümlichen generellen
Manipulationsverdacht» (ibid.) nicht einfach als 'unwissenschaftlich' abqualifizieren,
sondern mich fragen, ob dieser Vorwurf nicht zumindest
teilweise berechtigt ist, denn Formeln und Theorien sind tatsächlich oft
klüger als ihre Autoren - und meistens wesentlich beschränkter in ihrem
Anwendungsbereich, als es deren Benutzer meinen.
«Wir neigen dazu, in abstrakten Größen zu denken, doch diese zeichnen ein falsches Bild von der wirklichen Welt. Dieser Irrtum erhielt durch die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ungeheuren Auftrieb. Die Naturwissenschaft ließ sich von der Idee leiten, Quantitäten seien gute und zutreffende Kriterien. Dann verfiel sie in den Fehler, Zahlen für Quantität zu halten. Man schwört auf die Statistik, die mit Zahlen umgeht, als wären es Quantitäten. In Wirklichkeit haben Zahl und Quantität verschiedene logische Ursprünge. Zahlen sind diskret . . . Quantitäten sind stets Annäherungen» (Bateson 1978:58;).
«Was wir vielleicht am meisten brauchen, ist ein Abschalten von globalen, nationalen, insgesamt von allen übermenschlichen großen Statistiken» (Schumacher 1979:27).
Schalten wir also einen dominierenden Faktor unseres Weltbildes einmal ab - dann werden wir fähig sein, auch andere Erkenntnisquellen wahrzunehmen.