Werner Zurfluh Quellen der Nacht 1. Kapitel |
(1983) 3. erw. Aufl. 1996 im HTML-Format |
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1. Kapitel
Der Weg des Herzens
Mit dem Einschlafen öffnet sich ein Tor, das den Blick in einen
unermeßlich weiten Erfahrungsbereich hinein freigibt. Wo der Tag endet,
beginnt die Nacht! - Und nun will ich davon erzählen, was in diesem - oft
als Dunkelzone bezeichneten - Bereich alles erlebt werden kann, wie eng die
Nacht mit dem Tag zusammenhängt und wie die Welten ineinander verflochten
sind. Für mich hatte die Erschließung der nächtlichen Welten
unabsehbare Folgen. Vielleicht kann der Weg zu den Quellen der Nacht auch
anderen Menschen zu einem neuen Lebenssinn und zu einem besseren Verständnis
der Wirklichkeit verhelfen. (Inhalt)
Die Möglichkeiten des Nachtlebens werden im allgemeinen
bloß im Wachzustand des physischen Körpers genutzt. Dementsprechend
sind die Angebote sehr reichhaltig und grell. Scheinbar wissen nur wenige um
die Tatsache, daß es ein weit phantastischeres Erleben der Nacht nach dem
Einschlafen gibt. Aber dazu müßte das Ich sich selbst bewußt
bleiben. - Und das trotz des Schlafzustandes des Körpers. Obwohl der Körper
schläft, ist das Ich hellwach! Dies ist offensichtlich ein Widerspruch,
denn normalerweise ist dem nicht so. Es ergeht dem Schlaf wie dem Tod und dem
Sterben. Schlaf und Tod gelten als finstere Abgründe, in denen die
Ich-Identität verlorengeht. Der Zustand des Körpers wird mit dem
Zustand des Ich identifiziert. In letzter Konsequenz werden sowohl Schlaf wie
Tod verdrängt und vom Leben ausgeschlossen - sie müssen gewissermaßen
ausgeschlossen werden, denn sie sind gleichbedeutend mit einem Verlust oder
sogar einer Vernichtung der Bewußtheit und damit des Ichs. Die göttlichen
Brüder Hypnos und Thanatos sind und bleiben von der Gesellschaft geächtet.
Den Brüdern wurde die Schweigepflicht auferlegt, und die mit
ihnen verbundenen Erfahrungsdimensionen haben keinen Einfluß auf das
Dasein des einseitig auf den Wachheitszustand des physischen Körpers
mit seinen materiellen Bedürfnissen ausgerichteten Alltags.
Die Scheu vor der Finsternis ist wohl auch darin begründet, daß
zwischen Einschlafen und Sterben eine innere Verwandtschaft besteht. Außerdem
gibt es eine geheimnisvolle Beziehung zwischen Schlaf und Tod. Nicht umsonst
wird der Schlaf als der kleine Bruder des Todes bezeichnet. Tatsächlich
sind viele Erlebnisse während des Schlafes den sogenannten
Sterbeerfahrungen sehr ähnlich. Die Auseinandersetzung mit dem nächtlichen
Bereich könnte also durchaus eine Vorbereitung auf den eigenen Tod sein
und den Gedanken an das eigene Sterben miteinschließen.
(Inhalt)
1.1. Tod und Schlaf
Die Frage nach der Kunst des Sterbens, der ars moriendi, ist das
zentrale Thema aller «Totenbücher» . Und der Mensch wußte
seit Anbeginn der Geschichte, daß der Tod ein unabwendbares Ereignis ist
- nur die Stunde ist ungewiß: mors certa, hora incerta. Dieser lateinische
Ausspruch war im Mittelalter eine gelä;ufige Redewendung. Ist
es trotz oder gerade wegen dieser unerschütterlichen Gewißheit
lebensnotwendig, Sterben und Tod zu verdrä;ngen? (Anm.1)
Das eigene Sterben und speziell der Tod sind als zukünftige
Ereignisse nicht direkt faßbar. Sie bleiben nebelhaft, liegen in einer
scheinbar fernen Zukunft und betreffen immer nur die anderen. Zwar senkt sich
der Schatten des Todes manchmal über das Leben und verdunkelt es, doch
lassen man und frau sich deswegen kaum von den Lebens- und Denkgewohnheiten
abhalten. Ist es überhaupt möglich, mitten im Leben an das Sterben zu
denken und Leben und Tod nicht mehr als Gegensatz, sondern als Einheit zu
sehen? Ja, aber dazu müßte eine andere Denkweise wenigstens
versuchsweise akzeptiert werden. (Inhalt)
Der Tag umfaßt 24 Stunden! Der Mensch lebt und erlebt
nicht nur während des von ihm als 'Tag' bezeichneten Zeitabschnittes,
sondern auch in der Zeit, in der sein physischer Körper - Franziskus von
Assissi würde sagen: «der Bruder Esel» - schläft. Tag und
Nacht bilden eine Erfahrungseinheit. Genauer gesagt, sie würden eine
durchgehend bewußt zu erlebende Einheit bilden. Doch werden die 24 Stunden
eines Tages nur etwa zu zwei Dritteln bewußt ge- und erlebt. Der Rest
versinkt in den Schlafzustand. Das Leben bleibt somit - und das ist immerhin
der Zustand, der als normal aufgefaßt wird - unvollständig, denn die
Bewußtheit endet «selbstverständlich» mit dem Einschlafen!
Die meist nur schwach - wenn überhaupt - erinnerten Reste des
nächtlichen Erlebens werden als Träume bezeichnet - oft in einem
abwertenden Sinne, denn derartig klägliche Erinnerungsfragmente gelten -
wiederum im Normalfall - als verwirrend, irrational, qualitativ minderwertig
und vor allem als deutungsbedürftig.
Es ist allgemein bekannt, daß beim Einschlafen das bewußte
Ich in sich zusammenfällt, in der Dunkelheit der Nacht versinkt und erst am
nächsten Morgen wieder erwacht. Weshalb also sollte diese Tatsache
hinterfragt werden!? Im wahrsten Sinne des Wortes löst sich das Ich beim
Einschlafen in einer alles zudeckenden Finsternis auf. Manchmal irrt es zwar in
einer kümmerlichen Restform in Gestalt eines Traum-Ich in einer fremden,
abstrusen und zuweilen beängstigenden Welt umher. Aber niemand kommt
deswegen auf den Gedanken, dies in Frage zu stellen oder gar etwas anderes zu
versuchen. (Inhalt)
Dies liegt vor allem daran, daß die gewohnten Denkweisen
nicht aufgegeben werden können. Wenn Einschlafen und Ich-Verlust als
dasselbe gelten, muß es eben so sein. Und wenn zu wenig über die
Gesetze, Maßstäbe und Erfahrungsmöglichkeiten der Nacht bekannt
ist, besteht auch kein Anlaß, beim Einschlafen anders zu denken. Der Weiße
denkt nicht zuviel, er denkt ausschließlich in genormten Bahnen.
Die Sprache der Nacht ist fremd und unverständlich, bezuglos
und oft schrecklich. Woran soll sich das Ich da orientieren, wenn es nicht
einmal weiß, daß es durchaus in der Lage wäre, den nächtlichen
Erfahrungsraum mit voll erhalten gebliebenem Bewußtsein zu betreten -
und dies ohne dabei seine emotionalen und kognitiven Funktionen zu verlieren.
Doch gerade von dieser Möglichkeit sprechen die Totenbücher.
Die Kunst des Sterbens ist gleichzeitig auch die Kunst, richtig einzuschlafen.
Nur um die Schulung des Ich-Bewußtseins geht es, das unbedingt lernen muß,
kontinuierlich zu bleiben. Das Ich darf sich bei ungewöhnlichen,
erschreckenden und verwirrenden Erlebnissen nicht aus der Fassung bringen
lassen. (Inhalt)
Erlebt das Ich den nächtlichen Bereich bewußt, so
ergibt sich daraus nicht nur eine enorme Bereicherung des Erfahrungsspektrums,
sondern auch eine Fülle von Bedeutungsveränderungen in bezug auf das
Weltbild, die Weltanschauung und das eigene Leben im Alltag. Ein
kontinuierliches Ich hat aufgehört zu träumen, es verfügt - während
der physische Körper schläft - über einen anderen Körper,
der oft erstaunliche Fähigkeiten hat und sich in zuvor verborgen
gebliebenen Wirklichkeitsbereichen bewegen kann. Es wird dem
Ich möglich, die Aussagen der Totenbücher selbst zu bestätigen
oder zu widerlegen und die Welt der Mythen und Märchen authentisch zu
erleben. (Anm.2)
Sogar die außerordentlichsten Sterbeerfahrungen und mystischen
Seinszustände können zumindest nachvollzogen werden - wenn
die nächtlichen Zonen nicht mehr schlafend in totalem Vergessen
(Anm.3) oder träumend mit
einem vom Alltags-Ich total verschiedenen Traum-Ich durchwandert werden. Diese
Chancen, die sich durch die Bewußtheit ergeben, sollten nicht leichtfertig
vertan werden, zumal die Berücksichtigung der nächtlichen
Erlebnisbereiche zu positiven Veränderungen eines oft völlig
sinnentleerten Alltags führen kann. (Inhalt)
Obwohl alles Fremde zunächst bedrohlich und die
Existenzgrundlagen zu gefährden scheint, stellt es doch stets eine
Herausforderung dar. Nirgendwo sonst ist das Ich mehr gefordert als angesichts
des Fremdartigen. Es ist dann höchste Zeit, das eigene Selbstverständnis
und damit die gewohnten Vorstellungen zu überprüfen - eben weil das
Ganz-Andere prinzipiell der Normalität widerspricht.
Ungewöhnliches ist nur so lange außerordentlich,
paranormal und ver-rückt, bis das Ich bereit ist, sein Herz zu öffnen
und einen Weg zu gehen, der nicht mehr ausschließlich vom Verstand
vorgezeichnet ist. Und wenn die Vernunft rät, von einer Sache abzulassen,
spricht das Herz oft eine ganz andere Sprache. Doch die Vernunft ist meist zu
kleinlich und unfähig, von der einmal eingeschlagenen Richtung
abzuweichen. Das Herz dagegen kann ohne weiteres auch noch die Vernunft in sich
beherbergen und sich um Dinge kümmern und an Gegebenheiten
erinnern (Anm.4), mit denen sich
ein vernünftiger Mensch niemals auseinandersetzen würde.
Gibt es nicht eine Unmenge von Argumenten gegen die Erschließung
der nächtlichen Quellen: die vielen gesellschaftlichen Sachzwänge,
die kritischen wissenschaftlichen Meinungen und all die familiären und
persönlichen Bedürfnisse. Wer würde da noch in den Schlaf
hineingehen wollen, um dem Tod auf diese Weise näherzukommen? Nur das Herz
spricht leise von einem Tod, dessen enthülltes Antlitz das Leben ist.
(Inhalt)
1.2. Die Absonderlichkeit der Eigenerfahrung
Um den nächtlichen Welten gerecht zu werden, muß eine
Auseinandersetzungsform gefunden werden, die sich von den üblichen Ansätzen
in einigen wesentlichen Punkten unterscheidet. In der Regel ist es aber
schwierig, die durch die Eindimensionalität des Alltags vorgegebenen Beschränkungen
und Vorurteile zu überwinden. Wer nie von anderen Lebensmöglichkeiten
gehört hat, wird aufgrund seines Nichtinformiertseins überhaupt nicht
auf die Idee kommen, neue Bedürfnisse anzumelden und ungewohnte Fragen zu
stellen. Weil man nicht weiß, daß durch nichtalltägliche
Erfahrungen ganz andere Betrachtungsweisen möglich sind, kann nicht einmal
der Wunsch nach Erschließung neuartiger Erlebnisbereiche formuliert
werden. Deshalb macht sich eine allgemeine Unzufriedenheit breit, die sich auch
als Unwohlsein oder als psychosomatische Krankheit äußert. Ersuchen
die unruhig gewordenen Menschen um Hilfe, sind sie selbst auf Befragung hin unfähig,
konkretere Angaben zu ihrer Situation zu machen.
Wer seine eigenen Erfahrungsmöglichkeiten erschließen
möchte, wird auf die psychologischen Mittel verwiesen. Auf den Wegen der
Psychologie bleiben aber die nicht-systemkonformen Erlebnisse unbeachtet am
Rande liegen, denn der theoretische Rahmen verbietet Gespräche über
psychische Belange, die außerhalb der abgesteckten Grenzen stattfinden
sollten. Psychotherapeuten beschränken sich beinahe ausschließlich
auf die verschiedenen Formen des (normalen) Träumens, die sie zu übersetzen
(zu deuten) und in die vorgegebenen Konzepte (resozialisierend) einzubauen
suchen. Dabei werden die Möglichkeiten eines kontinuierlich
aufrechterhaltenen und luziden Ich nicht in Betracht gezogen - die
Auseinandersetzung mit dem Traumgeschehen muß also verschoben werden, bis
der physische Körper erwacht ist.
Wenn sich das Ich jedoch schon während des Traumes
seines Zustandes bewußt wird und von diesem Augenblick an luzid
'träumt', kann es sich direkt mit den Ereignissen auseinandersetzen! Auch
in der Einschlafphase muß keineswegs ein Ich-Verlust, d.h. ein Absinken
der Bewußtheit, stattfinden. Das Ich kann vielmehr kontinuierlich
bestehen bleiben. Es wechselt in diesem Falle einfach bewußt von einem
innerphysischen in einen außerkörperlichen Zustand - und erhält
sich auf diese Weise mit dem Bewußtsein auch das Wissen in bezug auf die
Situation. Das Ich läßt den physischen Körper einschlafen ohne
deswegen selbst in einen Schlummer zu fallen - und selbstverständlich behält
es die Kritikfähigkeit der besonderen Lage gegenüber, in der es
sich als Ich in einem Körper befindet. (Inhalt)
Die Deutung eines Traumes mag unter Umständen mithelfen,
das nächtliche Erleben mit dem Alltag zu verbinden. Die Frage für ein
luzides Ich stellt sich jedoch anders. Es sieht sich im Traum bzw. im außerkörperlichen
Zustand einer Wirklichkeit gegenübergestellt, die meistens deutungsinvariant
bleibt. Es kann zwar beliebig interpretieren, aber die Gegenstände und
Ereignisse, die gedeutet werden, bleiben trotz aller Bemühungen in unveränderter
Form bestehen. Ein Baum, der nicht verschwindet, wenn er vom Betrachter als
Symbol für etwas anderes bezeichnet wird, ist eben ein Baum - ungeachtet
der Assoziationen, Amplifikationen und Symbolauffassungen eines (psychologisch
geschulten) Ichs. Wer dennoch auf seinem Standpunkt beharrt, wird weder jemals
in eine Frucht beißen noch das Holz bearbeiten können, das ihm da
begegnet. Eine mögliche Wechselwirkung wird durch die sture Anwendung
eines Interpretationsschemas verhindert. (Inhalt)
Eines der ersten 'nächtlichen Abenteuer', das ich je
aufschrieb - eine Art Initialtraum - behandelt auch das Deutungs-Thema. Ich
war gewissermaßen vom Wunsch beseelt, das Geschehen gerade wegen der
Luzidität interpretativ zu verstehen, mußte jedoch lernen, etwas zurückhaltender
zu sein:
21. Februar 1967:
Im vollen Bewußtsein der Tatsache, inmitten eines Traumgeschehen zu sein, besteige ich einen wunderbaren schwarzen Andalusier. Das ungesattelte Pferd gehorcht auf bloßes Zureden und sanften Schenkeldruck. Als mein Freund und Vertrauter braucht der Hengst weder Zaumzeug noch Zügel! Also sind weder Lattenzäune noch Drahtverhaue Hindernisse. Sie werden alle übersprungen. Der letzte Zaun ist der höchste und gefährlichste, denn der Rappe kann den feinen Draht zwischen den Pfosten nicht sehen und bedarf deswegen meiner Hilfen! Jenseits all dieser Einzäunungen und Abgrenzungen beginnt der dunkle Wald, dessen Dichte dem Roß kein Durchkommen erlaubt, weshalb ich absteige und zu Fuß weitergehe.
Endlich finde ich eine winzige Lücke im undurchdringlichen Buschwerk, muß mich aber zwischen den ästen mit großer Mühe hindurchzwängen, um auf den Weg zu gelangen, der sich gewunden zwischen dem dichten Unterholz den steilen Abhang hinunterzieht. Der Schlackenweg ist nicht der beste. Die Gefahr, auszugleiten, ist enorm. Doch endlich habe ich Fels unter den Füßen. Nun ist es ein Vergnügen, auf dem Granitpfad weiterzulaufen. - Bereits beim Eindringen in den Wald sagte ich mir - eingedenk der Symbolik bzw. der Schriften von C.G. Jung -, daß es jetzt ins Unbewußte gehe.
Der Wald lichtet sich, die Bäume sind größer und mächtiger. An einer Felswand entlang geht es weiter hinab. Andauernd wende ich die Jungsche Psychologie bzw. deren Auffassungen an, z.B. beim Betrachten eines besonders imposanten Baumes. - Eine herrliche Gegend hier! - Der Granitfels zu meiner Rechten ist mittlerweile so hoch, daß die obere Felskante nicht mehr zu sehen ist. Sinnend bleibe ich stehen:
"Wie weit oben muß jetzt das Bewußtsein sein, daß mich eine solch hohe senkrechte Wand von ihm trennt!"
Und weiter führt der Felsweg in die Tiefe. Ohne Furcht gehe ich auf ihm. Der Wald wird immer lichter. Nach einem schwachen Knicks nach links, stürzt der Pfad regelrecht über ein kurzes, überaus steiles Stück hinunter in ein etwa hundert Meter breites ausgetrocknetes Flußbett, in dessen Mitte zwischen dem Geröll ein größerer Bach fließt.
Ich trete auf die steinige Ebene hinaus und springe und klettere von Stein zu Stein. Es ist ein wenig kälter geworden, weshalb es mich fröstelt. Die Steine im Flußbett sind mit einer dünnen Schneeschicht überzogen. Beim Herumsteigen achte ich auf den Lauf des Baches und sehe, daß er aus den viele Kilometer weit entfernten Bergen kommt und rechterhand nach etwa 200 Metern in ein Meer mündet.
"Erstaunlich! Wasser und Meer sind wiederum Symbole des Unbewußten! - Bislang ist in meinen Träumen nie mehr als ein Symbol für das Unbewußte aufgetreten. Und jetzt liegt das Meer erst noch rechts!"
In Gedanken laufe ich weiter und erreiche nach wenigen Minuten den etwa fünf Meter breiten Bach - und erstarre vor Schreck. - Ein riesiger, schrecklich aussehender Gorilla watet vom Meer her im Bach zu mir herauf. Ich habe Angst und bleibe stehen! Der Affe baut sich bald einmal auf gleicher Höhe mir gegenüber auf und blickt mich stechend an.
"Der will mir den Weg über das Wasser abschneiden! Nun ist es zu Ende mit dem Eindringen ins Unbewußte."
Hinter dem Gorilla ist ein dunkler Schatten im Bach zu sehen.
"Ein Krokodil, das mich unter Wasser angreifen will!"
Vor Schreck bin ich beinahe gelähmt und nahe daran, dem alptraumartigen Geschehen zu entfliehen und im Bett zu erwachen. Doch trotz meiner großen Angst gehe ich in den Bach hinein, weil ich den Bachlauf unbedingt durchqueren will, um weiter in das Unerforschte einzudringen. Dabei erinnere ich mich an das kleine Kreuz am Kettchen um den Hals. Ich greife danach, nehme es zwischen die Finger und strecke es dem Gorilla und dem Krokodil entgegen. Der Gorilla bleibt stehen und macht keine weiteren Anstalten, mich anzugreifen. Überraschenderweise weicht er vor dem Kreuz nicht zurück! So bin ich gezwungen, das Untier zu umgehen.
Mit einem Auge schaue ich sehr aufmerksam zum Affen und gehe dabei weiter durchs Wasser gegen das Meer zu. Wie ich mich endlich davon überzeugt habe, daß das Tier keine Anstalten macht, mich zu verfolgen, konzentriere ich mich ganz auf den Bachlauf. Das Krokodil habe ich total vergessen.
Was sehe ich da! - Beinahe wäre ich auf einen gräßlich aussehenden "Fladen" getreten, der aussieht wie eine Flunder und auf dem Bachgrund dahinschwimmt. Kaum habe ich mich von meinem Schrecken erholt, erkenne ich, daß noch viele dieser scheußlichen Tiere sich im Wasser befinden. Sie alle kommen vom Meer herauf geschwommen. Vor lauter flachen Fischen läßt sich an der Mündung vorne nicht einmal mehr der Bachgrund sehen. Die Flundern sind an der Uferzone des Baches bereits derart häufig, daß ich gezwungen bin, noch weiter gegen das Meer zu in der Mitte des Laufes, der noch frei von diesen Tieren ist, zu waten. Aber auch diese Mitte ist schon bald von den scheußlichen Viechern belebt. Immer wieder trete ich beinahe auf einen Fisch. Doch mit der Zeit sehe ich ein, daß mir keine andere Wahl bleibt, als auf diese Tiere zu treten, wenn ich auf die andere Seite hinüber will. Also überwinde ich zögernd meine Abscheu und meinen Ekel und setzte meinen Fuß auf eines der gräßlichen Dinger. Kaum habe ich das getan, stehe ich auch schon am anderen Ufer.
Ohne mich umzublicken geht es weiter - über die Steine des Bachbettes einer Grasfläche zu, die sich bis ins Unendliche auszudehnen scheint. Zuerst muß eine gut ein Meter hohe Böschung überklettert werden, erst dann ist ein schmaler Gang zu sehen, der in die Erde hinunter führt.
"Soll es hier noch weiter in die Tiefen des Unbewußten hineingehen?"
Um dorthin und damit wahrscheinlich zum Ziel meiner abenteuerlichen Fahrt zu gelangen, werde ich den finsteren Gang wohl oder übel betreten müssen. Ich sage mir, daß am anderen Ende des Ganges bestimmt wieder Licht sein wird, wundere mich allerdings sehr, daß hier noch ein drittes Symbol für das 'eigentliche' Unbewußte auftritt - nach dem Wald und dem Meer -, nämlich die Höhle - und gehe mutig in den Gang hinein.
Es ist wirklich stockdunkel da drinnen, nicht das Geringste ist zu sehen. Zudem ist die in die Tiefe führende Höhle derart eng, daß ich trotz angelegter Arme beinahe die Wände berühre. Erstaunlich hoch ist sie - wie ein Erdspalt. Beim Absteigen glaube ich andauernd einfach stark daran, daß am anderen Ende wieder Licht sein wird und gehe deshalb - trotz beklemmender Angst - weiter. (Inhalt)
Nach einer guten Weile ist im höhlenartigen Gang unvermutet eine leichte Linksbiegung zu ertasten. Und kaum bin ich um die Ecke geschritten, wird es - zu meiner großen Erleichterung - hell. Kurz danach ist der Gang zu Ende. Genau an dieser Stelle erwartet mich eine junge, hübsche Frau, die mich liebevoll umarmt und sagt:
"Ich bin sehr erfreut, dich hier unten zu sehen!"
Ich schaue mich um. Hier befindet sich tief unter der Erdoberfläche eine schöne Behausung mit Küche, Schlafraum, Wohnzimmer und weiteren, nicht mittels Tür voneinander abgetrennten Räumen - insgesamt vier oder fünf sind es, alle auf einer Ebene. Die Frau und ich setzen uns auf ein Sofa, umarmen uns nochmals und küssen uns dabei. Ein kleiner Knabe tollt umher, bleibt für einen Augenblick stehen und begrüßt mich freundlich. Auch eine ältere Frau und ein älterer Mann nebst anderen Leuten sind da. Sie alle freuen sich offensichtlich sehr, mich hier zu sehen.
Irgendwie glaube ich ganz genau zu wissen, daß diese Menschen hier alles Teile von mir sind, d.h. daß wir alle zusammen eben das umfassende ICH , d.h. die Totalität von Bewußtsein, welches ich selber verkörpere, und Unbewußtem sind.
Die schöne Frau mit den blonden Haaren plaudert eine Weile, nachdem wir in einen anderen Raum gegangen sind, um alleine zu sein. Ich denke, daß sie meine Anima sei. Doch effektiv ist sie sowohl meine Frau Cathy als auch meine Anima. Wir küssen und lieben uns. - Später kommen auch die anderen, die doch alle - wie ich meine - zu mir gehören. Ein unbeschreibliches Einheitsgefühl durchflutet mich, und ein absolut und total scheinendes Gefühl des Friedens hält mich umfangen.
Nach einer Weile gehen wir alle zusammen ins Wohnzimmer und diskutieren angeregt. Manche der mir noch unbekannten Gestalten stellen sich selbst vor, manchen gebe ich einen Namen, speziell jenen, die sich nicht vorstellen wollen. Der kleine Junge von vorhin nennt sich "Progression" und sagt: "Ich bin deine Progression." Einer der alten Männer stellt sich als meine "Regression" vor. Der zweite alte Mann, ein Greis, der mir sehr weise und mir hoch überlegen vorkommt, sagt, was er sei. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich selbst als 'das Selbst' bezeichnet. Ich aber sage zu ihm:
"Leider kann ich dich nicht verstehen, da ich noch zu jung bin. Aber mit der Zeit, wenn ich älter geworden, werden wir uns bestimmt ausgezeichnet verstehen."
Der Angesprochene zieht sich daraufhin unauffällig zurück - ohne deswegen irgend jemanden zu kränken oder selbst gekränkt zu sein.
Auf den Polsterstühlen sitzend und schwatzend frage ich meine vermeintlichen Teile:
"Wie fühlt ihr euch da unten, abgespalten von mir, dem Bewußtsein? Wir müßten doch eigentlich eine Einheit bilden. - Wie ist es denn, mit solch einem Dummkopf, wie ich einer bin, zusammenleben zu müssen?"
Lachend und schmunzelnd antworten sie:
"Es ist nicht so schlimm!"
Noch viele Dinge kommen zur Sprache. Nur werden leider nur sehr wenige Fragen beantwortet. Und wenn etwas beantwortet wird, geschieht dies in einer Sprache, die ich nicht wiederzugeben vermag. Allein schon dies genügt, um es mich wieder vergessen zu lassen. Zum Teil stelle ich Fragen, die mir sehr wichtig scheinen - beispielsweise über Gott. - Schließlich gebe ich es auf.
Nach all dem scheint es mir nun von größter Bedeutung zu sein, daß wir uns gegenseitig nackt sehen können, weshalb ich sage:
"Alle entkleiden sich jetzt vollständig!"
Meine Anordnung wird allgemein befolgt. Nur einer der Anwesenden weigert sich, meiner Aufforderung nachzukommen. Ich gehe zu ihm hinüber und frage nach dem Grund seiner Weigerung, sich auszuziehen. Er antwortet:
"Ich schäme mich!"
"Du brauchst dich nicht zu schämen, wir sind doch alle nur ein Einziger!"
Daraufhin legt auch er seine Kleider ab. Nun zeigt es sich, weshalb er sich nicht entkleiden wollte. Er/sie ist nämlich ein mannweibliches Wesen, ein Hermaphrodit!
"Einer von uns muß ja ein Hermaphrodit sein, sonst wären wir nicht ein Ganzes", stelle ich fest.
Damit ist die Sache erledigt.
Nun liegen auf dem kleinen, braunen Tisch, der zwischen den Polstergruppen steht, viele Speisen auf einem Haufen. Mir obliegt es, die Nahrungsmittel zu verteilen, wobei ich intuitiv ganz genau weiß, wem ich was und wieviel zu geben habe. Nachdem alle ihren Teil erhalten haben, gehe ich wieder zu meiner Frau. Wir lehnen uns gemütlich zurück und nehmen ein paar Früchte von unserem gemeinsamen Haufen, welcher der üppigste von allen scheint. Die Eßwaren bestehen aus Früchten von roter, blauer und gelber Farbe - nebst dem obligaten Grün.
Uns alle umfängt nach wie vor umfassendster Friede und tiefste Geborgenheit! (Inhalt)
Damals konnte ich die
Lektion nicht in ihrer ganzen Tragweite begreifen. Erst im Jahre 1974 begann
ich endlich einigermaßen zu verstehen, daß auch darum geht, Einheit
und Vielheit als Ganzheit über die eigene Person hinaus zu fassen.
Geht das Ich mit einer 'Alles-kann-gedeutet-werden-Einstellung' in
die nächtlichen Erfahrungsbereiche hinein, spricht es den fremden Welten
zum voraus jede Eigenständigkeit ab. Es verhält sich wie ein
Kolonialherr und Ausbeuter, dem die Gesetze der Einheimischen nichts gelten,
weil er nur daran denkt, die eigenen Interessen durchzusetzen. Mit dieser
Einstellung wird die Kontinuität und Luzidität des Ichs in fremder
Umgebung nicht lange bestehen bleiben, denn ein fruchtbarer Austausch, ein
wechselseitiges Aufeinanderwirken der unterschiedlichen Welten mit ihren
andersartigen Gesichtspunkten, wird dadurch ausgeschlossen.
Es kann aber auch sein, daß die Luzidität erzwungenermaßen
aufrechterhalten wird und ausschließlich dazu dient, die eigenen Wünsche
durchzusetzen - und zwar so lange, bis das Anderweltliche in seiner Eigenart
definitiv zugrunde geht! Die herkömmliche Meinung, das nächtliche
Erleben sei 'in Tat und Wahrheit' nichts anderes als Alltägliches, das sich
in verfremdeter Form ausdrückt und sich bei entsprechender Interpretation
wieder in das 'eigentlich Gemeinte' zurückübersetzen läßt,
verhindert den Durchbruch des Neuen ebenso wie die Auffassung, das alles sei bloß
subjektiv. (Inhalt)
Die Wirklichkeit, wie wir sie zu sehen gelernt
haben, ist nur eine Beschreibung aufgrund des Wissens und der Erfahrungen einer
bestimmten Menschengruppe zu einer bestimmten Zeit. Diese tradierte und immer
wieder veränderte Beschreibung, die als die Wirklichkeit ausgegeben
wird, hat im Grunde genommen keine allgemeinverbindliche Bedeutung. Sie ist
'nur' Ausgangspunkt und kleinster gemeinsamer Nenner für das Zusammenleben.
Die ganze Erziehung zielt zur Hauptsache darauf ab, das Kind mit diesem
Bezugssystem und seinen Wertungen bekannt zu machen, damit es sich in der
Gesellschaft einigermaßen zurechtfindet.
Erfahrungswissen und Erlebnisse, die nicht in das vorgegebene
System hineinpassen, stellen dessen Absolutheitsanspruch in Frage und werden
deshalb mißtrauisch betrachtet. Ein Mensch, der etwas Außerordentliches
erlebt, steht automatisch im Abseits - wenigstens solange, bis es ihm oder
anderen gelingt, sein Erlebnis zu deuten und in den passenden Rahmen einzubetten
- oder es einfach zu vergessen! Als Ausweg bietet sich höchstens die
Parapsychologie an. Aber auch dort werden ausschließlich normgemäße
Ansätze verwendet, um das Paranormale zu beweisen - ein unauflösbarer
Widerspruch. (Inhalt)
Übrig bleibt nur die Rückkehr zum schlichten Erzählen:
dem Mitmenschen von den Erlebnissen berichten, die dem Gewohnten zuwiderlaufen,
um ihn zur Kritik herauszufordern und zu eigenem Erleben und Nachprüfen
anzuspornen. Gemeinsam läßt sich dann das Risiko der Erforschung
nichtalltäglicher Erfahrungswelten leichter tragen.
Der Sinn des Daseins kann sich doch nicht in der pflichtgemäßen
Erfüllung der Normen und Werte des Kollektivs erschöpfen. Der Mensch
ist doch immer auch "der einmalige, ganz besondere,
in jedem Fall wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt
sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder. Darum ist jedes Menschen Geschichte
wichtig." (Anm.5) Diese
Geschichte hat einen alltäglichen und einen befremdlichen Teil. Und in der
Nacht sind die Dinge manchmal viel fremdartiger, als sie es tagsüber jemals
sein könnten. Dies schreckt viele ab, und deshalb lassen sie alle
Erinnerungen an der Grenze zurück und leben als Fremde in einer fremden
Welt. Erst wenn es dem Ich gelingt, sich im Dort an das Hier und im Diesseits an
das Jenseits zu erinnern, und wenn der verschüttete Durchgang von der einen
Ebene zur anderen freigelegt worden ist, wird es wieder zu nicht-alltäglichen
Lösungen für den einzelnen Menschen und vielleicht sogar für die
Gesellschaft kommen. (Inhalt)
Der Weg in die Nacht hinein ist ein gangbarer Weg, ein Weg,
der nicht den Ausschluß, sondern das Mitleben des Alltags
erfordert. Er erlaubt keinerlei Verdrängung und verlangt äußerste
Aufmerksamkeit, denn fern von der alltäglichen Normalität ist beinahe
jeder Schritt ein Fehltritt. Das ist aber egal, denn in einem Neuland geht es
zunächst darum, Erfahrungen einfach zuzulassen und bereit zu sein, aus
ihnen zu lernen. Vieles mag zunächst nur für jene Menschen eine
Bereicherung des Lebens und eine Quelle der Erneuerung sein, die etwas
Bestimmtes selbst erlebt haben. Aber wirkt sich nicht jede Erfahrung in
irgendeiner Form auf das Gemeinschaftsleben aus?! Deshalb wäre es
unmenschlich und kurzsichtig, willkürlich bestimmte Erlebnisse auszuschließen,
nur weil sie nicht ins normierte System hineinpassen. Das Ungewöhnliche führt
zu einer mutationsartigen Verwandlung auf geistiger Ebene. Bevor über das
definitive Ausscheiden der betreffenden Mutante entschieden wird, sollte
wenigstens deren Bedeutung für den Weiterbestand des sich selbst bewußten
und somit luziden Ichs beim Einschlafen geprüft werden können.
Zu viele Menschen erzählen heute von absonderlichen
Erlebnissen, von luziden Träumen, außerkörperlichen Erfahrungen
und mystischen Zuständen. Auch ich reihe mich in diese Gruppe ein: eine
Gruppe, die nur selten ausführlich erzählen durfte und ernsthaft angehört
wurde. Weil die Nacht jedoch zur Ganzheit des Menschen gehört und sich
zusammen mit allen anderen Lebensbereichen zu einem reichen und vielseitigen
Netz von Beziehungen verknüpft, wird das Erzählen stets zu einer
Bestandsaufnahme des persönlichen und gesellschaftlichen Alltags. Und
gleichzeitig mit dem Öffnen des Mundes öffnet sich auch eine neue
Welt. (Inhalt)
Die in diesem Buch erzählten Beispiele sind Teil einer
sich über Jahre hin erstreckenden und niemals endenden Auseinandersetzung.
Eine Erfahrungsauswahl ist immer problematisch. Einerseits sind die Erlebnisse
sehr persönlich, und andererseits soll den Außenstehenden doch
verdeutlicht werden, wie das von mir Gemeinte in der Praxis aussieht. Oft sind
die Erzählungen nur Ausschnitte eines Erlebnisablaufes, der um einen größeren
Fragenkomplex kreist. Jedes einzelne Erlebnis beleuchtet dann wieder einen
anderen Aspekt des Problems. Die Leser, die weder meinen subjektiven Hintergrund
noch den entsprechenden Zeitabschnitt in allen Einzelheiten kennen, werden
vielleicht vieles unverständlich finden. Ich muß aber von meinem
eigenen Material ausgehen, weil nur so gezeigt werden kann, was mir die gefühlsmäßige
Gewißheit gegeben hat, nun auf Abwege geraten oder auf dem Weg des Herzens
geblieben zu sein.
Sämtliche persönlichen Erlebnisse, die in diesem Buch erzählt
werden, stehen in einem größeren Zusammenhang - sowohl unter sich wie
auch zum Alltag und zum Allgemeinmenschlichen. Dieses Umfeld habe ich mit Hilfe
von Hinweisen und Andeutungen zu erhellen versucht - unvollständig und zum
Teil bruchstückhaft. Ich hoffe dennoch, daß dies genügen wird,
um einen Nachhall zu erzeugen. Wenn nur eine einzige Saite beim Lesen zu
schwingen beginnt, weil eine Erinnerung an vielleicht längst vergessen
Geglaubtes anklingt, hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt. Dann genügt
es, der eigenen inneren Stimme zu lauschen - und die Seiten dieses Buches sind
nur noch Makulatur. (Inhalt)
Der umfangreiche Anmerkungsapparat (Anm.6) soll das im laufenden Text Geschriebene in
einen nochmals weiteren Rahmen hineinbringen, dessen Umfang das rein Persönliche
verblassen läßt. Der Weg zu den Quellen der Nacht ist gerade wegen
seines subjektiven Charakters äußerst fragwürdig, doch gibt es
nichts, was einer Frage würdiger wäre als die Nacht, die als "das
Reich der Großen Mutter" bezeichnet wird. Mann und Frau werden diesen
Weg aber nur gehen können, wenn sie das gesamte Spektrum menschlicher Möglichkeiten
gelten lassen und bewußt hinübernehmen: das konkrete und zugleich
imaginative Denken, das intuitive Erfassen und das gefühlsmäßige
Anpassungsvermögen. (Inhalt)
1.3. Die Unfähigkeit, mit den Träumen umzugehen
Psychologische und andere Vorurteile machten sich bei mir in dem
Moment besonders stark bemerkbar, als ich begann, mich ernsthaft mit dem nächtlichen
Erfahrungsbereich auseinanderzusetzen. Ich war zwar gewillt, auf die bisher
benutzten Krücken zu verzichten. Doch erweisen sich Stützen erst dann
als solche, wenn sie aufgegeben werden sollen. Als Kind konnte ich vorurteilslos
träumen - als Erwachsener wußte ich zuviel über Träume und
nichts oder kaum etwas von der Praxis des eigenen Träumens geschweige denn
von anderen Arten des nächtlichen Erlebens im Schlafzustand. Ich mußte
mich an meine Kindheitserlebnisse wiedererinnern, die Konsequenzen gewisser
Schlaferfahrungen bedenken und von neuem das Staunen erlernen.
(Inhalt)
1.3.1. Die Selbstverständlichkeit der Kindheitserlebnisse
Als Kind erinnerte ich mich meistens am Morgen an einen Traum, zumal
mich das Traumgeschehen immer wieder zu faszinieren vermochte. Schon bei
Einschlafen bewegte ich den Kopf monoton hin und her und wiederholte dabei im
Rhythmus der Bewegung die Worte "Löwe, Tiger, Elefant". Träumen
war eine Selbstverständlichkeit - aber auch eine Angelegenheit, die
keineswegs mehr beachtet werden mußte als die Dinge des Alltags.
Genauer gesagt, die Nacht gehörte schlicht dazu, sie war ein Bestandteil
des Lebens. Es war einfach so - und es gab keinen Grund, das in Frage zu
stellen. Die Welten waren für mich nicht fein säuberlich in Tag und
Nacht getrennt.
Diese Lebensweise trug mir manchen gutgemeinten Tadel seitens der
Erwachsenen ein (bereits im Alter von 4-5 Jahren). Doch trotz der Ermahnungen
war ich nicht bereit, die eine Welt zugunsten der anderen aufzugeben. Meines
Erachtens bestand dafür auch keine Notwendigkeit. Offensichtlich war es
nur wichtig, Traumwelt und Alltagswelt nicht miteinander zu verwechseln.
Also lernte ich, in beiden zu leben - gleichzeitig oder abwechslungsweise. Nur
erzählte ich nicht allzu viel von der Traumwelt, denn das führte zu
Problemen und stieß rundum auf Unverständnis. Nur wenn ich wieder
mal von zu Hause wegging und im Wald auf das Hexenhaus stieß, mich
beinahe verirrte und dann (als Vierjähriger!) zu spät, d.h. nach 17
Uhr nach Hause zurückkehrte, konnte es eine Tracht Prügel geben. Doch
mit der Zeit lernte ich, solche Konfliktsituationen zu vermeiden.
(Hierzu vgl. Die Gräber - das "Trauma"
der frühen Kindheit ) (Inhalt)
Dann erlebte ich in meiner Jugendzeit spontan erste
außerkörperliche Zustände.
Als außerkörperlich bezeichne ich jenen Seinszustand, in dem man die Gewißheit und das durch nichts zu erschütternde Gefühl hat, mit seinem Bewußtsein, seiner Ich-Entität, außerhalb des physischen Körpers zu sein. Dabei fühlt man sich bewußtseinsmäßig wie innerhalb des wachen physischen Körpers. Das Ich bleibt kontinuierlich bestehen und verfügt über die normale Stabilität und Koordination. Das Wahrnehmungsvermögen, die Gedächtnisleistungen, die Lernfähigkeit, der Denkstil, die Vorstellungs- und Urteilsfähigkeit sowie die Beherrschung der Sprache bleiben nicht nur voll erhalten, sondern sind unter Umständen sogar erheblich gesteigert.
Die Kontinuität des Ichs, die Bewußtheit, bleibt vollumfänglich erhalten, es verfügt über alle emotionalen und kognitiven Funktionen. (Anm. 7)
Bei den ersten außerkörperlichen
Erfahrungen war ich überzeugt, mitten in der Nacht aufgestanden zu sein,
und fühlte mich überhaupt nicht müde, sondern ausgeruht und
erfrischt. Irgendwie kam mir das merkwürdig vor, denn üblicherweise
verspürte ich eine bleierne Müdigkeit, wenn ich einmal zwischen
Mitternacht und drei Uhr morgens aufzustehen hatte. Dieser Unterschied machte
mich stutzig, weshalb ich zurückhaltend und vorsichtig handelte. Der für
mich ungewöhnliche Zustand dauerte jeweils nur wenige Sekunden und
wiederholte sich oft mehrere Male. Ich stand normal auf und ging einige
Schritte im Zimmer umher. Plötzlich lag ich wieder im Bett.
Die Schnelligkeit der Rückkehr war mir vorerst unerklärlich.
Ich erhob mich von neuem, ging umher und schnellte wieder zurück. Diese
Wiederholungen ermöglichten es mir, das Geschehen genauer zu
beobachten, bis ich versuchsweise den Schluß zu ziehen vermochte, daß
ich einen zweiten Körper besitzen mußte. Dieser Zweitkörper war
empfindungsmäßig mit dem physischen Körper völlig
identisch, außer eben der Tatsache, daß ich mich in ihm - um diese
Zeit, mitten in der Nacht - sehr wohl fühlte. Die Annahme, nicht innerhalb
des schlafenden physischen Körpers, sondern außerhalb in einem Zweitkörper
zu sein, bereitete mir keinerlei Unbehagen.
Mein Denken brauchte damals zu seiner Beruhigung noch keine
von außen her beigebrachten Theorien, (Anm.
8) sondern entwickelte spontan eine eigene, die ihm am passendsten
schien.
Ich erkannte rasch, daß mit dem außerkörperlichen
Zustand endlich eine Möglichkeit gegeben war, auch des Nachts frei und bei
vollem Bewußtsein zu agieren. Nun konnte ich Entdeckungen machen, das
Traumgeschehen beliebig steuern oder mich einfach meines Zustandes freuen und in
die dunkle Nacht hinaussehen. Ich betrachtete dieses Erlebnis als selbstverständlich.
Nie kam mir der Gedanke, daß dies paranormal sein könnte - und ich wußte
nicht, wie weit dies alles von der praktischen und theoretischen Normalität
entfernt war. (Inhalt)
Die Tatsache, daß sich bewußtseinsmäßig
keinerlei Unterschied zwischen innerkörperlichem und außerkörperlichem
Zustand ausmachen ließ, zwang mich zu größter Vorsicht. Ich
wollte unter keinen Umständen schwer verunfallen - nur weil ich mich nicht
vergewissert hatte, in welchem Körper ich mich aufhielt. Um mich also
zweifelsfrei von der Außerkörperlichkeit zu überzeugen,
entwickelte ich mit der Zeit mehrere Zustandskontrollen, Methoden, die
es mir erlaubten, meinen Zustand mit Sicherheit zu bestimmen. Ohne diese
Sicherheit wagte ich es - damals schlief ich in einem kleinen Estrichzimmer im
vierten Stock eines Mehrfamilienhauses, in dem sich die elterliche Wohnung
befand - nach dem Hinaussteigen auf das Dach nicht, in den Hof
hinunterzuspringen. Ich kletterte bloß der Dachrinne entlang oder auf dem
Dach herum, bis ich plötzlich wieder in den schlafenden physischen Körper
zurückschnellte.
Mit der Zeit wurde ich mutiger und hangelte mich via Regenrohr bis
zum Balkon hinunter, von wo aus es problemlos weiter von Balkon zu Balkon bis
ins Erdgeschoß hinabging. Letzteres hatte ich schon mit dem physischen Körper
getan, weshalb mir der Abstieg nicht schwerfiel. Nach einigen Wiederholungen
ging mir diese Kletterei im außerkörperlichen Zustand 'viel zu
langsam', denn meines Erachtens mußte es zustandsadäquatere
Fortbewegungsweisen geben. Springen oder Fliegen wäre schneller gegangen.
Aber dafür mußte ich unbedingt wissen, ob ich mich im Zweitkörper
außerhalb des physischen Körpers befand. Ich entwickelte also zunächst
zwei zur Bestimmung des Zustandes geeignete Methoden. (Inhalt)
Als erstes pflegte ich einen Blick auf mein Bett zu werfen.
Lag mein schlafender Körper da, dann wußte ich, daß ich mich außerhalb
meines physischen Leibes befand. Diese Methode hatte allerdings ihre Tücken,
denn oft wurde ich gerade wegen dieses 'Zurückblickens' wieder zurückgezogen.
Manchmal war es auch viel zu dunkel, um wirklich etwas erkennen zu können.
Deshalb benutzte ich eine andere Kontrollmöglichkeit.
Bei einer meiner nächtlichen Exkursionen hatte ich
festgestellt, daß im außerkörperlichen Zustand das geschlossene
Zimmerfenster und damit das Glas durchdrungen werden konnte, ohne daß die
Scheibe zerbrochen wurde. So etwas war mit dem materiellen Körper unmöglich!
Mein Plan bestand nun darin, in jedem Fall die Scheibe direkt zu durchqueren
bzw. zu durchdringen, um auf das Dach zu gelangen. Deshalb ließ ich das
Fenster stets nur einen Spaltbreit offen. So gelang immer noch genügend
frische Luft ins Zimmer. Die Fensterflügel waren aber so aneinander zu
stellen, daß sie weder ganz zuklappen noch aufschwingen konnten. Dazu
brauchte es zwei Dinge: Erstens ein Buch zwischen Rahmen und Flügel, das
ein Zuklappen verhinderte. Und zweitens einen Gummizug um Haken und Griff, der
ein Aufschwingen verunmöglichte. Diese Vorbereitungen brauchten ihre Zeit.
Vor allem aber zwangen sie mich dazu, mich voll und ganz auf die Umstände
zu konzentrieren. Auf diese Weise wurde - wie später dann einmal gesagt
werden sollte - das 'Set' und das 'Setting' optimiert.
Es erwies sich in der Folge, daß ich damit eine sichere
Methode gefunden hatte, um den jeweiligen Zustand zu bestimmen: Ich streckte
einen Arm vor, berührte mit der Hand die Fensterscheibe, drückte
leicht dagegen und wußte sogleich, ob ich außerkörperlich war
oder nicht. Konnte ich das Glas durchdringen, so bestand kein Zweifel mehr an
meiner Außerkörperlichkeit. Später fand ich noch weitere
Kontrollmöglichkeiten, weil ich mich immer mehr an den außerkörperlichen
Zustand gewöhnte und anpaßte und neue Empfindungen kennenlernte, die
ich zuvor nicht bewußt hatte wahrnehmen können. (Inhalt)
1.3.2. Bewußtseinskontrolle, Hua t'ou und I Ch'ing
Neben der Zustandskontrolle gibt es auch die Bewußtseinskontrolle.
Eine solche ist vor allem beim Übergang von einem gewöhnlichen in
einen luziden Traum (Anm.
9) von großer Bedeutung. Wenn einem während eines
Traumgeschehens aus irgendwelchen Gründen die Tatsache voll bewußt
wird, daß sich das Ich im Traumzustand befindet, ist es unerläßlich,
die Kontinuität des Ich-Bewußtseins zu kontrollieren. Sonst fällt
das Ich mit Leichtigkeit wieder in einen dumpfen Traumzustand zurück. Die
aktive Prüfung des Bewußtseins "mittels
Datum, Wochentag und Lage des eigenen Körpers fordert trotz des geringen
Zeitaufwandes ein hohes Maß an Selbstbeherrschung und Willensanstrengung!
Ohne diese Bewußtseinskontrolle besteht aber keinerlei Gewähr für
die Echtheit des Ich-Bewußtseins." (Anm. 10)
In den mir bekannten Systemen - seien sie nun westlicher oder östlicher
Ausprägung - gibt es stets eine "geheime" Meditationstechnik,
welche die Fähigkeit der Ich-Bewußtseinskontinuität schult.
Obwohl alle Methoden letztlich dahin zielen, sind viele durch das technische
Beiwerk derart verunstaltet, daß der zentrale Punkt nur mehr unter einem
Gestrüpp von Anweisungen zu entdecken ist.
Robert Monroe beschreibt eine gute Methode
der Aufrechterhaltung des Ich-Bewußtseins während des hypnagogischen
Zustandes in seinem Buch "Der Mann mit den zwei Leben"
auf den Seiten 192-217 und bemerkt auf Seite 199:
«Die Grenzland-Schlafzustands-Techniken sind am häufigsten angewendet worden. Trotz des schwierig klingenden Verfahrens ist es für mich die natürlichste Methode.»
Bei Vorhandensein der Kontinuität des
Ich-Bewußtseins kommt es auf keine rein äußerliche Technik an,
wie z.B. der Einnahme einer Nord-Süd-Lage des Körpers, wobei der
Kopf gegen Norden schaut, oder etwa dem Ablegen und Entfernen von Metallgegenständen.
Auch das Trinken von Salzwasser vor dem Zu-Bett-Gehen wird manchmal empfohlen,
um ein Durstgefühl zu erzeugen usw. usf. Das sind banale Äußerlichkeiten,
die eher ablenken - obwohl sie versprechen, eine Ablösung herbeizuführen.
Aber was nutzt die Ablösung, wenn sie wegen des miserablen Ich-Bewußtseins
nur kurze Zeit dauert und bei der geringsten Störung zum Bewußtseinsverlust,
zum "Blackout", führt? (Inhalt)
In bezug auf die Bewußtseins-Kontinuität sei noch
auf eine alte Tradition hingewiesen, die in China ausgestaltet wurde. Sie ist
mir erst verständlich geworden, nachdem ich selber viele außerkörperliche
Erfahrungen erlebt hatte und diese kritisch zu bedenken begann.
In der chinesischen Ch'an (Zen) Schule beginnt die
Selbstgestaltung, d.h. das Finden des kontinuierlichen Ich-Bewußtseins,
mit der Kontrolle des "Geistes". Dieser Geist ist
das Ich-Bewußtsein, das in seinem ungeschulten Zustand ständig auf
der Suche nach einem Etwas ist.
(Anm. 11)
"Selbstgestaltung"
(engl.: self-cultivation) bedeutet die Gestaltung des Selbst aus einem
'normalen' Ich-Bewußtsein heraus. Und dieses Ich hat sich im Verlaufe
seiner Entwicklung seit seiner Kindheit ganz automatisch mit einem ganz
bestimmten Inhalt identifiziert und ist letzten Endes damit identisch. Die
Gleichsetzung von Ich und Inhalt ist etwas, mit dem ein Ich lebt, ohne es zu
merken oder gar zu hinterfragen. Das Selbst ist im Gegensatz zu diesem "alten
Ich" das kontinuierliche, leere Ich-Bewußtsein, also eine
Bewußtheit, die nicht mit irgend etwas identisch ist. Das sich ständig
mit einem Inhalt definierende Ich-Bewußtsein ist
«seit anfangslosen Zeiten in seine falschen Gedanken hoffnungslos verstrickt» und hält «es für sehr schwierig, seinen Geist von falschen Anschauungen zu befreien, um die ihm innewohnende Weisheit zu entschleiern ... In seinem Wesen sind wohl latente Möglichkeiten angelegt, die sich jedoch auch bei ständiger und eindringlicher Belehrung nicht entfalten können, weil es sich hartnäckig an leere Namen und an die der menschlichen Sprache eigenen Begriffe klammert» (S.49).
Das 'alte Ich' hält an seiner gewohnten
Weltanschauung fest, verbleibt innerhalb des vorgegebenen theoretischen und
paradigmatischen Rahmens und zieht es vor, etwas zu glauben statt selbst das
Wagnis einzugehen, einen Weg des Wissens zu beschreiten. Außerdem pflegt
(!) es die Tradition. Es fürchtet den Wandel, ist dem Neuen und Fremden
gegenüber zurückhaltend und skeptisch - und meint, mit Wörtern
wie z.B. 'Archetyp', 'Dissoziation', 'Depersonalisation', 'Halluzination' oder
'Träumerei' begriffen zu haben, worum es geht .
Die Möglichkeit der Eigenerfahrung (die 'innere Möglichkeit')
läßt sich durch die Ch'an Technik wecken und verlebendigen. Bei
dieser Technik wird zuerst einmal «dem immerwährenden Strom der
Gedanken, der seit anfangslosen Zeiten unsern Geist aufrührt»
(S.52) Einhalt geboten. "Die Welt muß
angehalten werden" - so sagte auch der Yaqui-Indianer Don Juan, und -
wieder auf der anderen Seite der Ozeane - im Surangama-Sutra heißt es: «Allein
durch Geist-Kontrolle werden uns alle Dinge möglich»
(52). Und Geistkontrolle ist Bewußtseinskontrolle!
(Inhalt)
Zuerst ist der schweifende Geist zu zügeln und von
allen Gedanken zu reinigen, bevor mit der 'Selbstgestaltung' begonnen werden
kann. Das ist ungemein schwierig, weshalb die alten Chinesen die Technik des
hua-t'ou empfehlen. Hierbei handelt es sich um eine Art Gegengift, das
den Strom der Gedanken versiegen läßt, weil nur noch eine einzige
Vorstellung zugelassen wird, «die zwar im Grunde auch falsch ist, die aber,
wenn sie nicht mehr benötigt wird, verschwindet und dadurch jene
Einsgerichtetheit des Geistes ermöglicht, die eine Vorbedingung der
Verwirklichung des wahren Selbst-Geistes» (S.53-54)
darstellt.
Die Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Ich-Bewußtseins
beim Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen und Schlafen ist natürlich schwierig.
Die Haltung und damit der Zustand des Körpers spielen zwar keine Rolle,
doch ist «das Sitzen mit gekreuzten Beinen die beste Methode für den
Anfänger, Körper und Geist zu überwachen und zu zügeln. Weiß
man jedoch, wie diese Kontrolle im Meditationssitz erfolgreich ausgeübt
wird, so sollte man sie dann auch beim Gehen, Stehen und Liegen, ja sogar bei
der gewohnten täglichen Arbeit mit Erfolg ausüben»
(S.55). 'Ergänzend' wäre anzuführen, daß
von dieser Kontrolle selbst der nächtliche Schlaf (das Liegen) nicht
ausgeschlossen ist. (Inhalt)
Die Bewußtseinskontrolle ist niemals automatisch,
sondern muß wiederum kontrolliert werden durch ein beständiges
leichtes Gefühl des Zweifels (I Ch'ing). «Wenn wir also den inneren
Blick zum hua-t'ou lenken, sollten wir den Geist nirgendwo Fuß fassen
lassen, sondern ihn veranlassen, sich ohne Nachdruck einzig auf das I Ch'ing,
nachdem dies entfaltet wurde, zu konzentrieren». (S.56)
Die Einübung des hua-t'ou und damit der Gewinn eines Ich-Bewußtseins,
das sich ständig durch ein leichtes Zweifeln kontinuierlich hält,
erfordert wesentlich mehr Geduld, Disziplin und Ausdauer als jede Technik, die
direkt zur Exteriorisation zu führen verspricht und das Ich-Bewußtsein
ungeschult läßt, weshalb die Bewußtheit höchst anfällig
bleibt und schnell verloren geht.
Wer bloß neue Sensationen erleben will oder meint, die außerkörperliche
Erfahrung sei eine Angelegenheit, die sich so nebenher wie eine nette
Freizeitbeschäftigung erledigen ließe, der wird rasch in eine der unzähligen
Fallen geraten, in die der Leichtsinnige und Ungeduldige in seiner
Kritiklosigkeit und Naivität blind hineinrennt. Der Bewußtseinsfunken
des einzelnen Menschen ist ein sehr subtiles Lichtlein, das leicht getrübt
wird und gar erlischt. (Inhalt)
1.3.3. Über die Schwierigkeiten bei aller Leichtigkeit
Beim einem direkten Übergang in den außerkörperlichen
Zustand sind wegen der Kontinuität des Ich-Bewußtseins der eigene
Name sowie Wohnort und genaue Lage des eingeschlafenen physischen Körpers
von Anfang an bekannt. Und im Verlaufe der außerkörperlichen
Erlebnisphase kann auch jederzeit eine x-beliebige Art der aktiven Bewußtseinskontrolle
durchgeführt werden. Besonders ein Anfänger ist gut beraten, eine
sanfte Kontrolle z.B. in Form des 'leichten Zweifels', des I Ch'ing, des öfteren
durchzuführen. Sonst gleitet das Ich ins Vergessen bzw. in den gewöhnlichen
Traumzustand ab. Beim 'leichten Zweifel' geht es nicht darum, stur eine
Checkliste abzuhaken, sondern 'nur' um ein sanftes Bezweifeln des eigenen
Selbstverständnisses und um eine kritische Haltung - sich selbst und der
Umgebung gegenüber, in der sich das Ich befindet.
Gerade weil bei den ersten außerkörperlichen Erfahrungen
oft nicht der geringste Unterschied zum Tagesbewußtsein festzustellen ist,
sollte mit der Bewußtseinskontrolle auch eine Zustandskontrolle durchgeführt
werden. Hierbei geht es wiederum nicht um ein Kontrollieren im Sinne eines
'im-Griff-Habens', sondern um ein 'who controls the controller', d.h. um eine
gewisse Skepsis sich selber und der Situation gegenüber.
Von Anfang an hatten mich die sehr häufig auftretenden außerkörperlichen
Zustände (manchmal drei- bis viermal in der Woche) gelehrt, daß die
Ablösung vom schlafenden physischen Körper unproblematisch war und
keinerlei Schwierigkeiten bereitete - ich stand einfach auf wie jeweils am
Morgen. Kritisch wurde es oft erst nach der Ablösung. Obwohl ich dank der
Anwendung einer meiner Zustandskontrollen bald einmal den Mut fand, von der
Dachrinne aus in den Hof hinunterzuspringen oder vom Haus wegzufliegen,
tauchten früher oder später unüberwindliche Hindernisse
auf, die es mir nicht erlaubten, mehr als etwa 200 Meter vom Ausgangspunkt
wegzukommen.
Diese Blockade war nicht zu verstehen und unerklärlich.
(Erklärung) Es
fanden sich damals auch keine Mittel, sie zu durchbrechen. Oft wurde ich beim
Versuch, den Abstand über die 200 Meter hinaus zu vergrößern,
plötzlich mit aller Heftigkeit von irgendwelchen Zwängen befallen. Es
war mir unmöglich, das zu tun, was ich zu tun beabsichtigte und tun wollte.
Vielmehr entwickelte sich ein Ereignis, das unweigerlich zum Verlust des
kontinuierlichen Bewußtseins führte, und ich fiel in eine typische
Traumwelt hinein. In dieser war nur das mir wohlbekannte Traum-Ich vorhanden.
Die Luzidität war verloren! Ich wußte nicht mehr, daß ich träumte
und wo genau ich war.
Und weshalb konnte ich im außerkörperlichen Zustand
manchmal fliegen und andere Male wieder nicht? Weshalb ließen sich die
Fensterscheiben nicht immer gleich mühelos durchqueren? Und was mochte der
Grund dafür sein, daß ich trotz verzweifelter Anstrengungen niemals
weiter als etwa 200 Meter von meinem Zimmer weggehen oder fliegen konnte? -
Damals fand ich keine Antworten auf diese Fragen, sondern konnte bloß
versuchen, an die Grenzen des mir Möglichen zu kommen und vor allem genau
auf das zu achten, was sich mir da als Hindernis entgegenstellte.
Ich hatte eingesehen, daß ich mich noch so perfekt vom
physischen Körper ablösen konnte. Die Ablösung hatte keinen
entscheidenden Einfluß auf den darauffolgenden Zustand. Welche Bedingungen
waren also zu erfüllen, um die Außerkörperlichkeit zeitlich zu
verlängern und den Aktionsradius zu vergrößern?
(Inhalt)
1.3.4. Der Verlust von Fähigkeiten der Jugendzeit
Mit 16 las ich Sigmund Freuds Traumdeutung - und wunderte
mich, daß der berühmte Psychologe unfähig war, seine Träume
direkt zu beeinflussen. Anschließend nahm ich mir die Drei
Abhandlungen zur Sexualtheorie vor und staunte noch mehr, denn meine gewöhnlichen
und vor allem die luziden Träume bestätigten Freuds Annahmen
keineswegs: das Geschehen war in meinen Erlebnissen nicht
zensuriert. (Anm. 12) Aus dem
Buch Zur Psychopathologie des Alltagslebens lernte ich dagegen sehr
viel. Dann machte mich mein Firmpate auf Jungs Autobiographie
Erinnerungen, Träume, Gedanken aufmerksam. Dieses Buch
beeindruckte mich derart, daß ich begann, mich neben der Schule
systematisch mit dem Werk dieses Tiefenpsychologen auseinanderzusetzen. Obwohl
ich zu Beginn höchstens ein Viertel des Gelesenen verstand, beschäftigte
ich mich - so oft sich neben den durch die kurz bevorstehende Maturitätsprüfung
immer größer werdenden schulischen Belastungen Zeit fand - mit dem
Jungschen Werk.
Je näher der Schulabschluß rückte, desto seltener
geschah eine außerkörperliche Erfahrung. Daß ein direkter
Zusammenhang mit den gesteigerten schulischen Anforderungen bestehen könnte,
merkte ich damals nicht. Zwar mißfiel mir diese Entwicklung, aber ich maß
der Wende keine besondere Bedeutung zu, da sie möglicherweise einer
notwendigen Entwicklung entsprach. Außerdem sprach kein Psychologe von
Erfahrungen, wie ich sie immer wieder erlebt hatte. Nur C. G. Jung schien ähnliches
erlebt zu haben, ohne aber sein psychologisches Konzept darauf auszurichten.
1965 bestand ich die Matur, absolvierte die Rekrutenschule,
immatrikulierte mich an der Universität und schloß den Ehebund. Am
21. Juli war ich zwanzig Jahre alt geworden. Was das Studium angeht, so hatte
ich mich für eine naturwissenschaftliche Ausbildung entschieden. Es schien
mir wesentlich, exakte Grundlagen und saubere experimentelle Arbeitsmethoden
kennenzulernen. Ich nahm mir vor, nach dem Doktorat in Biologie ein
Zweitstudium geisteswissenschaftlicher Art aufzunehmen. In den ersten Semestern
belegte ich Zoologie im Hauptfach und die Nebenfächer Botanik, Chemie und
Physik. Nebenher beschäftigte ich mich weiterhin mit der Analytischen
Psychologie und begann mit dem Aufschreiben meiner Träume. Die außerkörperlichen
Erlebnisse wurden nun immer seltener, aber die Träume waren zum größten
Teil noch sehr friedlich und befriedigend.
Nach dem vierten Semester nahmen die Belastungen an der Universität
zu, denn es galt, für die Zwischenprüfungen zu lernen und das erste
Nebenfach, die Botanik, abzuschließen. Die Prüfungen verliefen mehr
oder weniger zu meiner Zufriedenheit. Innerlich machte sich in dieser Zeit ein
zunehmendes Unbehagen breit. Die Art des Wissens, das ich mir anzueignen hatte,
sprach nur einen Teil meines Menschseins an, denn der gefühlsmäßige
Zusammenhang zwischen den mich interessierenden Fächern und mir selbst
schien sich zu verflüchtigen. Die zunehmende intellektuelle
Inanspruchnahme ließ das Bedürfnis nach empfindendem Erleben und gefühlsmäßiger
Anteilnahme unberücksichtigt. Es kam zu einer inneren Entfremdung, die sich
im persönlichen Alltagsbereich auswirkte und immer stärker die nächtlichen
Erlebnismöglichkeiten beschränkte.
Die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise entzog den Objekten
meines Interesses alle Lebendigkeit, um sie dann begrifflich und formal zu
kategorisieren. Auf diese Weise ging der Bezug zur Gesamtheit meines Erlebens
verloren. Mein Intellekt beschäftigte sich mit Dingen und Begriffen, die
mir kaum etwas bedeuteten. Ich ahnte dies irgendwie, weigerte mich aber dennoch,
den leise drängenden Stimmen weiter nachzugehen. Ich sah einfach keinen
Ausweg, wie diese zerfahrene Situation hätte geändert werden können,
ohne daß damit mein Ausbildungs- und Karriereziel gefährdet gewesen wäre.
Dann erlebte ich in der Nacht auf den 7. Februar 1968 folgenden luziden Traum:
(Inhalt)
7. Februar 1968
Ich bin mit meiner »Anima« zusammen. So nenne ich eine in meinen Träumen immer wiederkehrende junge Frau mit meist blonden Haaren, die sehr hübsch ist und meiner Frau gleicht. Es erstaunt mich, daß zwischen uns ein derart harmonisches Einvernehmen besteht, denn ich erinnere mich, bei C. G. Jung gelesen zu haben, daß dies üblicherweise nicht der Fall sei. Wie in vielen anderen Träumen - an die ich mich jetzt (im Traum!) durchaus erinnern kann - bin ich erfüllt von einem tiefen inneren Frieden, einem Gefühl, das bis in den wachen Alltag hinein weiterschwingt und oft tagelang anhält.
Ich begleite sie zu ihrem Haus am Rheinsprung. In der physischen Wirklichkeit steht an dieser Stelle das ehemalige Gebäude der Universität Basel, in dem jetzt die Zoologische Anstalt untergebracht ist. Dieser Sachverhalt ist mir im Traum bekannt. Da ich in der Stadt noch irgendwelche Besorgungen zu machen habe, verabschiede ich mich und gehe. Nach einer unbestimmten Zeitspanne erhalte ich die Nachricht, daß die junge Frau gestorben sei. Eine Traurigkeit, wie ich sie noch niemals erlebt habe, überkommt mich. In tiefster Beklemmung eile ich zurück zum Haus, renne die Treppen hinunter und betrete das Schlafzimmer. Doch die Leiche der jungen Frau ist nirgends zu finden. Auf dem Bett sitzt nur eine mir nicht bekannte Frau mittleren Alters, die still vor sich hin weint. Ich trete zu der Unbekannten hin und versuche sie zu trösten, was mir aber nicht gelingt, da ich selber zu erschüttert bin.
Ohne Übergang wache ich im Bett auf. Die gleichen schmerzvollen Gefühle dauern mit unverminderter Heftigkeit an. Verwirrt und beunruhigt, versuche ich den Traum zu deuten; aber der Versuch beeinflußt meine Stimmung in keiner Weise. Der Zusammenhang zwischen dem Ort des Geschehens, dem Tod der »Anima« und dem Hinweis auf die Ähnlichkeit mit meiner Frau ist derart offensichtlich, daß es mir nicht gelingt, ihn wegzuinterpretieren.
Dieses Geschehen war ein Schock für mich,
denn ich empfand den Verlust der Anima als Untergang einer Welt, mit der ich
mich seit jeher verbunden gefühlt hatte. Selbstverständlich ließ
sich das Erlebnis aus den bisher geschilderten Lebensumständen heraus
deuten. Aber was konnte ich mit einer Deutung gewinnen? Doch nur eine Umsetzung
der emotionalen Betroffenheit in Begriffe. Und die sagten dem Kopf nur das, was
er ohnehin schon wußte. Auf diese Weise wäre genau das vergessen
worden, was ich ja hartnäckig nicht hatte zur Kenntnis nehmen wollen: der
Gefühlsschock!
Und ich war nicht der einzige, dem es so erging. Die
Studentenunruhen in jener Zeit waren auch eine Reaktion und vor allem ein
handfest be-greifbarer Ausdruck einer tiefen Gefühlsverletzung. Das Herz
begann zu sprechen, es wollte umfassend begreifen, in sich einschließen,
sich etwas ertasten, es berühren - und nicht immer nur abstrahieren und
sich den Definitionen des Intellekts beugen. Jetzt war mir alles zu einer toten
Wüste unter der sengenden Sonne des Intellekts geworden. Die
Begriffsapparate töteten eiskalt, sie zergliederten, zerschnitten, präparierten
und objektivierten. Und sie vernichteten sogar die Anima, das Leben - und dieses
Leben begann sich zu wehren, es bäumte sich auf und verschaffte sich Luft,
unbeholfen, brutal, zerstörerisch und rücksichtslos. Dies geschah
draußen auf der Straße, aber in mir war eine Welt zerbrochen.
Langsam begann ich zu verstehen, daß 'Anima' kein abstrakter Begriff für
einen Gefühlsausdruck war. Sie war konkrete Wirklichkeit, die sich im
Alltag und in den Erfahrungsbereichen der Nacht verkörpern konnte. Aber
wenn sie in der Nacht gestorben war, dann mußte auch die Alltagsordnung
zusammenbrechen und aus allen Fugen geraten.
Ich war also gezwungen, mein Verhalten zu ändern. Statt auf
die Straße zu gehen, wollte ich endlich die Hinweise der Nacht berücksichtigen,
denn sonst hätte ich außer der Anima auch noch meine Familie
verloren. Dies bedingte zunächst eine Veränderung der Studienpläne,
denn Studienreformen ließen zu lange auf sich warten. Ich begann
Psychologie und Philosophie zu studieren, unterzog mich einer Schulanalyse und
nahm als Ausbildungskandidat das Studium am C.G. Jung-Institut in Zürich
auf. Schon vorher hatte ich mich ja etwas mit dem Werk Sigmund Freuds
auseinandergesetzt und wußte durch C. G. Jung, wie wichtig die Berücksichtigung
der eigenen Erfahrungen war und daß diese für die Erkenntnisfindung
von ausschlaggebender Bedeutung sind. Es galt, der Sprache des Intellekts die
Sprache des Herzens zur Seite zu stellen, um den kognitiven und
affektiv-emotionalen Bereich, die äußere und innere Welt und das alltägliche
und nächtliche Erleben wieder in Einklang zu bringen.
In den nächsten paar Jahren bewegte ich mich ganz im Rahmen
tiefenpsychologischer Anschauungen. Oft gelang es mir, meine Träume mit
Hilfe psychologischer Methoden zu deuten und zu 'verstehen'. Daneben gab es aber
auch äußerst merkwürdige nächtliche Erfahrungen, die mich
an meine Jugendzeit erinnerten. Ich nahm jedoch aufgrund meines in der
Ausbildung erworbenen Wissens an, diese Erlebnisse seien bloß Ausdruck völlig
falscher Vorstellungen und fataler Mißverständnisse meinerseits.
Obwohl mir gerade diese von der Jungschen Norm abweichenden Ereignisse
Dimensionen des Erlebens öffneten, an die ein normaler Traum nicht im
entferntesten heranreichte, bemühte ich mich um einen Einbau in das Konzept
der Tiefenpsychologie. Dies gelang trotz umfangreicher Bemühungen nicht
bzw. stets nur teilweise. Bei diesen, vom üblichen tiefenpsychologischen
Verständnis abweichenden und von Jung meines Wissens nur in seiner
Autobiographie erwähnten Erlebnissen handelte es sich vor allem um außerkörperliche
Erfahrungen. Diese waren mir schon von meiner Jugendzeit her bekannt, doch
hatte ich sie beinahe vollends vergessen. Nun machten sie sich jedoch wieder
bemerkbar, es geschah Merkwürdiges.
Anmerkungen
Anm 1: Vgl. Angst vor Tod und Sterben in: Wittkowski
1978: 55-116. Gleichgültigkeit, Abwehr und Angst sind häufig
anzutreffende Reaktionsweisen, vor allem gegenüber dem eigenen Tod und
Sterben. Andererseits erzählen Menschen, die dem Tode sehr nahe gewesen
sind, oft von wunderbaren oder zumindest außergewöhnlichen
Erlebnissen, die ihre Einstellung zum Leben zutiefst beeinflußt haben
(Nahtoderlebnisse (NTE), near-death-experiences (NDE)). Sie lassen sich danach
meist nicht mehr wie zuvor in den alten Trott eingliedern, sondern werden sich
selbst und der Umwelt gegenüber sehr kritisch. Mit einem Male besitzen
diese Menschen eine andere Auffassung vom Leben und setzen andere Prioritäten.
Sie haben durch die Todesnähe ein Stück Menschlichkeit gewonnen, die für
das reibungslose Funktionieren der hochtechnisierten Gesellschaft eher
hinderlich ist.
Über Sterbeerfahrungen und deren Folgen für das
Leben der Betroffenen vgl. Grof & Halifax (1978} 1980,
Hampe 2.Aufl. 1975,
Kübler-Ross 10.Aufl. 1977,
Moody (1975) 1977
Anm.1 Ende - zurück zum Text
Anm 2: Damit soll nichts über einen mittels
naturwissenschaftlicher Methodik durchführbare Beweisbarkeit der in Frage
stehenden Erlebnismöglichkeiten ausgesagt werden. Es geht einzig um die
Erfahrungsgewißheit - und die ist stets subjektiv (allerdings ist
das sehr vereinfacht gesagt, z.B. ohne Berücksichtigung des selektiven
Subjektivismus).
Anm.2 Ende - zurück zum Text
Anm 3: «Vier Geisteszustände sind es, die sich dem Erreichen
von Nirvikalpasamadhi hindernd entgegenstellen. Das erste Hindernis ist laya,
der Widerstand des tiefen traumlosen Schlafes. Anstatt zu Turiya, dem
'Vierten' zu gelangen, gleitet der Geist ins Unbewußte ab, und der Adept
nimmt dieses Hinschmelzen (laya) irrtümlich für das Eintauchen
ins Selbst. Der Tiefschlaf überfällt ihn, wenn es der spontanen
Aktivität des nach innen gewendeten Geistes (citta-vritti) nicht
gelingt, das wandellose Eine Ganze zu fassen und festzuhalten» [Vedântasâra
210 in: Zimmer (1951) 1961:390-391].
Anm.3 Ende - zurück zum Text
Anm 4: Alle Techniken, die das Erinnerungsvermögen an die Träume
und an andere Schlaferlebnisse steigern sollen, beruhen auf der Voraussetzung
eines prinzipiellen Einstellungswandels. Statt «Träume sind Schäume»
muß gelten: «Träume sind für das Leben von ganz
wesentlicher Bedeutung!» Nur dann hat es einen Sinn, jene Methoden
anzuwenden, die Garfield (1974} 1980: 209-232 und
Williams (1980) 1981:78-80 angeben.
Anm.4 Ende - zurück zum Text
Anm 5: Hermann Hesse, Demian, Prolog, 2. Abschnitt.
Christoph Roos hat mich auf diese Stelle hingewiesen. Und nicht nur diesen
Hinweis habe ich ihm zu verdanken. Seine Kritik war für mich von außerordentlicher
Bedeutung. Dieses Buch ist in vielem - formal und inhaltlich - auch sein Werk!
Shayawaya (die Bilderwerkstatt
von Christoph Roos !)
An dieser Stelle möchte ich noch Luca und Regula
Giuliani, Marcel Frei und Peter Pfister erwähnen, die alle auf ihre ganz
besondere Art und Weise die Entstehung dieses Buches beeinflußt haben.
Auch Paul A. Zemp hat mich immer wieder ermuntert weiterzumachen.
Anm.5 Ende - zurück zum Text
Anm 6: Fußnoten und Anmerkungen haben bekanntlich eine ganz
bestimmte Funktion, die im Duden Taschenbuch Nr. 21 zur allgemeinen Beherzigung
dargelegt ist: «Sie nehmen Informationen auf, die zur ergänzenden
Unterrichtung des Lesers nützlich oder notwendig sind, den unmittelbaren
Textzusammenhang jedoch stören würden»
(Poenicke/WodkeRepplinger 1977:126). Und weiter meinen die Autoren des Buches
Wie verfaßt man wissenschaftliche Arbeiten: «In keinem Fall
sollten Fußnoten zu einem Buch im Buch bzw. zum Abladeplatz für alle
jene übriggebliebenen Materialien aus dem Zettelkasten werden, die sich für
das eigentliche Thema als zu peripher erwiesen haben» (ibid.: 137). -
Keine Regel ohne Ausnahme! Schließlich sagte schon der 1707 verstorbene
japanische Zen-Meister Rantetsu:
Ein Blatt!
Noch ein Blatt
fällt im Herbstwind.
Der doch ziemlich umfangreiche Anmerkungsapparat hat übrigens eine Veröffentlichung
des Buches als Taschenbuch zumindest bislang verhindert. Anmerkungen sollen und
müssen jedoch die "Quellen der Nacht" ergänzen. Nicht nur
deswegen, um mir ellenlange Ausführungen zu ersparen, sondern auch zu dem
Zwecke, damit die Leser eine einmal aufgenommene Spur sozusagen
amplifikatorisch nach eigenem Gutdünken weiterverfolgen können.
Da jetzt das Buch nach und nach ins HTML-Format konvertiert wird, und damit das
Herumblättern durch das Anklicken ersetzt wird (was wesentlich einfacher
ist), werde ich (mit Freude) weiterhin von der Möglichkeit, Texte anzufügen
und auf diese Weise zu ergänzen, Gebrauch machen. Die Blätter sollen
vom Herbstwind so richtig aufgewirbelt werden!
Anm.6 Ende - zurück zum Text
Anm 7: Bei einem luziden Traum und bei einer außerkörperlichen
Erfahrung, bei der die Kontinuität des Ich-Bewußtseins erhalten
bleibt, bestehen die kognitiven Funktionen in vollem Umfang. «Kognitive
Funktionen bezeichnen jenes Instrumentarium eines Lebewesens, das es ihm ermöglicht,
Kenntnis von einem Objekt zu erhalten oder sich seiner Umwelt bewußt zu
werden. Dazu zählen Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen, Lernfähigkeit,
Denkstil, Vorstellungs- und Urteilsfähigkeit sowie die Beherrschung der
Sprache. Kognitive Funktionen haben maßgeblichen Anteil daran, ob bzw. wie
erfolgreich sich ein Individuum mit seiner Umwelt auseinandersetzen kann»
(Wittkowski 1978: 44). Ob man nun die materielle oder eine
nicht-materielle Umwelt meint, ist - was die kognitiven Funktionen betrifft -
belanglos. Ein Träumer ist in dem Moment keiner mehr, wenn er hellwach
geworden ist und damit über das gewohnte Ich-Bewußtsein verfügt,
das sich nicht im geringsten vom Tagesbewußtsein unterscheidet - außer
vielleicht darin, daß es unter Umständen wesentlich wacher ist.
Anm. 7 Ende - zurück zum Text
Anm 8: Vgl. Shri Ramana Maharshi in: Zimmer (1944)
1954:137: «In solchen Sackgassen verrennt das Denken sich immer: es will
zu seiner Beruhigung eine Theorie. Wer aber ernstlich Gott nahekommen oder sein
eigenes, wahres Wesen ergründen will, braucht im Grunde keine Theorie.»
Anm. 8 Ende - zurück zum Text
Anm 9: Das lateinische Wort 'lucidus' meint etwas Lichtvolles, dessen
Klarheit unzweideutig ist. Der 'luzide Traum' ist somit ein Traum, der während
des Traumes ganz deutlich als Traum erkannt wird. Um es nochmals zu betonen: Im
Traum selber sind die Träumer sich eindeutig darüber klar geworden, daß
sie jetzt gerade träumen. Es wird ihnen voll bewußt, daß sie
sich im Traumzustand befinden, und sie wissen, daß ihr physischer Körper
schlafend im Bett unter der Decke liegt.
Anm. 9 Ende - zurück zum Text
Anm 10: Die Technik der Bewußtseinskontrolle hat Alfred
Lischka 1979:75-77 beschrieben:
Das Ich-Bewußtsein im luziden Traum
«Schnell einmal meint man während eines gewöhnlichen Traumes, bewußt geworden zu sein, doch ist hier größte Skepsis angebracht. Um wirklich ganz sicher zu gehen, muß man sich dessen irgendwie versichern, und so habe ich die Technik der Bewußtseinskontrolle entwickelt, die ich bei allen paranormalen Schlafzuständen anwende und nicht nur im luziden Traum.
Sobald ich mir meines Zustandes in einem Traum bewußt werde, stelle ich die Frage nach dem Datum und dem Wochentag:
"Welches Datum haben wir heute? Welchen Wochentag?"
Außerdem ist es unbedingt notwendig, sich darüber klar zu sein, daß der eigene physische Körper im Bett ruht, indem man sich z.B. sagt:
"Aha! Jetzt liegt mein Körper bei mir zu Hause in seinem Bett."
Wenn die Bewußtseinskontrolle erst einmal so weit gediehen ist, kann man sicherheitshalber das Erinnerungsvermögen noch weiter prüfen und damit die Echtheit des Ich-Bewußtseins zusätzlich untermauern. Man vergegenwärtige sich die wichtigsten Ereignisse und Handlungen des Vortages und überlege sich auch, was man nach dem Aufwachen am Morgen des folgenden Tages tun will. Diese ausführliche Kontrolle hat jedoch einige Nachteile. Einmal lenken solche Gedanken sehr leicht ab, und plötzlich wacht man allein deswegen in seinem schlafenden Körper auf, weil man allzu viel an jene Angelegenheiten gedacht hat, welche im Zustand des wachen Körpers erledigt werden müßen. Zum andern braucht es doch Zeit, diese ausführliche Kontrolle durchzuführen. Und bei der vor allem bei den ersten luziden Träumen gegebenen Kürze der luziden Erfahrung darf keine unnötige Zeitverschwendung gestattet werden.
Allein die Prüfung des Bewußtseins mittels Datum, Wochentag und Lage des eigenen Körpers fordert trotz des geringen Zeitaufwandes ein hohes Maß an Selbstbeherrschung und Willensanstrengung! Ohne diese Bewußtseinskontrolle besteht aber keinerlei Gewähr für die Echtheit des Ich-Bewußtseins. Wer aber kein standfestes Ich-Bewußtsein besitzt, d.h. nicht einmal diese "einfachen" Kontrollen durchführen kann, der wird nur wenige Sekunden im Zustand des luziden Träumens verbleiben können. Der luzide Traum löst sich entweder ganz auf, d.h. der betreffende Träumer wacht im Bett auf oder fällt in einen traumlosen Schlaf, oder der luzide Traum wandelt sich wieder in einen gewöhnlichen Traum um.
Wenn man merkt, daß die Situation für eine Bewußtseinskontrolle nicht besonders günstig ist, weil eine instabile Lage gegeben ist, dann sollte man wenigstens die minimale Kontrolle des Ich-Bewußtseins durchführen, wie sie oben angegeben wurde.
Schon wiederholt ist mir gesagt worden, eine solche Kontrolle würde alles nur profanieren und sei schließlich auch gar nicht nötig, da man sich im gegebenen Fall sowieso seines Bewußtseins völlig sicher sei. - Zugegeben, der "Höhenflug" mag durch die ausdrückliche Bewußtseinskontrolle etwas gebremst werden. Vielleicht wird er sogar bei einem allzu ungeschickten Vorgehen ganz verhindert. Aber das spielt keine Rolle, weil es viel wichtiger ist, das Ich-Bewußtsein halten zu können, als eine phantastische Erfahrung zu machen. Wer nicht einmal diese Kontrolle durchstehen kann, muß sich später nicht wundern, wenn ihm bei den wirklich großen Erfahrungen das Bewußtsein schwindet, und er sich an nichts mehr erinnern kann als ein "erhabenes" Gefühl. Zu Beginn ist es besser, wenigstens den Sperling in der Hand zu haben, als die Taube auf dem Dach.
Viele meinen, einen Traum tagbewußt als luziden Traum zu erleben, ohne eine Bewußtseinskontrolle durchgeführt zu haben. Woher nehmen sie die Sicherheit zu einer solchen Behauptung? Ohne ausdrückliche Kontrolle gibt es keine Gewißheit, ob die betreffende Erfahrung nicht doch "bloß" ein Traum gewesen ist. Wenn dann die Erinnerung an das Geschehen schnell verblaßt und keine Einzelheiten bleiben, darf ruhig angenommen werden, daß es sich nicht um einen luziden Traum gehandelt hat.
Die Bewußtseinskontrolle darf nicht zu einem absoluten Muß erhoben werden. Empfohlen sei sie jedem. Erst wenn sie ihm mehrere Male gelingt, kann er wissen, daß auch er dazu fähig ist. Wem sie dagegen nicht gelingt, der hat allen Grund, Bedenken über die Echtheit bei sich anzumelden. Wer sie nach Belieben durchzuführen vermag, hat keinerlei Einwände mehr gegen eine Kontrolle. Wer jederzeit selbstkritisch eine Bewußtseinskontrolle machen kann, wählt den Moment für eine ausdrückliche Kontrolle selber aus, ohne lange darüber zu diskutieren, ob sie notwendig sei oder nicht. Soweit mir aus dem Gespräch mit anderen bekannt, ist das Nichtgelingen leider die Regel und nicht die Ausnahme.
Zwischen dem reinen Traumbewußtsein und dem kontrollierten Ich-Bewußtsein im luziden Traum gibt es viele Zwischenstufen, wo man mehr oder weniger verunsichert ist, was die exakte Bestimmung des Traumzustandes angeht. Wenn ich an einem Abgrund stehe und Angst davor habe, hinunterzuspringen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich wirklich träume, dann kann ich anderntags nach dem Aufwachen wenigstens mit Sicherheit sagen, daß das kein luzider Traum gewesen ist.
Normalerweise werde ich mir während eines gewöhnlichen Traumes aus verschiedenen Gründen der Tatsache bewußt, daß ich träume. Die Veranlassung für die Bewußtwerdung ist aber nicht allein in der Diskrepanz zum alltäglichen Geschehen zu suchen, sondern ebenso in meiner Auffassung dem Traumzustand gegenüber. Ich bin nämlich überzeugt, daß luzides Träumen möglich ist, und mir gerade die starken Verfremdungseffekte im Traum dazu verhelfen können, bewußt zu werden. Eine innere Bereitschaft ist notwendig, um die Gelegenheit zur Bewußtwerdung nicht zu verpassen.»
Anm. 10 Ende - zurück zum Text
Anm 11: Bei dieser Darstellung halte ich mich an Lu
K'uan Yü, der es als seine Lebensaufgabe betrachtet, asiatische
Weisheit dem Westen zu vermitteln. Er hat das Thema des leeren bzw.
inhaltsvollen Ich-Bewußtseins ausführlich im Buch
"Geheimnisse der chinesischen Meditation" behandelt. Das
Buch ist nicht einfach, zumal es die Quintessenz jahrtausendealter Erfahrungen
enthält. Es bietet Erkenntnisse, die in ihrem Bereich den modernsten
physikalischen durchaus ebenbürtig sind.
Anm. 11 Ende - zurück zum Text
Anm 12: Zur Traumentstellung (Zensur) und der Haltung von Sigmund Freud
diesem Problem gegenüber vgl.
Außerkörperlich durch die Löcher des
Netzes fliegen 2. Kapitel. Es scheint mir sehr wichtig, Freuds Ausführungen
zum luziden Traum und zur Frage der Traumenstellung zur Kenntnis zu nehmen.
Anm. 12 Ende - zurück zum Text
Literaturverzeichnis
Garfield, Patricia L. Kreativ träumen. Aus dem
Amerikanischen übersetzt von Dr. F. Walter und Werner Zurfluh.
Schwarzenburg: Ansata, (1974) 1980.
zurück zur Anmerkung 4
Grof, Stanislav und Joan Halifax. Die Begegnung mit dem Tod.
Stuttgart: Klett-Cotta, (1978) 1980.
zurück zur Anmerkung 1
Hampe, J. C. Sterben ist doch ganz anders. Stuttgart: Kreuz,
2.Aufl. 1975.
zurück zur Anmerkung 1
Kübler-Ross, Elisabeth. Interviews mit Sterbenden.
Stuttgart: Kreuz, 10.Aufl. 1977.
zurück zur Anmerkung 1
Lischka, Alfred. Erlebnisse jenseits der Schwelle: Paranormale
Erfahrungen im Wachzustand und im luziden Traum, bei Astralprojektion und auf
Seelenreisen. Schwarzenburg: Ansata, 1979.
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Lu K'uan Yü. Geheimnisse der chinesischen Meditation -
Selbstgestaltung durch Bewußtseinskontrolle, nach den Lehren des Ch'an,
des Mahayana und der taoistischen Schulen in China. Zürich: Rascher,
1967; The Secrets of Chinese Meditation. London: Rider, 3. ed. 1975.
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Monroe, Robert A. Der Mann mit den zwei Leben: Reisen außerhalb
des Körpers. Interlaken: Ansata, (1971) 1981.
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Moody, Raymond A. Leben nach dem Tod: Die Erforschung einer unerklärten
Erfahrung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, (1975) 1977.
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Williams, Strephon Kaplan. Jungian-Senoi Dreamwork Manual New
rev. exp. ed. Berkeley: Journey Press, (1980) 198I. - Das Buch ist ins Deutsche
übersetzt worden und im Ansata-Verlag herausgekommen: Durch Traumarbeit
zum eigenen Selbst: Die Jung-Senoi Methode. Aus dem Amerikanischen übersetzt
von Ralph Tegtmeier und Werner Zurfluh. Interlaken: Ansata 1984.
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Wittkowski, Joachim. Tod und Sterben: Ergebnisse. Heidelberg:
Quelle & Meyer, I978.
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Zimmer, Heinrich. Der Weg zum Selbst: Lehre und Leben des indischen
Heiligen Shri Ramana Maharshi aus Tiruvannamalai. Hg. Carl Gustav Jung. Zürich:
Rascher, (1944) 1954.
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Zimmer, Heinrich. Philosophie und Religion Indiens. Zürich:
Rhein, (1951) 1961.
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