Die Dreikörpertheorie

Werner Zurfluh
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Der Körpereinteilungen gibt es viele. Hier ein Beispiel:
In der Alchemie gilt der physische Leib als die 'grobstoffliche Hülle' des Menschen. Daneben gibt es den ‚Astralkörper' bzw. die ‚Seele', die auch als 'verborgener Zweitkörper' bezeichnet wird. Energetisch werden die beiden Körper durch eine ‚Astralmatrize' verbunden. Der Astralkörper ist 'feinstofflicher' als der physische, aber gegenüber einem dritten Körper, dem sog. Mentalleib, selber wieder wesentlich 'grobstofflicher'. Dieser Mentalleib ist der Träger des Geistes und energetisch durch die ‚Mentalmatrize' mit dem Astralkörper verbunden. (Die Ausführungen der alchemistischen Dreikörpertheorie im Zusammenhang mit der Astrologie beruhen auf Texten von Beat Krummenacher.)

Durch die Vererbung physischer Natur erhält der Mensch die Grundlagen seiner physischen Ausgestaltung. Genauso besitzt jeder Mensch ein 'seelisches' Erbgut, das die Prägung auf astraler Ebene bewirkt. Ebenso wie bestimmte Ereignisse (z.B. Rekombinationen und Mutationen) die Ordnung der Gene auf der physischen Ebene beeinflussen, so beeinflusst das 'astralenergetische' Feld die energetische Struktur des Astralkörpers im Augenblick der Geburt.

Das 'astralenergetische' Feld ist orts- und zeitabhängig, denn das astrale Feld der Erde hängt von der raumzeitlichen Anordnung des (astralen) Kosmos ab.. Deshalb sind in der Astrologie die genaue Geburtszeit und die genaue geographische Lage des Geburtsortes von ausschlaggebender Bedeutung. Vergleichbar der physischen, genetischen Kodifizierung in den Chromosomen, wird in einem äusserst komplexen, energetischen Muster die 'Genetik des Astralen' von Geburt an gespeichert.

Eine Analyse der 'Himmelsstellung' bei der Geburt (Geburtshoroskop) erlaubt den Rückschluss auf die energetische Matrix, die den Astralkörper des Menschen geprägt hat.


ASTROLOGIE, ASTRALLEIB UND RENAISSANCE-MEDIZIN

Die Einteilung in drei Körper ist eine von vielen möglichen Einteilungen, über deren tasächlichen "Erfahrungswert" kaum etwas gesagt werden kann. Es wird immer wieder behauptet, DASS drei Körper erfahrbar seien - über das WIE wird jedoch kaum etwas ausgesagt.

Mit Nachdruck wird manchmal betont, der Mensch verfüge nicht nur über einen physischen Leib und eine Art von Zweitkörper, sondern über drei in eigener Erfahrung unterscheidbare 'Körper', die innig miteinander verbunden sind. Aber allein deswegen, weil viele dies behaupten und über Jahrhunderte jeweilen von ihren Vorgängern abschreiben, wird diese Aussage nicht wahrer.

Ich selber spreche bloss von einem "Zweitkörper" - und nicht von irgendwelchen verbindenden Matrizen, also nur über das, was meinem eigenen Erleben entspricht. Es ist mir deshalb nicht möglich, das Dreikörperkonzept zu bestätigen. Vielmehr vermute ich, dass die Einteilung in drei Körper die Tendenz hat, sich zu verselbständigen und weiter aufzusplittern.

Aus diesem Grunde scheint es angebracht, sich ein wenig in der Geschichte umzusehen, um dem Dreikörperkonzept auf die Spur zu kommen. Dabei könnte ersichtlich werden, was ‚Astrologie' mit ‚Astralkörper' zu tun hat, wie Spekulationen die eigene Erfahrung ersetzen und wie logische Lücken beinahe unmerklich geschlossen werden. Bei einer ‚Lückenschliessung' wird kaum jemals vermerkt, dass es sich bloss um ein gedankliches Konstrukt ohne Erfahrungsgrundlage handelt. Andererseits scheint niemand auf die Idee zu kommen, dass es gerade solche Konstrukte sind, die sich in der Erfahrung niederschlagen - so gewissermassen als selbsterfüllende Prophezeiungen. Ein schwieriges Kapitel, denn es lässt sich meist nicht entscheiden, was wirklich echt und was bloss Folge eigener Spekulationen ist, zumal auch hier der selektiven Subjektivismus gilt.

In bezug auf das Dreikörperkonzept mangelt es eindeutig an Erfahrung, aber es gibt eine Menge schriftlicher Zeugnisse theoretischer Natur. Diese zeigen sehr schön, wo die Praxis aufhört und die Theorie beginnt.

Woher kommt die Idee des Astralleibes?
Wie wirkt sie sich aus?
Dies sei im folgenden anhand der Renaissance-Medizin erläutert.


DER EINFLUSS DER GESTIRNE UND DER AUFBAU DES ASTRALLEIBES

Worauf beruht die Vorstellung, der Mensch stehe unter dem Einfluss der Gestirne und besitze einen Astralleib? Da es sich hier um sehr alte Vorstellungen handelt, lässt sich die Frage nur andeutungsweise beantworten - z.B. mit einem Hinweis auf Gedanken, die im 15. und 16. Jahrhundert zur Zeit der Renaissance von Medizinern geäussert worden sind. Einen möglichen Aufschluss gibt der Text PHYSIOLOGIA im Buch IV von Jean Fernel. Dieses Buch wurde erstmals in DE NATURALI PARTE MEDICINAE im Jahr 1542 publiziert. In diesem Buch, das für Generationen von Ärzten zu jener Zeit massgeblich gewesen ist, geht Fernel auf die von den Neuplatonikern erstmals geäusserte Meinung ein, der Mensch bestehe aus VERSCHIEDENEN Körpern.

Der Neuplatonismus ist eine von Ammonius Sakkas um 200 n.Chr. begründete philosophische Richtung, die eine durch orientalisch religiöse Ideen nicht unbeeinflusste Synthese von Lehren Plotins, des Aristoteles, der Stoiker u.a. darstellt. Von den Neuplatonikern beeinflusst sind z.B. viele Scholastiker und Renaissance-Philosophen, aber auch Spinoza, Fichte, Hegel, Bergson und Goethe. Vgl. R. Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe Bd.2, 1929: 239-240.

Die Neuplatoniker vertraten die Auffassung, dass die von Gott geschaffene "Seele" sich NICHT ohne vermittelndes Bindeglied in einem soliden materiellen Körper festsetzen könne. Um dies zu bewerkstelligen, bedürfe es neben dem materiellen Körper noch zwei weitere, einerseits eines strahlenden, reinen und sternengleichen und andererseits eines feinen, weniger hell leuchtenden ätherischen. (Hierzu vgl. D.P. Walker, "The Astral Body in Renaissance Medicine" in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol.21 Numbers 1-2, 1958:119-133.) Diese beiden Körper werden Astralleib und Ätherleib genannt.

Bezüglich der Anzahl der körperlichen Zwischenglieder bestehen unterschiedliche Auffassungen, auch was ganz allgemein die Theorie des ersten, des Astralleibes (von Paracelsus "siderischer Leib" genannt), betrifft. Dies soll hier nicht zur Sprache kommen. Vielmehr geht es um die Frage, wie es dazu kommt - gemäss neuplatonischer Auffassung -, dass die Gestirne auf den Menschen Einfluss nehmen und darum, wie die Renaissance-Mediziner mit dem Astralleib "umgehen".

Die Beeinflussung geschieht beim Abstieg der Seele von ihrem göttlichen Ursprung durch die Himmelssphären bis hinunter auf die Erde. Die Seele gerät beim Hinuntersteigen zur Erde in den Bereich verschiedenster Sternkonstellationen und Planeten - und nimmt dabei andauernd ein ganz klein bisschen von dem sehr feinen und leuchtenden Sphären- und Sternenstoff auf. Sie umkleidet sich auf diese Weise mit einem Astralleib. Die beim Abstieg erhaltenen Prägungen sind wesensbestimmend für den Menschen und lassen sich von der Astrologie ergründen. Es fragt sich bloss, von welchen Sternkonstellationen auszugehen ist, denn der Abstieg geschieht lange vor der Geburtsstunde.

Eine andere Ungereimtheit lässt sich folgendermassen entwickeln: Für Aristoteles besteht der Himmel aus dem 5. Element, der QUINTESSENTIA. Ergo dürfte der Astralleib bzw. der Ätherleib (die beiden Körper werden oftmals nicht voneinander unterschieden) ein "Körper der Quintessenz" sein. Zumindest ist die quinta essentia als eine der möglichen Bildungsquellen des siderischen Leibes zu betrachten. Dieser Astralleib ist natürlich ein Vehikel wie der irdische Leib - nur für eine andere Sphäre. Wenn man's jedoch genau nimmt, kann der Astralleib gar nicht aus der Quintessentia bestehen, er kann ihr bestenfalls analog sein (was das auch immer heissen mag), denn für Aristoteles ist die Quintessentia unveränderlich. Woraus besteht er?

Hierbei handelt es sich um eine von den Neuplatonikern geäusserte Spekulation, die wohl eher ein Produkt des Denkens denn eine Schlussfolgerung aufgrund persönlicher Erfahrungen ist. Die Herkunft bzw. die Entstehung des Astralkörpers muss selbstverständlich problematisiert werden.

Hinsichtlich der verschiedenartigen Körper, die die Seele "umgeben", gibt es - wie bereits angedeutet - keinen Konsens. Den Renaissance-Medizinern könnte dies eigentlich egal sein, denn die "Körperlichkeit", mit der sie sich beschäftigen, kann ihnen erst dann greifbar werden, wenn die Seele als solche in die irdisch-materielle Sphäre eingetreten und somit inkarniert hat. Demzufolge besteht kein Anlass, sich mit einem Astralleib abzugeben - sollte man zumindest meinen. Doch zu jener Zeit gab es viele Leute, die eine ganz bestimmte Vorstellung von Teufelsdienern mitsamt ihren greulichen Machenschaften im Kopf hatten. Weshalb sollte es also nicht auch Leute geben, denen so manch andere Gedankengänge im Kopf herumspukten?

Das 15. Jahrhundert ist «die Epoche einer tiefen Krise und damit auch eines Dauerkonflikts zwischen mehreren unterschiedlichen Kulturen» (Roland Günter, "Die Renaissance war anders - Der Fall Federico von Urbino" in: Basler Zeitung (Basler Magazin) Nr.20, 16.5.1987:7). Weit verbreitet war damals die "Hypnerotomachia Poliphili" von Francesco Colonna («Das Buch kam 1499 in Venedig bei ALDO MANUCCI, dem berühmtesten Verleger der italienischen Renaissance, erstmals anonym heraus. Von 1499 bis 1883 wurde es im ganzen zehnmal neu gedruckt» (Linda Fierz-David, Der Liebestraum des Poliphilo, Zürich: Rhein, 1947:19)), und in ganz Europa wurde das 1528 herausgekommene Buch "Il Cortigiano" gelesen, in dem der von Plato stark beeinflusste italienischen Edelmann Castiglione das Idealbild des feinen Edelmannes gezeichnet hatte. (Vgl. Hans Hubschmid, Weltgeschichte Bd.3, Die Neuzeit. Erlenbach-Zürich: Rentsch, 1961:23.)

In den neuerbauten Häusern der Nobilität, in denen den Menschen ihr eigenes Mass sinnlich fassbar wurde, gab es kleine abendliche Gesellschaften, wo man sich spannende Geschichten zu erzählen wusste. Die in den Räumen vorhandenen Bilder, Reliefs und Figuren mit Themen aus «der antiken Mythologie waren keine Namen aus einem zur Langeweile reduzierten Griechisch- oder Lateinunterricht, sondern Stichwortgeber für Geschichten, in denen man auf Umwegen reale oder traumhafte Bereiche seiner eigenen Existenz darstellte» (Günter S.8). «Darin verwoben war eine Ebene des Denkens und Unterhaltens, die - seit Römerzeiten kaum gebrochen - neben der christlichen existierte: die Astrologie. ... Der Überzug, der diese Ebene vor dem Zugriff der Kirche schützte, ja selbst in der Kirche erlaubt sein liess, hiess Astronomie» (Günter S.8).

Die Magie hatte im bäuerlichen Milieu eine weite Verbreitung unterhalb des Christlichen. In den Kreisen der Notablen aber war die Astrologie im wesentlichen die erlaubte Ebene des Magischen. In diese Ebenen konnten die antike Mythologie und das antike Denken in verstärktem Masse eingewoben werden. Und «auf dem Weg über die antiken Geschichten liessen sich vorhandene Überzeugungen und Denkformen nun in einer ausdrücklicheren Weise deutlich machen» (Günter S.8). Eine derartige Bildung war von hohem Prestigewert, was vor dem Zugriff des Christlichen schützte. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich Ende des 15. Jahrhunderts der Hexenwahn massgeblich verstärkt hatte. 1484 bestätigte eine päpstliche Bulle die Möglichkeit der Buhlerei mit dem Teufel und drei Jahre später erschien in Strassburg der berüchtigte "Hexenhammer". Mit dem Verschwinden der Glaubensgewissheit, die das Hochmittelalter gekannt hatte, begann ein Suchen nach neuen Inhalten.

Eigentlich wären dies gute Voraussetzungen dafür gewesen, anstelle von Spekulationen nun die persönliche Erfahrung sprechen zu lassen - und eben Medizin oder dann praktische Magie (Mantelfahrt) und Hexerei (Besenritt) zu betreiben. Auch seitens der Mystik wäre einiges einzubringen gewesen, ich erinnere nur an Johann vom Kreuz (1542-1591), Teresa von Avila (1515-1582), Filippo Neri (1515-1595) und Caterina Ricci (1522-1554). Man hätte also problemlos, d.h. unter Einbezug persönlicher Erfahrungen, von Ausserkörperlichkeit und Wahrnehmung eines Zweitkörpers sprechen und auch die Frage nach dem Astral- und dem Ätherleib neu stellen können.

Wenn Erfahrungen auftreten, die zeigen, dass es möglich ist, neben dem irdischen Leib mindestens noch einen zweiten - den Astralleib - zu erleben und diesen als Vehikel zu benutzen, um sich in anderen, nicht-alltäglichen Sphären zu bewegen, bekämen die Aussagen der Neuplatoniker eine praktische Relevanz - auch für die Menschen der Renaissance.

Aber es kam anders! Solche Erfahrungen, wie ich sie eben angedeutet habe, wurden nicht bloss - wie dies heutzutage etwa geschehen mag - als krankhafte Einbildung bezeichnet, sondern als Teufelswerk - und mit dem Scheiterhaufen geahndet! Bestenfalls gelang eine Einbettung in das theologische Gebäude, wovon Johann vom Kreuz ein beredtes Beispiel gibt. Eine seit Menschengedenken bekannte Erlebensweise wurde auf diese Weise leichtfertig unter den Tisch gewischt und mittels Spekulationen zugeschüttet.

Die Mediziner der Renaissance hätten sich im Hinblick auf die antiken Quellen eigentlich die Frage stellen müssen, ob ein Konzept wie das des Astralleibes sich innerhalb ihrer Medizin überhaupt abhandeln lässt - auch wenn sich die von ihnen betriebene Medizin ausschliesslich und per definitionem nur um den irdischen Leib kümmert. Der neuplatonische Kontext, in dem die Idee "Astralleib" formuliert wurde, ist angesichts der Herkunft, die dem siderischen Leib zugesprochen wird, eindeutig als ein religiös-philosophischer (und nicht als ein medizinischer) zu identifizieren. Es hätte allerdings auch ein Rahmen sein können, der es erlaubt, gewisse "eleusinische und hermetische" Erfahrungen etwa in der Art ausserkörperlicher Erlebnisse mitzuberücksichtigen. Aber das hätte zu schwerwiegenden Konflikten mit dem gängigen Weltbild und demzufolge mit der Gesellschaft führen müssen. Dass in bezug auf den Astralkörper ein Zusammenhang mit den Mysterien von Eleusis, dem Hexentum oder der Alchemie besteht, schien man (offiziell) nicht sehen zu können oder sehen zu wollen. Und eine Aufdeckung derartiger Verbindungen hätte in der Praxis nicht nur den sozialen Tod, sondern den Scheiterhaufen bedeutet.

Allein schon die Vorstellung einer vom Himmel herabgestiegenen Seele, die sich unterwegs mit einem siderischen Körper bekleidet, lässt sich wegen der mit dieser Annahme einhergehenden antiken bzw. (neo)platonischen Idee einer Metempsychose (Seelenwanderung) nicht mit der christlichen Doktrin verbinden, worauf schon in der frühen Renaissance diverse Denker hingewiesen haben. Eine Einfügung in das Christentum ist wegen der Auffassung, der Mensch würde erst am Tage des Gerichtes wiederauferstehen, nicht möglich, obwohl der Astralleib grosse Ähnlichkeiten mit dem CORPUS GLORIOSUM (dem Auferstehungskörper) besitzt.

In der Renaissance erscheint denn auch der Astralkörper als ein religiöses Konzept, aber als eines, dessen gefährliche Unorthodoxie gerade denjenigen klar vor Augen stand, die sich mit der platonischen Sichtweise der Seele auseinandersetzten. Umso erstaunlicher ist Fernels Erwähnung des Astralkörpers und die eingehende Besprechung der medizinischen, kosmischen und alchemischen Geister. Auch die astrologischen Einflüsse werden sehr ausführlich von Fernel erörtert. Die Himmel enthalten gemäss seiner Auffassung die Formen aller Dinge und übermitteln diese mit Hilfe des komischen Geistes (spiritus mundi) in die irdische Welt. Auch haben alle Dinge neben ihrer natürlichen Beschaffenheit einen Geist, der direkt oder indirekt von den Sternen stammt und fortlaufend von ihnen bestimmt wird. Der Astralleib des Menschen ist allein schon von der Idee her bestens dafür geeignet, die Einflüsse seitens der Gestirne aufzunehmen - welche Auffassung es Fernel dann erlaubt, die Ursache gewisser Krankheiten himmlischen Sphären bzw. bestimmten astrologischen Konstellationen zuzuordnen - vor allem diejenigen, die er selber nicht zu ergründen vermag bzw. nicht kennt! (Vgl. Walker S. 123-125.)

Nur um den Bereich rationaler Erklärungsmöglichkeiten auszuweiten, hat Fernel also - so betont Walker -, trotz der offensichtlichen Widersprüche zur christlichen Auffassung, das Konzept des Astralkörpers beibehalten - allerdings ohne sich darum zu bemühen, diesen gedanklichen Entwurf zu einer Theorie auszuarbeiten. Es könnte sich somit auch bloss um eine intellektuelle Bequemlichkeit etwa in der Art handeln, wie eine unerklärliche Verhaltensweise einfach mal als instinktiv bezeichnet wird, ohne dass damit irgend etwas auch tatsächlich erklärt worden wäre.

Die einzigen Einflüsse von Gestirnen, die Fernel tatsächlich erwähnt, betreffen die Wärme, die von der Sonne stammt. Fernel sagt, es sei diese himmlische Hitze, welche die Entwicklung und das Wachstum beeinflusse - und mit diesem Hinweis erweist er sich als Vorläufer der im späteren 16. Jahrhundert üblichen Simplifizierung und Rationalisierung der Astrologie, die sich bloss noch auf die Sonne und deren Wärme konzentrierte.

Eine durchgängige astro-spirituelle Kosmologie lässt sich kaum mit der christlichen Doktrin der Seele in Einklang bringen. Alle Philosophien, in denen das Konzept "Geist" dominiert, tendieren ausserdem dazu, immanent und demzufolge idealistisch zu sein (vgl. Walker S. 126), d.h. sie betonen, dass Dinge oder Objekte nur Zusammenhänge von Bewusstseinsinhalten sind und nicht an sich bzw. ausserhalb der Erfahrung existieren. Nun glaubte bereits zur Zeit Fernels kaum jemand mehr an die Möglichkeit, dass der Mensch den Astralleib selbst sehen bzw. erleben könne. Demzufolge bestanden nur geringe bis gar keine Chancen dafür, die Auffassung zu vertreten, eine transzendente, unkörperliche Seele müsse sich einen Astralkörper als Zwischenglied aufbauen. Auch mir ist es - nebenbei gesagt - nicht möglich, diese Auffassung zu teilen, da ich über keinerlei Erfahrungswissen in dieser Richtung verfüge. Für mich handelt es sich um ein rein spekulatives Modell, mit dessen Hilfe zunächst einmal erklärt werden soll, wie der Astralleib ENTSTANDEN ist. Dieser Erklärung kann ich nicht folgen, weil ich diesbezüglich unerfahren bin. Dass es den sogenannten Astralkörper allerdings in dem Sinne gibt, dass er EFAHREN werden kann, steht für mich zweifelsfrei fest - ebenso, wie festeht, dass ich einen physischen Körper habe. Den sogenannten Astralleib habe ich im Rahmen der Ausserkörperlichkeit mehrmals erlebt.

Die Schwierigkeit liegt für mich also darin, dass Fernel und auch die Astrologen damals wie heute nicht von ihrem persönlichen Erfahrungswissen bzw. ihrer Erfahrungsgewissheit ausgehen, was den Astralleib als solchen betrifft. Ich sage ausdrücklich ASTRALLEIB und spreche nicht von möglichen Korrelationen und Zuordnungen, die sich durchaus aufgrund langjähriger Beobachtung von Sternen- und Planetenkonstellationen mit Charaktereigenschaften ergeben können. Fernel hat denn auch den Einfluss der Sonne "gewürdigt", der sich ja mit Leichtigkeit tagtäglich beobachten lässt.

Wird - wie bei Fernel - das Konzept des Geistes bzw. des Astralleibes mit der Astrologie verknüpft, werden die Schwierigkeiten noch offensichtlicher. Denn jetzt wird das, was transzendent ist, den Sternen zugeordnet. Und da der Geist ja von den Sternen stammt, wird er fast zu so etwas wie einem Doppelgänger der Seele (und umgekehrt) - und beides hat "natürlich" einen himmlischen bzw. göttlichen Ursprung. Geist und Seele gehören aber auch für den Menschen der Renaissance zur vollständigen Körperlichkeit des Menschen - und beide bilden die Grundlage der psychischen Aktivitäten. Es gibt nun gemäss Walker deren zwei Möglichkeiten, die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten zu umgehen, doch sind beide philosophisch unbefriedigend und zudem in bezug auf konfessionelle Vorstellungen unorthodox.

Entweder identifiziert man die Seele mit dem Geist (Melanchthon, Agostino Donio, Jean Bodin) oder man reduziert die Funktion der Seele auf rein abstrakte Gedanken und den Intellekt (mens) und überlässt dem Geist alle anderen psychischen und vitalen Funktionen (Telesio, Campanella, Descartes). (Vgl. Walker S. 126.)

Fernel tat weder das eine noch das andere und verstrickte sich vor allem in seiner Embryologie in Ungereimtheiten, wo eines der beiden nicht-materiellen formbildenden Prinzipien völlig überflüssig ist. Bis anfangs des vierten Monates lässt er den Geist den Embryo gestalten. Wenn jedoch Herz und Gehirn ausgebildet sind (die Organbildung ist Ende des dritten Monates "abgeschlossen"), wird die Seele unverzüglich in den Fötus eingesenkt und übernimmt nun die weitere Entwicklung. In diesem Moment ist die Seele rein rational (mens), aber dann wird sie eins mit den unteren, vegetativen und empfindungsfähigen Seelen, die bereits im Geist vorhanden sind.

Wie sich hieraus ein kohärentes System ergeben soll, ist völlig schleierhaft. Deshalb kann es nicht überraschen, dass bereis die unmittelbaren Nachfolger Fernels diesen Aspekt seiner medizinischen Philosophie scharf kritisiert haben. William Harvey (1649) sagt sogar, Fernel gehöre zu jenen, die das Konzept des Geistes als deus ex machina missbrauchen, um irgendwelche schwierigen Probleme zu lösen (vgl. Walker S. 127).

Johannes Argenterius macht in seinem DE SOMNE ET VIGILIA aus dem Jahre 1556 die Andeutung, für die Existenz des Astralleibes gebe es keine Zeugnisse seitens der klassischen Autoritäten. Tatsächlich lassen sich keine materiell schlüssigen Beweise für die Existenz eines Astralleibes beibringen, was wegen dessen besonderer, vom Materiellen abweichenden Beschaffenheit auch nicht verwunderlich ist. Aber es gibt Erfahrungsberichte, die von einem Astralleib sprechen und auf die sich letztlich alle berufen müssten, die einen Astralkörper als gegeben annehmen.

Wer sich im 16. Jahrhundert darum bemüht, die Medizin rationaler zu machen, wird entweder auf eigene Erfahrungen oder auf Erzählungen anderer, die den Astrallleib betreffen, zurückgreifen müssen, sollen seine Ausführungen über diesen Körper nicht rein spekulativ bleiben. Möglich wäre es auch, einfach wie Argenterius zu vermuten, dass es manche Leute gibt, die deswegen an einen lichthellen (luziden) und scheinenden Geist glauben, «weil sie Engel und andere göttliche NUMINA gesehen haben, die von Malern mit einem gewissen hellen Glanz und von Licht umgeben dargestellt wurden. Ausserdem haben diese Leute von den Theologen gehört, dass es sich hierbei um Geistwesen handle. In der Folge haben sie denn daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass der geistige Stoff in unserem Körper dem ganz ähnlich sein müsse» (zit. nach Walker S. 128).

Oder man lässt den Astralleib einfach sein. So etwas nennt sich Rationalisierung und unterscheidet sich nicht im geringsten von den Vorgehensweisen, wie sie heutzutage üblich sind. Auf diese Weise wird jedoch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, denn die ERFAHRUNG des Astralleibes unabhängig von irgendwelchen Darstellungen von Engeln oder Aussagen von Theologen bleibt bestehen. Ausserkörperlichkeit lässt sich nicht durch Rationalisierung oder Schweigen aus der Welt schaffen, obwohl sie sich nicht einfach mittels eines Abstieges der Seele durch die Sphären und eines dabei stattfindenden Aufbaues eines Astralleibes erklären lässt, der sich unter Umständen wieder von der physischen Hülle abzulösen vermag.

Möglich wäre es, dass dieser Erfahrungsbereich aus einem sehr traurigen Grund vermieden werden muss, weil er den Menschen nämlich mit Dingen konfrontiert, die er lieber vergessen würde. Ich kann nur immer wieder betonen, dass Ausserkörperlichkeit ohne Bewusstheit auch der alltäglichen und damit der sozialen und geschichtlichen Ereignisse niemals zu einem wiederholbaren Ereignis werden kann. Waren es vor und nach 1500 beispielsweise die Hexenverfolgungen und Religionskriege, so sind es heute eine Unmenge von mindestens ebenso fürchterlichen Geschehnissen, die es bewusst zu machen gilt.

Im von Adolf Holl im Jahre 1987 herausgegeben Buch "Die zweite Wirklichkeit" sollte Selbsterlebtes bekannt gemacht und Skeptikern der aktuelle Stand der Debatte über Grenzerfahrungen vermittelt werden. Doch in einem Fall «wurde das Selbsterlebte so peinvoll, dass der Beitrag nicht geschrieben werden konnte. Es handelte sich um das Experiment einer Art von Zeitreise in einem leicht veränderten Wachbewusstheitszustand, veranstaltet eigens zum Zweck der Berichterstattung für dieses Buch. Die Versuchsperson, Alter unter Vierzig, fand sich dabei im Viehwaggon eines Judentransportes in Richtung Vernichtungslager, als einzig Überlebende; alle übrigen waren während der Fahrt erfroren» (Adolf Holl, Hrsg., Die zweite Wirklichkeit, Wien: Überreuter, 1987:8)..


ERKLÄRUNGSMODELL ASTRALLEIB?

Der Astralleib und all die sich darum rankenden Seelen- und Geistkonzepte sind in der Medizin nicht als Erklärungsmodelle zu gebrauchen. Schliesslich obliegt es nicht dem Mediziner, sich mit der Entwicklung oder gar der Entstehung von Seele und Geist, bzw. mit den Spekulationen, die darüber im Umlauf sind, auseinanderzusetzen. Dies mögen andere tun, sofern sie über Erfahrungsmaterial aus erster Hand verfügen, d.h. selbst Dinge erlebt haben, aus denen sie dann die Schlussfolgerung ziehen können, es sei so und nicht anders gewesen. Ich jedenfalls kann dazu nichts sagen, denn ich habe mich auf das zu beschränken, was ich selber erlebt habe. Und da gibt es keine Erlebnisse, die den Abstieg durch die Sphären und die damit verbundene Bildung eines Astralleibes betreffen.

Etwas anderes ist es mit dem, was allgemein als Äther- und als Astralleib bezeichnet wird und was ich vereinfachend "Zweitkörper" zu nennen pflege. Da KANN ich auf persönliche Erfahrungen zurückblicken und da ERLEBE ich weiterhin ab und zu eben diesen Zustand, der sich mit Ausserkörperlichkeit umschreiben lässt, weil ich meine, AUSSERHALB des physischen Körpers (unter Umständen eben in einem Zweitkörper) zu sein. Und da gibt es auch viele andere Menschen, die Ähnliches erlebt haben, und die sogar betonen, dieser andere, nichtmaterielle Körper sei behandelt worden. So beispielsweise Wulfing von Rohr, der im Februar 1986 während zwei Wochen im Light Institute in Galisteo, einem kleinen Dorf südlich von Santa Fe in New Mexiko, die Gelegenheit hatte, Chris Griscom und ihre Arbeit kennenzulernen.

Von Rohr schreibt unter Bezugnahme auf die Behandlung im Rahmen des "emotional body balancing": «Ich hatte mehrfach die Empfindung, dass mein Feinstoffkörper im Abstand von etwa zehn bis vierzig Zentimeter vom Körper wie mit einem Federwedel durchgearbeitet, quasi 'abgestaubt' wurde» (Chris Griscom, Zeit ist eine Illusion - Chris Griscom erzählt über ihr Leben und ihre Arbeit - aufgezeichnet von Wulfing von Rohr, München: Goldmann Esoterik TB 11787, 7.Auflage 1988 (1986), S.9 - die Kenntnis dieses Buches verdanke ich einem freundlichen Hinweis von Haroun Frick).

Man kann beim Äther- und Astralkörper meinetwegen von Feinstofflichkeit sprechen. Man sollte sich allerdings dessen bewusst sein, dass sich über diese vermeintliche Stofflichkeit wenig sagen lässt, weniger jedenfalls als über die Materie. Nur weiss ich nicht, wie sonst darüber gesprochen werde könnte - wenn nicht mittels Analogien, d.h. scheinbaren Entsprechungen zur physischen Körperlichkeit, obwohl auch dies einzig aufgrund von Erfahrungen geschehen sollte.

Es gibt übrigens schon im 16. Jahrhundert Leute, die Argenterius Ablehnung des Geistes missbilligen, allerdings mit etwas fadenscheinigen Argumenten, die wiederum NICHTS mit den persönlichen Erfahrungsmöglichkeiten der Ausserkörperlichkeit zu tun haben. Domenico Bertacchi veröffentlichte 1584 eine Monografie über Geister, in der er schreibt, die leuchtende Qualität der Geister sei von den besten Autoren, nämlich Galen und Avicenna, bestätigt worden. Ausserdem sei sie evident, leuchteten doch die Augen junger Katzen in der Dunkelheit oder seien doch mit Leichtigkeit Farben zu sehen, wenn man selber die Augen reibe. Einen Astraleib akzeptiert Bertacchi jedoch nicht, auch nicht die eher gängige Meinung, der Geist sei der Sitz oder das Vehikel der Seele. Ebenso lehnt er die himmlische Qualität des Geistes ab (vgl. Walker S. 128).

Sogar Jean Riolan, der Vater der Ärzte, der mit Harvey eine Kontroverse über die Blutzirkulation hatte, zeigt sich in seinem Werk von 1610 überrascht darüber, dass Argenterius keine Kenntnis vom Miteinbezug des Astralleibes in das Konzept der Neoplatoniker hatte. Riolan scheint sogar die himmlische Natur des Geistes akzeptieren zu wollen, was eigentlich bei einem Mediziner, der nicht Paracelsianer war, überrascht (vgl. Walker S. 128-129).

Die Theorie Fernels ist widersprüchlich, denn die himmlische Quintessenz des Aristoteles bleibt unveränderlich und unzerstörbar, was Joachim Cureus in seinem Libellus Physicus von 1572 scharf betonte. Und William Harvey sah sich 1651 ausserstande, neben dem Blut etwas ausfindig zu machen, was als feinstofflicher Träger dessen Funktionen nun zu übernehmen vermöchte (vgl. Walker S. 129-130). Für die Medizin waren somit der Astralkörper und die wunderbaren Geister erledigt, denn es gab und gibt keine empirische Evidenz für die Existenz von Geistern oder die eines Astralkörpers - auch wenn nun bespielsweise bei Harvey das Blut dessen Funktionen übernahm, wie Walker feststellt (vgl. Walker S. 131), und heutzutage noch von "innerer seelisch-geistiger Stärke", von "Libido" usw. gesprochen wird.

Nirgends ist bei den erwähnten Renaissance-Autoren von persönlicher Erfahrung die Rede. Man verweist vielmehr auf klassische Werke bzw. deren Verfasser, auf Platon, die Neoplatoniker, evtl. auch auf die Magier bzw. die Lehren Zarathustras. Alles was mit Hexerei, Magie und Alchemie oder gar mit persönlichem Erleben zu tun hat, wird ausgespart. Ob dies mit Absicht geschieht, weiss ich nicht. Jedenfalls gibt es Parallelen zu den heutigen wissenschaftlichen und umgangssprachlichen Gepflogenheiten. Immerhin wird da manchmal die Frage nach dem Einbezug der Subjektivität gestellt, vor allem dann, wenn es um erkenntnistheoretische Überlegungen und Freizeitgestaltung geht. Aber nach wie vor ist es ungemein schwierig, das persönliche Erfahrungswissen beispielsweise in bezug auf den Astralleib tatsächlich auch einzubringen, trotz New Age, Anthroposophie, (Para-) Psychologie oder was sonst noch und offensichtlich stark subjektiv geprägt sein mag. Was eigentlich nicht?

Und ausserdem gibt es keine Kultur des Einbezugs persönlicher Erfahrungen ausserhalb der Kunst, also auch keinen Erfahrungsaustausch im Hinblick auf die Existenz eines Astralleibes und dessen Entstehung. Also bleibt es bei Spekulationen und beim vergleichenden Literaturstudium, was nicht unbedingt zu einer realistischeren Einschätzung des Problems führt.

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