Will Erich Peuckert Der zweite Leib in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 17, 1939 (S. 11-35) (Ohne Anmerkungen und Literaturhinweise) |
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Stichworte: Doppelgänger, Wiedergänger, Träger, Ankündiger der Todesbotschaft, Brockengespenst, lebender Leichnam, in der Todesstunde und bei Menschen zaubrischen Vermögens trennen sich beide Leiber, Bilokation, warum gerade am Weihnachtsabend sich "die Leiber trennen", fylgur, hambel, vanad, vard, Vardovl, Valdojer, fülgja, Fylgja, Fylgien, Folgegeister, Vardogel, Qaldojer, Wiedergänger, Hexenfahrt, normwidriges Verhalten führt zu Doppeltgehen
[11] Die Kühnausche Sagensammlung enthält als Nr. 1542 eine Erzählung, die 1867 im "Rübezahl", der neuen Folge der "Schlesischen Provinzial blätter", gestanden hat. Sie handelt von einem Doppelgänger-Erlebnis in Neiße. Der 19-jährige Neffe Franz des Rates Lork besuchte diesen am 25. November 1750 und lieh sich, weil das Wetter zum Abend kalt und regnerisch geworden war, des Onkels alten Mantel, ein lange aus der Mode gekommenes, auffälliges Stück von einem Mantel. Ich lasse nun Kühnau die Geschichte weiterschreiben:
Er ging ... und weiter zur Töpfermühle. Franz hob sein Laternchen, um den Weg besser überschauen zu können; da stand, ungefähr zwanzig Schritte von ihm entfernt, an der Ecke der Töpfermühle irgend jemand, eine Gestalt, die auch ihrerseits aus einer kleinen Laterne die Strahlen auf Franz fallen ließ. Dieser glaubte, der Mensch warte auf ihn, da er ganz ruhig und still stand. Kaum aber hatte er selbst den ersten Schritt vorwärts getan, da verschwand das Licht und die Gestalt um die Ecke der Mühle hinum. Als er selbst um die Ecke bog, da ging die Gestalt wieder vor ihm her, indem sie die Laterne vorn auf der Brust hielt, so daß die Umrisse des Unbekannten sich deutlich abzeichneten. Um den Fremden besser sehen zu können, hob Franz die Laterne. Doch wie wunderbar! Der andere tat dasselbe.
Deutlich erkannte Franz, daß dieser eine Pelzmütze trug wie er und einen langen Mantel mit Stehkragen, auch daß dessen Farbe hell war und der seinigen glich, - und doch hatte ihm der Oheim mehrmals versichert, ein ähnlicher Mantel sei wohl in der ganzen Stadt nicht mehr zu finden. Da wurde in ihm der Wunsch rege, dem Manne ins Angesicht zu sehen und ihn gar, wenn tunlich, anzureden, denn Furcht war ihm fremd.
Unterdessen waren beide am Theater vorbei und an die bischöfliche Residenz gekommen. Franz ging immer rascher. Merkwürdig! die Gestalt ging ebenfalls rascher, und obwohl er mehr und mehr in Laufschritt überging, der Fremde blieb in derselben Entfernung von etwa zwanzig Schritten vor ihm.
An der heutigen Kommandantur verschwand die Gestalt. Franz befand sich nun doch in einer körperlichen und seelischen Erregung wie nie zuvor.
Schon wollte er umdrehen, aber er schämte sich, und mit fester An- [12] passung seines Willens schritt er weiter bis zum Geländer des Mühlgrabens, und bog dann kurz um die Ecke der Residenz in die Jesuitenstraße ein. Da - wie ärgerlich - zwanzig Schritte vor ihm ging abermals "das wesenlose Ding, das von ihm selbst sich die Gestalt geborgt", wie Franz später diesen Doppelgänger zu bezeichnen pflegte. Dieser war bis ans Ende der Jesuitenkirche gelangt, während Franz am Anfange der Kirche sich befand. Da faßte er den Entschluß, eine Entscheidung über das Wesen des Fremden herbeizuführen. Auf die erste Stufe der marmornen Freitreppe der Kirche hinauftretend, hob er die Laterne hoch und rief laut in die Nacht hinein: "Der da vor mir geht, drehe sich um! Ich will erkennen, wer mich bis jetzt geneckt hat!" Sofort drehte sich die Gestalt um, ebenfalls die Laterne hoch zu Gesicht haltend, und Franz erkannte - sein eigenes Gesicht.
Die Sage fährt fort, wie jener Doppelgänger
vor Franz das Haus betritt, wie dieser zum Onkel flieht, dort übernachtet,
und wie am andern Morgen, als er nach Hause kehrt, in seinem Zimmer über
dem Bett die Decke heruntergebrochen ist. Doch all das ist hier weniger
wichtig als das abgedruckte Stück, denn dieses Stück läßt
eine mögliche Erklärung des Erlebnisses zu. Man könnte an eine
Spiegelung im Regen und im Nebel, an ein Erlebnis wie dasjenige des "Brockengespenstes"
denken, - zumindest wird eine rationale Erklärung sich auf diese Deutung
zu bewegen. Der Doppelgänger tut alles das, was der, von dem er die Gestalt
entlehnte, tat; hebt dieser den Arm, so hebt ihn jener auch; läuft dieser
schnell, so hat es auch der andere eilig. Daß freilich dann einzelne Züge
einer solchen Deutung widersprechen, - ich will hier nur an Franzens Anruf, das
Sich-Umwenden der Spukgestalt erinnern, - besagt nicht so viel, als es anfangs
scheinen könnte. Das Ganze wird vom Erzähler ja zu Ende gedichtet, und
mit dergleichen eigenwilligen Nuancen muß man bei einer Geschichte wie der
eben erörterten immer rechnen, zumal sich auch die manchen romantischen
Doppelgänger-Novellen in nächster Nähe und noch immer greifbar
halten.
Doch ich will hier die manchen "könnte" oder "möglicherweise"
nicht erörtern, sondern mich ganz und gar mit dem bereits bemerkten
Deutungsversuch begnügen, - daß nämlich dem jungen Mann ein "Brockengespenst"
begegnet sei.
Verschieden von dieser Sage nun ist eine andere, die Kühnau
durch seine Frau - angeblich aus dem Munde des Betroffenen - hat. Er schreibt in
Nr. 1541 seiner Sammlung:
Ein Breslauer Arzt, der jetzt schon lange tot ist, pflegte öfter ein sonderbares Vorkommnis zu erzählen, das ihm selbst begegnet war und das auf alle, die es hörten, einen unheimlichen Eindruck machte.
Als er noch ein junger Arzt war, wohnte er auf der Scheitniger Straße, und da ihn einmal seine Praxis bis in die späte Nacht außer dem Hause gehalten hatte, so kehrte er, sehr ermüdet, erst spät abends in seine Wohnung zurück. Wie er so die Straße entlang schreitet, da merkt er, daß ein Mensch [13] ihm gegenüber auf der anderen Seite der Straße immer gleichen Schritt mit ihm hält. Das fällt ihm auf und er hält inne; der andere bleibt ebenfalls stehen. Als er zu ihm hinüberblickt, sieht er, daß der Mensch ihm vollkommen gleicht, denselben Rock trägt, denselben Hut und genau dieselben Bewegungen macht wie er selbst. Er geht wieder, der andere ebenfalls; er greift sich an den Kopf, ob er noch bei Sinnen sei, der andere tut dasselbe. Er fängt an zu laufen, der andere läuft ebenfalls. So kommen sie an den Eingang des ehemaligen Wintergartens.
Da sieht er, wie der andere quer über die Straße auf das alte Häuschen zugeht, wo er, der Doktor, bei einer Witwe wohnt. Er sieht, wie er den Schlüssel aus der Tasche zieht, die Haustür aufschließt, wieder zuschließt, und er hört ihn die alte gebrechliche Treppe hinaufsteigen. Er tritt gegenüber auf die Straße und sieht, wie der andere in seinem Zimmer Licht anstreicht und wie es hell wird. Da steht ein Baum gegenüber, den ersteigt der Doktor, um zu sehen, was in seinem Zimmer vorgeht. Die Wirtin ist eingetreten und bringt ihm das Abendbrot, als wäre er es selbst; er plaudert mit ihr, und als sie zur Tür hinausgeht, ruft er ihr noch nach, wann sie ihn wecken solle. Er sieht, wie der Mann sich entkleidet, sich in sein eigenes Bett legt und das Lieht auslöscht.
Bis hierher weicht die Sage von der vorigen kaum ab. Der Doktor sieht sich, sein Spiegelbild, und die Halluzination läuft in der einmal eingeschlagenen Bahn zu Ende. Auch wie die Sage ausgeht, - daß der Doppelgänger den Doktor vergrämt, daß dieser bei einem Freunde übernachtet, und daß, wie in der Neißer Sage, früh die Zimmerdecke bricht, das alles wäre keiner besonderen Untersuchung wert. Es zeigt ja nur das Weiterwirken jener älteren Gedankengänge. Das was hier wichtig ist, steht vielmehr, kaum beachtet, in den Sätzen:
Früh am Morgen, sie lagen beide noch zu Bette, kommt des Doktors Wirtin mit allen Zeichen der Aufregung herübergelaufen zu dem Freunde, pocht lebhaft, und als er öffnet, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen: "Um Gotteswillen, denken Sie doch, der Doktor ist erschlagen! Die Decke ist in der Nacht heruntergebrochen und auf ihn gefallen" - "Beruhigen Sie sich, liebe Frau", sagt der Freund. "Der Doktor ist bei mir. Wollen Sie ihn sehen?" - "Aber scherzen Sie doch nicht", sagt sie; "ich habe ja gestern Abend mit ihm gesprochen, als ich ihm das Abendbrot brachte. Heute früh wollte ich ihm den Kaffee ins Zimmer tragen, da sah ich, daß die Decke unten lag und gerade auf seinem Bette ..."
in dem natürlich, als man den Schutt
beiseite räumt, nichts Menschliches zu finden ist. - War es erlaubt, bisher
die beiden Sagen als Truggesichte, Halluzinationen der Männer, die sie
erlebten, zu bezeichnen, so wird der Ausweg für die zweite Sage hier
verrammelt. Nicht nur der Doktor, auch die Wirtin sah den Doppelgänger. Sie
sah ihn nicht nur; nein, sie bringt ihm Essen. Der Doppelgänger ißt,
- denn hätte er nicht gegessen, so hätte sie das Auffällige am
andern Morgen mitgeteilt. Sie spricht mit ihm, - kurz, es bleibt nur ein Schluß:
sie sah am Abend mehr als nur einen Schemen. Kein Spiegelbild entzündet
eine Kerze, [14] spricht mit der Wirtin, ißt, -
was sie wie der vorm Fenster sitzende Doktor doch bezeugen, daß es die in
dem Zimmer weilende Gestalt verrichtet hätte. Es bleibt vielmehr nur eine,
für diesen Umstand allein mögliche Erklärung: daß einem
Menschen hier zwei leibliche Leiber eignen.
Daß
einem Mann zwei wirkliche leibliche Leiber eignen, ist eine Erkenntnis, die
nicht eben nahe liegt. Und doch wird man sich ihrer nicht entziehen können,
will man die folgende Sage nicht für völlig sinnlos halten.
Zu H. im Stedingerlande diente ein Knecht, der die Gabe hatte, Vorspuk zu sehen. Wenn ein Todesfall bevorstand, mußte er aus dem Bette und auf die Diele gehen, wo dann der Sarg stand, und jedesmal starb der, welchen er gesehen, in Jahresfrist.
Als es ihn einmal wieder auf die Diele trieb, sah er den Sarg; aber den Toten, der darin lag, kannte er nicht. Warte, dachte er, ich will dich schon wieder kennen, wenn ich dich antreffe! nahm ein Messer und schnitt dem Toten über der Stirn einen Büschel Haar ab.
Als sie am nächsten Morgen beim Trinken saßen, sagte die große Magd zum Knechte:
"Du, wer ist dir bei den Haaren gewesen?"
Der Knecht erschrak und sah, daß er selbst der Tote gewesen sei, dem er das Haar abgeschnitten. Er kündigte sofort den Dienst, denn der Tote muß in dem Hause sterben, wo er gesehen, und verdang sich anderswo. Aber nach einiger Zeit fühlte er eine große Sehnsucht nach seiner alten Herrschaft und machte sich, da er sich ganz wohl fühlte, auf, um dieselbe zu besuchen. Wie er aber im Hause war, starb er. (Diese Geschichte wird mit geringen Abweichungen auch in Elsfleth, im Butjadingerlande und an verschiedenen Orten des Münsterlandes erzählt.)
Was uns an dieser Sage vor allem interessiert, liegt nahe. Es mag die Frage nach dem "Vorspuk" und dem "zweiten Gesicht" vorläufig ganz beiseite bleiben; zunächst geht uns nur das besondere Erlebnis dieses Knechtes an. Er sieht im Sarge einen Menschen; es ist gleich, ob man das Halluzination, eidetisches Sehen oder sonstwie nennen will. Eidetisches Sehen oder Halluzinationen mag es geben; hier aber wird nicht ein Schemen oder sonst ein Nicht-Reales wahrgenommen. Der Knecht steht seinem eigenen zweiten Leibe gegenüber. Daß dem so ist, dafür bürgt, was geschieht. Er schneidet dem zweiten Leib den Haarschopf ab; es wäre richtig und unsere Geschichte wäre in sich ganz vollendet, wenn er am andern Tag den Schopf in Händen hielte; so muß genügen, und genügt wohl auch, daß jenem am andern Morgen der fortgeschnittene, also wirkliche, leibliche Haarschopf fehlt. Die beiden Leiber traten einander gegenüber. Sie rühren einander an, sie "wirken" auf einander, der [15] eine führt die Schere und der andere wird geschnitten, der eine ist demnach so wirklich als der andere; - was sonst von ihnen zu sagen wäre, schiebe ich hier noch auf, um nicht die Linie unserer Untersuchung zu verwischen. Es sind zwei leibliche Leiber, die dem schichtenden Knecht gehören.
Aus Kärnten hat Graber diese kleine Sage mitgeteilt:
Beim Großpopper am Oberleidenberg arbeitete einst ein Mäher, der folgendes Erlebnis erzählte: Als Knabe wurde er von der Mutter beauftragt, den in der Nähe arbeitenden Mähern Most zuzutragcn. Die Leute arbeiteten in einem vom Hause ziemlich weit entfernten Graben. Der Knabe ging dem Geräusch des Wetzens nach und sah einen Mäher auf der Wiese stehen. Der dengelte die ganze Zeit und mähte nie. Der Knabe ging zu ihm hin und bot ihm den Trunk an. Er nahm jedoch weder den Trunk noch sprach er ein Wort. Als der Knabe seine Hand ergriff, war sie eisigkalt. Er ließ den Krug fallen und lief nach Hause. Um diese Stunde starb der Nachbar.
Es handelt sich, wie aus der Einreihung der Sage bei Graber sichtbar wird, um einen der nicht seltenen Fälle des Voranmeldens oder Kündens. Im Stubai etwa wird davon nach Heyl erzählt:
Zu Mieders in Stubai lag einmal ein Bauer im Sterben. Ein Taglöhner sah denselben außer dem Dorfe "Lab hagen" (Laub rechen) und dachte: Schau, isch dar Hansl mehr auf (wieder gesund)! Als der Taglöhner ins Dorf kam, läutete gerade das Sterbeglöckl, und er fragte, wer denn gestorben seL Wie erstaunte er bei der Nachricht, daß es der Bauer sei, den er eben draußen Lab hagen gesehen hatte. Der Sterbende hatte sich gemeldet.
Man hat die Sagen, wie unsere Sammlungen es
erkennen lassen, gewöhnlich den "lebenden Leichnam"-Sagen
angerechnet. Das ist gewiß nicht recht; von einem "lebenden Leichnam"
kann hier keine Rede sein, denn einer der beiden Leiber, und zwar ist es der,
der später als "lebender Leichnam" wiederkehren und umgehen wird,
liegt auf dem Sterbelager, und der zweite zeigt sich draußen - er zeigt
sich, das lehrt die Kärntner Sage, in der wirklichen Leiblichkeit. Man kann
ihn dengeln sehen und hören, mit den Händen fassen; es ist nicht nur
die durch den sterbenden Mann und dessen Denken aufgerührte zweite und
sonst unbeteiligte Seele, die da sein Bild empfängt, - wie man das "Künden"
und "Sich-melden" gern erklären will. Vielmehr, das alles mag
schon wahr und wirksam sein und das "Sich-melden" als ein
parapsychologisches Geschehen gelten, doch leuchtet eine ältere Vorstellung
noch hindurch -: daß in der Stunde des Sterbens sich die beiden Leiber
spalten.
[16] Sie sind dann draußen,
begegnen andern auf der Straße; man sieht sie - sind sie Müller -
Wasser richten gehen; sie führen ihre Wallfahrt aus und kommen zu Besuch;
sie gehen, den Hut zum Beten in der Hand, das Dorf entlang; gesellen sich einem
Freunde zu, mit dem sie unterwegs plaudern, um ohne Abschiedsgruß an ihn
in ihr Geburtsbaus einzutreten; sie schwatzen, grüßen, ermahnen mit
besorgten Worten. Sehr häufig aber gehen sie ihrer täglichen Arbeit
nach, wo sie "Lab hagen", ihren Acker besehen und die Wiese bessern.
Es
führte zu weit, hier alle einzelnen Einzelheiten aufzusammeln; nur ein verhältnismäßig
oft begegnender Zug sei noch erwähnt. Es handelt sich um die Bannung eines
bösen Beamten Seidelmann. Von ihm erzählt die Sage:
Als er gestorben war und seine Leiche aus der Tür des von ihm bewohnten Eckhauses, neben dem römischen Kaiser am Markt in Chemnitz, im Sarge herausgetragen wurde, um begraben zu werden, da klang plötzlich die harte, rauhe Stimme Seidelmanns, welcher die Träger verhöhnte, und er schaute in Schlafrock und Zipfelmütze in der ersten Etage aus einem der nach der Bretgasse gehenden Fenster heraus. Zu Tode erschrocken, ließen die Träger den Sarg fallen, in dem jedoch richtig der tote Seidelmsnn lag.
Die Sagen von einem Begebnis dieser oder ganz ähnlicher
Art sind häufig, und es gibt keine deutsche Landschaft, wo sie gänzlich
fehlen. Gewöhnlich erscheinen sie heut als "lebende Leichnam"-Sagen.
So etwa, daß, als der Oberförster Kratzer aus dem Fenster schaut,
sein Grab sich leer erweist, und als der Bauer Hampel aus Heidersdorf begraben
wurde, saß Hampel auf der Kirchhofsmauer und sang das Grablied mit. Man öffnete
daraufhin den Sarg und fand einen Strohwisch drin.
Hier ist der auf der Mauer eben der Wiedergänger Bauer Hampel,
und weil der "lebende Leichnam" auf der Mauer sitzt, kann ganz natur-
[17] gemäß der Sarg ihn nicht enthalten.
Daneben steht aber, wie die sächsische Sage zeigt, ein zweiter Typ; da
liegt der Tote mit einem Leib in seinem Sarge; der zweite Leib erscheint am
Fenster, redet das Trauergefolge an. Die Spaltung der beiden Leiber, die bei
rechten Menschen im Tod und nur für eine kurze Frist erfolgen kann, wirkt
fort, - vielleicht weil hier ein zweiter, unten uns näher beschäftigender
Gedankengang einschlägt: daß sich bei Menschen zaubrischen Vermögens
beide Leiber trennen.
Die "dritte Fortsetzung von Erscheinungen
der Geister" 1752 erzählt auf Seite 472:
An demselben Morgen, wo S. M. der König August der Starke zu Warschau verstorben ist, soll er vor das Bett des Herrn von Grumbkow zu Berlin, den er sehr gerne hatte, getreten sein und diesem sein Absterben selbst angezeigt haben. Herr von Grumbkow ist darauf gleich zu dem Könige gegangen und hat ihm den Todesfall gemeldet, und nachdem dieser gefragt, wo er die Nachricht her habe und dieser ihm die Erscheinung berichtet, hat er die Sache nicht glauben wollen; da hat eine gleich darauf eingetroffene Stafette die Wahrheit derselben bestätigt.
Wir haben hier eine bedeutsame und wichtige
Fortbildung des Gedankens. Der zweite Leib wird Träger, Ankündiger der
Todesbotschaft:
August der Starke zeigt in der Stunde seines Todes diesen
seinen Freunden an.
Es ist nicht schwer, die logische Begründung
dafür auszumachen. Wir sahen, daß in der Todesstunde sich die beiden
Leiber trennen. Man kann fortfahren, daß, wenn sie getrennt erscheinen, es
also ein sicheres Zeichen der eintretenden oder nahen Todesstunde sei. Und
dieser Schluß ist ganz gewißlich oft gezogen worden.
Der Erzähler wohne im Schulhause; da kam dieser Schullehrer zu ihm ins Zimmer und sagte; "Glaubst du, daß unser Nachbar heute noch stirbt?" - Dieser fing zu lachen an, weil der Nachbar soeben ganz gesund bei ihm gewesen war. - "Ja, er war auch soeben bei mir im Schulzimmer", erwiderte der Schullehrer; "das heißt, nicht er, sondern sein Geist, und kündete mir seinen Tod an." - Abends sechs Uhr hörte man ein Schreien in des Nachbars Hause; er war beim Essen vom Tische weg tot umgefallen.
Meist freilich handelt es sich nicht nur um wenige Stunden; der Tod beginnt - in der Gestalt der Spaltung beider Leiber - lange vorher schon.
[18] Als die Dienstmagd Geche Jarrens bei dem Pastor Brauer in Herzhorn war, geschah ca. am heiligen Weihnachtsabend anno 1693, daß sie noch spät die kupfernen Kessel bei der großen Tür scheuern mußte, während ihre Herrschaft schon im Bette lag. Und als sie nun eifrig an der Arbeit ist, kommt plötzlich die Gestalt ihres Brotherrn in seinen weißen Unterkleidern und der Schlafhaube aus der neuen Stube hervor und geht quer über die Diele nach dem Kuhstall zu. Das Mädchen wirft erschreckt alles hin und läuft in die Stube, wo sie den Herrn Pastor mit seiner Eheliebsten schon schlafend findet. Als im Februar darauf der Pastor erkrankt, sagt Geche gleich: "Mein Herr kommt nicht davon!" und erzählt den Nachbarn, was sie am Weihnachtsabend gesehen. Es ist aber ihr Pastor am 3. März sanft im Herrn entschlafen.
Die Sagen aller deutschen Landschaften sprechen ähnliches
aus. Wir wollen die Frage noch ganz unerörtert lassen, warum gerade am
Weihnachlsabend sich "die Leiber trennen"; es liegt vorläufig nur
daran, die großen und für uns entscheidenden Linien aufzureißen.
Und da ergibt es sich, daß die erörterte Erscheinung für uns zunächst
als eine mit dem Sterben verbundene sichtbar wird. Die beiden Leiber treten mit
dem Tode auseinander. Es ist ein Teil des Sterbens, oder vielmehr etwas, was
sich allein bei diesem Geschehnis zu bewegen vermag, was den besonderen Zustand
und mit nichts zu vergleichenden, beinahe zauberischen, eines Sterbenden zur
Bedingung hat.
In diesem Zusammenhang ist an die Vorstellung von den
fylgur zu erinnern. "Den Menschen", schreibt Gunnar Landtman über
den Aberglauben der in Finnland wohnenden Schweden, "den Menschen begleitet
ein Geist, der von der Wiege bis zum Grabe ihm folgt, und der in wichtigen
Augenblicken Form und Gestalt von ihm annehmen kann und sich entweder von ihm
selbst oder vor einem guten Freunde oder nahen Verwandten offenbart. Dieses
besondere Überbleibsel des mystischen Zeitalters bezeichnet man als hambel.
Vor allem bei einem plötzlichen Tode kann sich der hambel offenbaren, und
gerade in dem Augenblick, wo der Betreffende seinen Geist aufgibt. Ein jeder
besitzt einen hambel, eine Art Geist in Menschengestalt, der sich bei wichtigen
Gelegenheiten sehen läßt ...".
Hambel hängt wohl
mit hamr = Gestalt und Schemen, Schatten, zusammen, und ist dem vanad oder vard
gleichzusetzen, von dem die Schweden, dem "Vardovl", "Valdojer",
von dem die Norweger zu sagen wissen. Es ist die fülgja der Berichte der
Saga-Zeit. Von diesen Fylgien behaupten unsere Mythologien 29, es seien
Folgegeister, ihren Herren folgende Seelenwesen. Als Folge-Wesen
[19] bezeichnet sie der Name; doch daß sie
Folge-GEISTER seien, das leuchtet nicht recht ein. Mogk schreibt einmal: "Wie
persönlich man sich die Fylgja dachte, zeigt die Erzählung, wo einer über
seine eigene Fylgja stolpert: Fms. III 113 f."
Nichts anderes
erfahren wir aus heutigen Quellen. "Manchen Menschen folgt etwas nach, was
man Vardogel oder Qaldojer nennt. Das läßt sich niemals sehen, aber
dagegen öfters hören. Das gibt mit stampfendem Schreiten vor der Tür
oder mit Ziehen an der Klinke sich zu erkennen, stracks ehe die wirkliche Person
herein kommt, das ist deswegen auch ein sicheres Zeichen seiner Heimkehr, wenn
einer länger von zu Hause fortgewesen ist. - Wenn jemand fortgeht, muß
man hinter ihm die Tür öffnen, damit der Vardovl hinaus und dem
Davongehenden folgen kann. Man pflegt deshalb gewöhnlich auch die Tür
zu öffnen, sobald ein fremder Mensch das Haus verläßt. Wenn sich
ein Mann auf eine Reise begibt, schließt er die Tür nicht hinter
sich; das soll man dann erst tun, wenn er schon unterwegens ist. Dieses Offnen
der Tür nach einem Davongehenden nennt man "se ud", ausschauen. "Und
wenn man hinter einem, der fortgeht, nicht ausschaut', dann kommt er
sicher nicht mehr wieder".
Das mag genügen, denn ich will
hier keine Monographie der Fylgja schreiben, sondern ich will aus allen diesen
Beispielen nur erweisen, daß dies sich in besonderen Zeiten offenbarenden
Wesen kein "Geist", kein Schemen oder Hauch ist, sondern "Leib".
Denn nur ein "Leib" kann durch geschlossene Türen aufgehalten
werden; nur über einen Leib vermag ein Mann zu stolpern. "Geist"
ist hier ebenso falsch, wie es vor zwanzig Jahren zu Unrecht stand, wenn man
ohrfeigende Wiedergänger, wie solche, welche aßen, kämpften,
weinten: Geist oder Seelenwesen anstatt "lebende Leichname" nannte.
Die Fylgja ist ursprünglich nur der zweite Leib, - wie sich auch
daraus weist, daß sie nicht stets und immer, sondern allein in wichtigen
Augenblicken sich zu zeigen pflegt, ganz so, wie man den zweiten Leib allein in
wichtigsten Augenblicken sieht. Und wie der zweite Leib gemeinhin nur beim Tode
sichtbar wird, wie wir vorhin erkannten, daß wenn sich der zweite Leib den
Menschen zeige, das ein sicheres Zeichen des nahen Todes sei, heißt es
hier: wenn man den hambel sehe, bedeute das den baldigen Abschied von der Erde.
Als einst ein Alter von Listerby auf Vardö am Abend nach Hause kam, begegnete er sich selbst; anderthalb Wochen darauf lag er Leiche. Eine Frau sah ihre eigene Leichenprozession, die mit ihrer Leiche aus der Kammer kam; sie starb binnen eines Jahres.
Genau das gleiche lehren schon die alten sogur.
Njal heißt Thord feige, d. h. todgeweiht, weil er die
eigene Fylgja sah (Niala c. 41).
[20] Hinter
dem Fylgja-Glauben steht der Glaube an den zweiten Leib.
So wie die
Sterbenden, besitzen die Menschen zauberischen Vermögens einen zweiten
Leib. Zwar ist nicht deutlich, was in der mecklenburgischen Sage von der am 2.
V. 1688 verbrannten Hexe in Melzin steht, denn der Bericht von ihrer Verbrennung
schließt mit den Worten:
Einer namens Klas Geh, dar grade nicht auf rechten Wegen ging, hat die Alte noch unter einem Birnbaum auf dem Felde gesehen; gleich darauf sieht er sie unter dem Baume als Weihe sitzen. Er ruft ihr zu: "Greit, wo kümmst du her?" Sie erwidert: "Klas, wo kümmst du her?" Er erwidert nichts und geht still seines Wegs, ohne sich umzusehen.
Hier kann es wohl der zweite Leib der Sterbenden sein, den Klas gesehen hat, wenn nicht gar eine Wiedergängerin. Ganz ohne Dunkelheiten ist aber eine friesische Sage vom Lesen im Höllenzwange.
Einem Manne im Butjadingerlande kam durch Zufall, vielleicht durch Kauf, mit anderen Büchern ein altes Buch in die Hände, das er fleißig studierte. Von da an war er ein Doppelgänger. Häufig ward er an mehreren Stellen zugleich gesehen, z. B. als Gast in einem Hause und hei der Arbeit auf dem Felde, oder er trat zweimal hintereinander in ein Zimmer ... (wz Bilokation)
So stellt auch Weßmann seine Doppelgängersagen in das Kapitel "Häxor, trollkarlar, trollkunniga personer, frimurare" wie Kristensen die seinen unter die "Sagn om Hekseri og Djavelsknnster". Und von dem vogtländischen Schwarzkünstler auf Meilitz, Koppy, erzählte man:
da er als Hauptmann in ausländischen Diensten zu Felde lag, haben ihn die Leute gar oft zu gleicher Zeit aus den Fenstern seines Schlosses herausschauen sehen. Vom Hexendoktor Krüger sagte man, daß er "es so machen konnte, daß er an zwei Orten zu gleicher Zeit war". Der Tapper sieht sich selbst im Knieholz stehen.
Dergleichen Sagen sind verhältnismäßig alt. Sie spielen schon in der Literatur zur Hexenfrage eine Rolle, wenn etwa Lercheimer in seinem "Christlich Bedencken von Zauberey" erklärt:
Etliche, die die Richter zu Billigkeit und Gerechtigkeit sollten vermahnen, sind den armen Hexen also aufsätzig, daß wann der Mann von seinem Weibe Zeuge, sie mey die Nacht, da sie beym Tantze sol gewest seyn vnd dort gesehen [21] worden, nie aus dem Bette vnd von seiner Seite kommen; sie dann sagen vnd streitten: im Bett sey ein Gespenst gelegen, der wahre Leib aber sey draußen geweset. Lieber, warum kehret ihr es doch nicht vmb vnd deutet es nicht dem Teuffel, sondern dem Menschen zum Besten, daß der wahre Leib im Bett gelegen, der falsche draußen gewesen sey? (wz Hexenfahrt)
Noch weiter zurück führt eine aus dem Leben des Heiligen Germanus zitierte Legende:
Als der heilige Germanus einst bei einem Gastfreund übernachtete, sah er, daß nach der Abendmahlzeit der Tisch wieder gedeckt wurde. Auf seine Frage, weshalb dies geschehe, erhielt er die Antwort, man wolle einigen guten Männern und Frauen, die des Nachts kommen würden, eine Mahlzeit bereiten. Germanus beschloß, die Nacht zu durchwachen und sah nach einiger Zeit eine Menge Männer und Frauen kommen, welche sich niedersetzten und weder wankten noch wichen. Er fragte seinen Gastfreund, ob er diese Leute kenne, worauf ihm die Entgegnung ward, daß es Nachbarn und Nachbarinnen seien. Als man aber in deren Häusern nachsah, lagen die betreffenden Personen ruhig in ihren Betten, obschon ihre Ebenbilder beim Schmaus gesessen hatten, ihre Ebenbilder, muß man ergänzen, die in der Literatur als Hexen angesprochen worden sind (vgl. Jos. Hansen, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns 1901: 90, 148, 235 usw.).
Damit ist für die letzten tausend Jahre eine Anschauung erwiesen, laut der dem Zauberer neben dem gewöhnlichen ein zweiter Leib gegeben ist. Die Feststellung, daß wie der sterbende Mensch der zaubrische im zweiten Leib erscheine, erlaubt einen Ausblick auf die Beziehungen, die zwischen den beiden Trägern bestehen. Es ist ein signum der zaubrischen Menschen, doppelt zu gehen, das lehrt uns die Sage: so bald der Butjadinger im Höllenzwang liest, wird er an mehreren Orten gleichzeitig gesehen. Hier fügt sich nun eine Vorstellung an, die einen Schritt weiter zu tun gestattet:
In Bockhorn verlangte einmal ein Kranker nach dem heiligen Abendmahl, und da der dortige Pastor krank oder vielleicht auch die Pfarrstelle gerade unbesetzt war, wurde jemand in der Nacht mit einem Wagen nach Zetel geschickt, um den dortigen Pastor zu holen. Der Fuhrmann mußte durch ein Gehölz, und mitten in demselben traf er auf eine Gesellschaft, die unter den Bäumen um einen großen Tisch saß und ein Mahl hielt. Unter der Gesellschaft war auch der Zeteler Pastor. Der Fuhrmann war anfangs unschlüssig, ob er denselben anreden solle, traute aber der Sache doch nicht und fuhr rasch weiter nach Zetel. Bei der Pastorei klopfte er an, ward von der Magd ein- [22] gelassen und fand in der Tat den Prediger zu Hause. Dieser war sogleich zur Fahrt bereit, kleidete sich rasch an und fuhr mit dem Fuhrmann ab. Da erzählte ihm der Fuhrmann, was er gesehen, und der Prediger trieb zum raschen Fahren an, damit er die Gesellschaft und seinen Doppelgänger noch antreffe. Und wirklich war die Gesellschaft noch an dem alten Platze. Der Pastor stieg ab, ging hin und hatte mit seinem Doppelgänger eine Unterredung. Als er zum Wagen zurückkehrte, begleitete jener ihn dahin. Dann ließ der Prediger rasch weiterfahren und erzählte darauf dem Fuhrmann die Ursache, warum er so bei lebendigem Leibe spuken müsse. An seiner geistlichen Amtstracht, erzählte er, sei an einem Sonntage gearbeitet worden; seitdem könnten sie - die Geisier - ihn allenthalben kriegen, wo sie ihn haben wollten.
In einer Parallelsage ist die Erzählung
verteufelt worden, sonst lautet sie ähnlich: der Teufel erscheint in
Gestalt des Pfarrers, weil er am Sonntag sich einen Knopf an seinem Amtsrock hat
annähen lassen. Daß eine Zeit die die Mittelwesen, den Lebenden
Leichnam verteufelt hat, im zweiten Leibe den Teufel erkannte, liegt auf der
Hand, so gut wie man später in ihm einen "Astralleib" hat sehen
wollen. Das ist hier nicht wichtig; wohl aber der Grund, weshalb eins im zweiten
Leib umgehen muß. Er hat eine verbotene Handlung begangen. Er handelte
nicht so, wie die Norm es verlangte. Daß diese pietistische Formulierung
nicht alt sein kann, bedarf keines Beweises; gewiß daß dahinter ein älteres
steht. Hier ist es genug, die Erklärung zu hören, daß
normwidriges Verhalten zum Doppeltgehen bringt. Aus dem alltäglichen,
normalen Geschehen hebt sich nun auch der sterbende Mensch. So gut er zaubrische
Kräfte erlangt, - sein Fluch wie sein Wunsch gehen in Erfüllung, - so
gut sein Blick in die Zukunft dringt, so gut auch hat er den zweiten Leib.
Man
darf nun noch einen Schritt weitergehen. So gut wie dem Sterbenden wird auch dem
Menschen zu zaubrischer Zeit das Vermögen zuteil, daß sich der Leib
in der Weihnachtsnacht "spaltet", ich denke an den
Andreasnacht-Zauber, in dem drei vorwitzige Jungfräulein die Liebsten, die
ihnen beschieden sind zu sich zitieren. Da kommen sie denn im zweiten Leibe; so
wenigstens muß man sie interpretieren, wenn man die Sage recht deuten
will.
Mit alledem ist wohl eins sichtbar geworden, - daß die
Erscheinung im zweiten Leibe den Menschen mit einem zaubrischen Vermögen,
den nicht "gewöhnlichen" Menschen, eignet. Man muß sie von
dort her zu deuten suchen.
Franz Wallner erzählt in "Aus meinem Leben" nach Mitteilungen des Generals von Gerlach, die dieser von Friedrich Wilhelm IV. erhielt:
[23] Der Erzbischof von Uppsala besuchte auf einer Reise durch Deutschland unsern königlichen Hof und hatte die Ehre, von Sr. Majestät zur Tafel gezogen zu werden. Bald kam die Rede auf den maßlosen Aberglauben, welcher jetzt noch in den Lappmarken herrsche, wonach der Glaube an Zauberer und erbliche unheimliche Künste in manchen Familien bis zur Stunde festwurzelt. Der Erzbischof selbst war vor mehreren Jahren von der höchsten Landesbehörde an der Spitze einer Kommission dahin gesandt worden, um dieses wüste irreligiöse Treiben zu untersuchen und mit Ernst auszurotten. Ein Arzt und ein höherer Beamter waren dem Priester zu dieser Mission beigegeben worden.
Bei dem Mangel an Verkehrsmitteln, erzählte der Bischof, war unsere Reise ebenso lang wie beschwehrlich. Der Zweck derselben war nur uns bekannt, und wir nahmen, diesen in ein tiefes Geheimnis hüllend, für unsere Wohnung die Gastfreundschaft eines reichen Mannes in Anspruch, der in dem unheimlichen Rufe stand, über finstere Zaubermittel gebieten zu können. Zu unserer Verwunderung deutete nichts im Äußeren oder im Haushalt desselben darauf hin, diesen Ruf zu begründen. Mit der gewohnten Gastfreundschaftlichkeit der Lappmarken wurden uns von dem Wirt des Hauses, einem offen aussehenden, behäbigen Manne, die besten Zimmer eingeräumt und alles, was Küche und Keller vermochte, aufgeboten, die Gäste zu ehren. Zu unserem Erstaunen aber machte weder unser Gastgeber noch irgendein anderer Mensch im Orte ein Hehl daraus, daß Peter Lärdal, so hieß der Mann, im Besitz übernatürlicher Kräfte, ja geradezu ein Zauberer sei. Am dritten Tag, als wir gemütlich am Frühstückstisch beieinander saßen, brachte ich unter dem Vorwand der Neugierde das Gespräch auf das Thema und fragte Lärdal, ob es ihm nicht unangenehm sei, in solchem Rufe zu stehen. Ein feines Lächeln glitt über die Züge des Mannes. "Was nützt es denn, hochwürdiger Herr Erzbischof, daß Sie mir den Zweck ihrer Frage verbergen wollen. Sie und die Herren sind ja doch nur deshalb da, um die Wahrheit dieses Rufes zu ergründen und mich zur Verantwortung zu ziehen."
"Nun denn", antwortete ich energisch, "wenn Ihr es schon wißt, ja, wir sind hier, um diesen Aberglauben zu zerstören und diesem Unsinn ein Ende zu machen."
"Das mögen Sie halten, wie Sie wollen und können, aber Unsinn, lieber Herr. Unsinn ist die Sache nicht!" antwortete Lärdal mit leichtem Kopfschütteln.
"Was wollen Sie damit sagen?" antwortete ich in strengem Ton.
"Ich will Ihnen den Glauben an die Hand geben. Meine Seele, mein Geist, oder wie Sie es nennen wollen, soll vor Ihren Augen das Haus des Körpers verlassen und sich an einen Ort begeben, den Sie dafür bestimmen werden. Nach der Rückkehr will ich Ihnen Beweise dafür liefern, daß meine Seele in Ihrem Dienst in dem von Ihnen bezeichneten Platz gewesen ist. Wollen Sie diese Überzeugung haben?"
Die widerstrebendsten Empfindungen, fuhr der Erzbischof fort, bemächtigten sich meiner. Furcht vor dem Bewußtsein, zu dem frevelhaften Spiel mit dem Heiligsten meine Hand zu bieten, der Wunsch, einem etwaigen Betrug auf die Spur zu kommen und ihn zu entlarven, und heftige Neugierde, zu erfahren, [24] wie der schlichte Mann sein Wort lösen werde, kämpften mit mir. Letztere, das Erbteil aller Evakinder, trug den Sieg davon. Ich willigte in den Vorschlag und trug Lärdal auf, seine Seele in mein Haus zu senden, nur zu sagen, was in diesem Augenblick meine Frau beginne, und die Beweise für seine Anwesenheit daselbst zu liefern. Es versteht sich von selbst, daß meine Reisegefährten, von noch brennenderer Neugierde beseelt als ich, mit meinem Tun völlig einverstanden waren.
"Nun wohl, Ihr Herren", sprach Lärdai, "gönnen Sie mir eine Viertelstunde Zeit zu meinen Vorbereitungen." - Kaum waren diese verflossen, so erschien unser Hausherr wieder, in der Hand eine Pfanne mit trockenen Kräutern tragend. "Ihr Herren", fuhr er fort, "ich werde diese Kräuter anzünden und ihren Dampf einatmen. Hüten Sie sich aber, meine Herren, in diesem Zustande Versuche zu meiner Wiederbelebung zu machen oder mich nur zu berühren. Der Erfolg wäre mein sicherer Tod, denn in wenig Minuten wird mein Geist aus dem Körper entweichen und alle Anzeichen des Todes werden an diesem sichtbar werden. In einer Stunde wird mein Körper sich von selbst wiederbeleben und Ihnen Nachricht aus der Heimat bringen."
Nach einer unheimlichen Pause, während welcher keiner von uns ein Wort der Entgegnung finden konnte, setzte der Zauberer die trockenen Kräuter in Brand und hielt seinen Kopf über den übelriecheoden narkotischen Dampf derselben. In wenigen Minuten bedeckte Leichenblässe sein Gesicht, der Körper fiel nach kurzen Zuckungen in den Lehnstuhl, in welchem jene Prozedur vorgenommen wurde, zurück und lag regungslos, in allem einem Toten gleichend, da. "Um Gottes Willen", rief der Arzt entsetzt aus, "der Mensch scheint sich vergiftet zu haben, er stirbt wirklich, wenn man ihm nicht schnelle Hilfe bringt!"
Ich mußte ihn mit Gewalt zurückhalten, ehe er seinen Vorsatz ausführen und sich auf den Bewußtlosen stürzen konnte.
"Haben Sie vergessen, daß der Unglückliche uns beschwor, in dem jetzt eingetretenen Fall den Körper nicht zu berühren, wenn wir ihn nicht wirklich töten wollten? Haben wir gegen unser Gewissen unsere Einwilligung zu dem unheimlichen Experiment gegeben, so müssen wir auch den Erfolg abwarten."
Nach einer in atemloser Spannung verlebten endlosen Stunde kehrte langsam, aber ersichtlich die Farbe des Lebens wieder auf die Wangen des Entseelten zurück, die Brust hob sich unter stürmischen Schlägen, die nach und nach in ein regelmäßiges Atemholen übergingen. Bald darauf wendete er sich mit den Worten an mich: "Ihre Frau ist in diesem Augenblick in der Küche."
"Jawohl", entgegnete lächelnd der Arzt, "um diese Stunde pflegen, wie Sie wohl wissen, alle Frauen bei uns in der Küche zu sein." Ohne diesen ungläubigen Einwand einer Entgegnung zu würdigen, beschrieb mir Lärdal meine Wohnung und Küchenräume, die er meines Wissens nie betreten haben konnte, mit allen Details mit peinlichster Gewissenhaftigkeit. "Zum Beweis, daß ich wirklich dort war", schloß er seinen Bericht, "habe ich den Ehering Ihrer Frau, den dieselbe bei der Zubereitung einer Speise vom Finger streifte, auf dem Grund des Kohlenkorbes versteckt."
[25] Ich schrieb sofort, es war am 28. Mai, nach Hause und fragte meine Frau, was sie um elf Uhr an diesem Tage gemacht habe. Ich bat sie, ihr Gedächtnis recht genau zu prüfen und mir recht sorgfältig Bericht abzustatten. Nach vierzehn Tagen, so lange brauchte bei den schlechten Verbindungswegen der Brief und die Antwort Zeit, schrieb mir meine Frau, sie wäre am 28. Mai um diese Zeit mit der Zubereitung einer Mehlspeise beschäftigt gewesen. Es wäre ihr der Tag deshalb unvergeßlich, weil an demselben Tag ihr Trauring verlorengegangen wäre, den sie kurz vorher am Finger gehabt habe, und den sie trotz alles Suchens nicht habe wiederfinden können. Wahrscheinlich habe ihn ein Mann entwendet, der sich in der Kleidung eines wohlhabenden Bewohners der Lappenmarken einen Augenblick in der Küche gezeigt, aber, als er um sein Begehren gefragt worden sei, sich wortlos wieder entfernt habe.
Der Trauring fand sich in der Küche des Erzbischofs im Kohlenkorb wieder vor.
An dieser Geschichte interessiert weiter nichts, als das Erscheinen des zweiten Leibes: denn "zweiten Leib" wird mans wohl nennen müssen. Gewiß ist ein Unterschied da; von den zwei Leibern liegt hier der eine "wie tot" an der Erde, während der andere ausreist und handelt; die Sagen vorhin bezeugten zwei Leiber, die alle beide als "handelnd" auftraten. Aber schon in den Sagen von Sterbenden erscheint ein der lappischen ganz ähnlicher Typ, da liegt der erste Leib "halbtot" im Bette, während der zweite sich handelnd erweist, und wenn eine hellenistische Sage behauptet, man habe Pythagoras zu gleicher Zeit in Metapont und Tauromenien gesehen, ähnlich wie Apollonius von Tyrana, wenn also von hellenistischen Wunderpriestern mit schamanistischen Zügen das gilt, daß sie den zweiten Leib abspalten können, dann haben wir einen ganz eindeutigen Beweis, daß beide Typen zusammen gehören. Doch wieder auf lappische Zauberer zu kommen, schon Saxo in der Historia Danica lib. VII weiß um sie:
Wenn ein Fremder das Befinden seiner Feinde oder Freunde zu wissen wünscht, auch wenn er fünfhundert oder tausend Meilen weit von ihnen entfernt ist, so bittet er einen in dieser Kunst erfahrenen Lappen oder Finnen, welchem er ein leinenes Kleid oder einen Bogen schenkt, daß er erforsche, wo seine Freunde oder Feinde sind und was sie treiben. Darauf begibt sich dieser, nur von seiner Frau begleitet, in sein Gemach und schlägt mit einem Hammer einen ehernen Frosch oder Schlange auf einem Amboß mit vorgeschriebenen Schlägen und wälzt ihn durch das Murmeln von Zauberformeln hin und her. Er fällt rasch in Ekstase und liegt binnen kurzem wie tot da; Während derselben wird er von seiner Begleiterin auf das Sorgfältigste überwacht, daß kein lebendiges Wesen, nicht einmal eine Fliege oder Mücke, ihn berühre. Durch die Kraft des Zauberliedes wird der Geist desselben vom Teufel fortgeführt und bringt als Zeichen seiner überbrachten Botschaft und [26] ausgerichteten Auftrags aus der Ferne einen Ring oder ein Messer als Zeichen mit, worauf er aufsteht und das Zeichen seinem Auftraggeber übergibt, dem er auch die gewünschten Aufschlüsse erteilt.
Der Zauberer, der einen Ring als Zeichen weist, muß, während er tot am Boden lag, mit seinem zweiten Leibe an dem entfernten Ort gewesen sein; wird dieser zweite Leib hier auch als ein vom Teufel fortgeführter Geist bezeichnet. Ganz ähnlich teilt Olaus Magnus in der Historia gent. septentr. lib III cap. 18 mit, und auch von Johann Frischius ist in den "Ruhestunden" nach A. Braskius Historia Norwegiae ein solcher Bericht gegeben worden:
Ein Lübecker Fischer kam in Bergen mit einem Lappländer in ein Gespräch über Zauberei, worin sich dieser rühmte, daß er seinen Geist in ferne Länder senden und von dort Nachrichten bringen könnte. Er begehrte deshalb eine Probe von ihm, daß er nämlich diese Stunde ihm Zeitung bringen sollte, was seine Frau in Lübeck täte. Der Lappe machte sich alsobald fertig zur Reise, brachte nach wenigen Stunden die Zeitung, daß er zu Lübeck bei seiner Frau gewesen, und zum Wahrzeichen derselben ein Messer mitbrachte und sagte, daß sie mit demselben damals Brot geschnitten, solches in eine Weinkanne getan, um das Hochzeitsmahl von einem seiner Blutsverwandten zu bereiten. Beschrieb auch die Gestalt und Kleider des Bräutigams, der Braut und der Eingeladenen so eigentlich, daß der Schiffer sehr bestürzt war, und hiernach alles gänzlich also befand. Unterdessen hatte der Lappe gleich als tot zur Erde gelegen.
Eine ähnliche Begebenheit berichtet Johann
Scheffer (Kurtzer Bericht von der Lappländer Zauberkunst,
1697, 26) von einem Lübecker Kaufmannsdiener Johann Dolling, dem der
Finnlappe Jacob Smaosvend, nachdem er eine Weile im Kreis herumgetanzt hatte und
wie tot zur Erde gefallen war, Nachrichten vom Befinden seines in Lübeck
weilenden Herrn gebracht habe. Die Begebenheit soll im Buch der Hanse zu Bergen
verzeichnet worden sein.
Hier haben wir, nicht mehr nur in der Sage,
sondern "im Leben" den zweiten Leib. Der lappische Zauberer kann
doppelt gehen.
Was hinter dieser Vorstellung steht, herauszuarbeiten,
ist sicher verlockend und für die lappische Kultur auch längst
sichtbar. Es ist ein typischer Schamanenbericht, das lehren uns schon die
Eskimosagen, wie die der Osteskimo von Baffinsland:
Ein mächtiger Angakoq (Schamane), der einen Bären als Tornaq (Schutzgeist) besaß, beschloß einst, den Mond zu besuchen. Er setzte sich in den Hintergrund seiner Hütte, den Lampen, die ausgelöscht waren, den Rücken zukehrend; seine Hände waren zusammengebunden, und ein Strick lief ihm um Knie und Hals. So vorbereitet, rief er seinen Tornaq herbei, der ihn rasch durch die Lüfte trug und zum Monde brachte. Er sah, daß der Mond ein Haus war, sauber bedeckt mit weißen Rentierfellen, die der Mann im Monde in der Nähe zu trocknen pflegte. (... Die einzelnen Erlebnisse interessieren hier nicht, bis auf [27] den Schluß. ... ) Er ward gastfreundlch von dem Mann im Monde aufgenommen. Dieser zeigte ihm das ganze Haus und ließ ihn auch einen Blick in einen kleinen Anbau nahe dem Eingang tun. Da sah er große Herden von Rentieren, die dem Anschein nach über weite Ebenen schweiften. Der Mann im Monde gestattete ihm, sich ein Tier auszusuchen, das sogleich durch eine Öffnung auf die Erde hinabfiel ... Schließlich entließ der Mann im Monde ihn, und sein Tornaq trug ihn mit derselben Schnelligkeit, mit der er zum Himmel aufgestiegen war, wieder zu seiner Hütte zurück. Während seines Besuches beim Monde hatte sein Körper unbeweglich und unbeseelt dagelegen (wz ein weiteres Beispiel für Katalepsie), nun aber erwachte er wieder zum Leben. Die Stricke, mit denen seine Hände gebunden waren, fielen zu Boden, obwohl sie zu festen Knoten geschürzt waren. Der Angakoq war völlig erschöpft; erst als die Lampen wieder angezündet waren, konnte er den aufmerksam lauschenden Männern von seinen Abenteuern beim Flug zum Monde berichten.
Da haben wir den schamanisierenden Zauberer
mitsamt einer Reise des zweiten Leibes, während der erste wie tot liegen
bleibt; wir haben das "Mitbringsel", ein Rentier vom Monde, nur daß
der Bericht nicht ausdrücklich angibt, es sei den Zuschauern vorgestellt
worden. Die Vorstellung vom zweiten Leib geht bei den Völkern, die
schamanisieren, auf Erlebnisse zurück, die ein Schamane im Trance-Zustand
hatte.
Im zweiten Leib gehen auch die Subachen. Subachen sind eine Art
Vampirmenschen, von denen die westafrikanischen Neger erzählen. "Frobenius
wie auch Teßmann bezeichnen als ein Grundelement der Anschauung die Fähigkeit
des Menschen, das eigene Lebenswesen (nicht Seele) zeitweilig vom Körper
abspalten zu können. Der Körper liegt schlafend in der Hütte, während
das Lebenswesen auf Wanderung und zu schädlicher Unternehmung auszieht".
Die Unternehmung besteht nur darin, ein Opfer zu fressen oder das Blut
auszusaugen.
Friedrich in seinen "Afrikanischen Priestertümern"
hat eingehend den Subachismus besprochen; ich darf hier durchaus auf ihn
verweisen, denn es gibt keine bessere Darstellung und keine reichhaltigere
Belegesammlung. Ich glaube auch, daß er ganz richtig sah, wenn er zum
Schluß sagt: "Man muß .... beobachten, daß den Subachen
jeder sakrale Schimmer fehlt. Niemals wird man um sie die Spuren einer alten
Verehrung oder eines Kultes entdecken können." Und weiter: "Ein
Subache ist das aus dem schlafend daliegenden Körper eines entsprechend
[28] befähigten Menschen enteilte Lebenswesen. Die
Anschauung, daß der Mensch sein Lebenswesen aussenden kann, während
der Körper zurückbleibt, ist die Basis der Subachenvorstellung."
Es sind also entsprechend befähigte Menschen, - die Außergewöhnlichen
in unseren Sagen, - die ein reales Lebenswesen aussenden. Friedrich fährt
fort: "Das ausziehende Lebenswesen hat oft Tier- oder Vogelgestalt; es
leuchtet feurigrot: - Züge, die den Subachismus in enge Verbindung mit den
Geistervorstellungen der Tier-Jägerwelt bringen", das heißt,
einer sehr frühen Jägerkultur".
Damit nun ist uns ein
Ort angegeben, von wo die zweite Leib-Vorstellung entspringt. Wir finden sie
hier als frühjägerkulturlich; die Eskimo- ist eine Jägerkultur,
und es darf nun wohl auf eine Bemerkung, die Sternberg gemacht hat, verwiesen
werden. Er sagt über das Bärenfest der Giljaken: "Der Bär
wird von den Giljaken nur getötet, wenn er selbst es will. Er verliert
dabei nur sein Fell, bleibt unversehrt. Seine Knochen werden in einem Ehrengebäude
niedergelegt. Der Bär läuft dann fröhlich zum "Herrn"
des höchsten Berges, der den Giljaken das Wild schickt". Friedrich fügt
zu: "Hier wird uns als der eigentliche Bär sogar das vom Körper
befreite Wesen vorgestellt". Ohne den Folgerungen Friedrichs nachzugehen,
darf man doch sagen, daß damit der Bär als ein zweileibiges Wesen
erscheint.
Der zweite Leib scheint aus der Jägerkultur und einer
ihr eigenen Denkwelt zu stammen.
Die Jägerkultur ist nicht nur bei
Negern und nordsibirischen Volksstämmen zu finden, auch unsere Vorzeit hat
an ihr teil. Das lehren uns, sicherer als Scherben und Knochen, die jägerkulturlichen
Nachklänge im Glauben und ihre Spiegelung in Sage und Brauch. "Thors
Bockschlachten" galt längst schon als jägerkulturlich, und
Hammarstedt hat den "Fastnachtsbären" und "Brautlaufbären"
aus ihr abgeleitet; - das alles erlaubt uns bereits den Schluß, daß
unsere Frühzeit jägerkulturlich und derjenigen der anderen verwandt
sein muß.
Verwandt, - jedoch nicht vollkommen gleich. Verwandt,
so wie die Ackerbauvölker in ihrem Denken verwandt sein müssen, und
ihre Anschauungen sich doch nicht decken. Verwandt, weil die Bedingungen des
Lebens: das Wald, der Jagdort, die Art des Jagens, zu nämlichen Denkakten
und Schlüssen führen, weil der Kulturgrund das zeugen muß, was
wir als Kulturgedanken bezeichnen, - und die Kulturäußerungen aus
[29] diesem erwachsen. Kein Jäger kann denken wie
Bauern denken und Glaube und Brauchtum des Bauern gebrauchen; sein Glaube und
Brauchtum ist das eines Jägers, ob dieses sein Jagen in der Taiga, ob es im
tropischen Urwalde geschieht, - ob in dem Urstromwaldstreifen Europas.
Uns
wird ja nun auch eine Jägerkultur aus vorgeschichtlichen Fundresten bestätigt,
eine des Mesolithicums über ganz Deutschland, und die der neolithischen
Schnurkeramik, die für das Problem des jägerlichen Denkens ein
klassisches Zeugnis im Schmuck der Steinkiste von Göhlitzsch im
Merseburgischen beigebracht hat.
Die Jägerkultur denkt den zweiten
Leib.
Aber, so wurde vorhin schon gesagt, das Denken der dieser Kultur
hörigen Stämme sei sich verwandt, doch nicht völlig gleich. Schon
unser Material lehrt das erkennen. Die Mittelafrikaner und die Nordasiaten haben
die Vorstellung vom zweiten Leib, aber die einen schreiben ihn Blutsaugern, die
andern schamanischen Zauberern zu. Wir dürfen deshalb von vornherein
glauben, daß auch die mitteleuropäische Jägerkultur, die wir
erschlossen, dem Zweiten Leibe eine besondere Wirklichkeit gab.
Der
lappische Schamane ist von den Schamanen der cirkumpolaren Völker nicht
unterschieden; auch er erzeugt einen ekstatischen Zustand, "der, wie man wähnte,
die Möglichkeit gab, in die Geisterwelt einzudringen und sie zu
beeinflussen", so wie es die Eskimosage berichtet. In den Berichten seit
Olaus und Saxo ist aber von einem ganz Anderen die Rede; da wird der Schamane in
eine Welt, die diesseits und irdisch ist, ausgesendet, - und wird gesandt, um
Verborgenes zu "sehen". Das ist ein dem Lappischen fremder Gedanke.
Ein Überblättern der lappischen Sagen, die Qvigstad und Friis und
Lindholm sammelten, läßt nirgend ein diesem Entsprechendes bemerken.
Das muß demnach eine Umformung des Gutes im Munde germanischer Erzähler
sein. Ist dieser Schluß richtig, dann sagt er entweder, daß die
Berichte nachgeformt wurden denjenigen Berichten, die man schon hatte, oder daß
sie "zurechtgedacht" wurden entsprechend den Notwendigkeiten
germanischen Denkens. In beiden Fällen hieße das aber, daß man
die Ausreise im zweiten Leib als einen Versuch nimmt, den man macht, um in das
Verborgene, die Zukunft zu schauen. Das Abspalten und Aussenden des zweitess
Leibes, - nicht um in die Dämonenwelt einzudringen und dort etwas zu fördern
und zu bewirken, wie es die arktischen Schamanen [30] tun; nicht um als
Blutsauger ausschweifen zu können, wie es die negerischen Jäger sich
denken, - sondern um in das Kommende zu lugen, und das Verborgene sich auftun zu
können, d a s triebe und lockte germanische Völker. (Wobei
ich wohl weiß, daß die Jägerkultur nur noch als Substrat im
Germanischen lebt.)
Nun denke ich, daß wir schon
deutlicher sehen. In Mittelafrika, bei den Cirkumpolaren wie in den Sagen
germanischer Völker eignet der zweite Leib zaubrischen Menschen: Hexen und
Schwarzkünstlern, Schamanen, Vampiren. Und dieser Leib löst sich zu
zaubrischen Zeiten, wie wir schon sahen, vom andern ab. In der Andreasnacht kann
die Magd den zweiten Leib eines Mannes zu sich zwingen. Der Mensch sieht, was er
zukünftig erst weiß, - und sieht es zumeist mit zaubrischen Mitteln.
Ich
habe vorhin schon die Stelle gewiesen, an der sich ein zweiter Kreis abgezweigt
hat: der zweite Leib des sterbenden Menschen. Der Sterbende ist voll zaubrischer
Kräfte, die Sterbe- ist eine zaubrische Stunde. Wir fanden bereits den
gemeinsamen Ort. Jetzt dürfen wir feststellen, daß sicher der
Zauberer der ältere, der Sterbende der jüngere Eigner war, der einen
zweiten Leib aussenden konnte, - denn in den Jägerkulturen wird uns nirgend
vom zweiten Leib des Sterbenden gesprochen.
Eins aber tritt nun ganz
deutlich zutage. An zaubrischen wie an den sterbenden Menschen haftet in unseren
Nachrichten der Zug, daß ihr Sich-Erweisen im zweiten Leibe die Zukunft
auftue oder vorbedeute. Damit ist dieser Zug also alt und schon für die
erstere Vorstellung erwiesen, - er ist den germanischen Formen der Anschauung,
die über den zweiten Leib herrschen, eigentümlich und nicht erst im
Lauf der Zeit aufgetreten.
Ist damit so etwas wie eine Entwicklung und
ein Beginn des Gedankens erschlossen, der aus der Jägerkultur zu uns kam,
und der, seit die Germanen ihn haben, von zukunftsvorbedeutendem Charakter
erscheint, so ist gewiß nicht not, zu versichern, wie viel hier im
Einzelnen noch festzustellen, wie viel zu verbessern noch übrig bleibt.
Doch noch ein zweiter Gang sei erlaubt.
Wenn
ich versucht habe, die seltsame Vorstellung auf die Erlebnisse Schamanisierender
in jägerkulturlicher Zeit zurückzuführen, so ist wohl noch
notwendig, den Weg anzudeuten, welcher von dort zu den Volkssagen führt,
mit deren Erörterung wir heute begannen. Sowohl den Schamanen der ugrischen
Völker wie den der Cirkumpolaren und die Subachen verläßt ihr
zweiter Leib während des Schlafes; "sie liegen wie schlafend'
oder wie tot'. Das gleiche gilt aber auch noch von [31] den Hexen, welche
der hl. Germanus belauscht, und die uns in Lercheimers Polemik begegnen; ihr
erster Leib liegt schlafend im Bette, während der zweite den Sabbath
besucht. Wie diese Darlegungen nach rückwärts weisen, so weisen sie
gleichermaßen nach vorn: d i e Zauberer sind von der Art u n s e r e r
Zauberer. Und es ist nur noch ein weiterer Schritt, daß sich die
Eigenschaft auch am wachenden, nicht nur am "schlafenden" Zauberer
erweist. Er scheint bei den Trobiand schon getan, von denen uns Malinowski
berichtet; die spätere Volkssage trieb ihn noch weiter, indem sie den
vorigen Zug beinah vergaß. Das, was wir oben schon feststellen konnten, daß
unsere zweite Leib-Sagen von zaubrischen Menschen ursprünglicher seien als
die von Sterbenden, das zeigt sich hier nochmals in anderer Verbindung, und
hilft ihre ganze Entwicklung aufhellen, die Schritt für Schritt von den
Anschauungen der Jäger zu denen der Pflanzer führte, zu Hexenwesen,
von denen die Trobiand sich erzählten, bis zu den Hexen des Mittelalters,
und weiter zu Zanberern, beinah schamanistischen, wie die der hellenistischen
Erzählungen, bis zu unseren Schwarzkünstlern, und bis zu den Menschen,
die eine "zaubrische Stunde" schlägt. Es ist eine Anschauung, nur
wie ein Lichtstrahl, im Prisma des Ablaufs mehrerer Kulturen und ihrer
Bedingungen, vielfältig gebrochen.
Dem muß man nun aber noch
eines zufügen. Der zweite Leib des lappischen Schamanen ist ein aktives,
gewolltes Erlebnis; der zweite Leib der Schwarzkünstler und Hexen, der
sterbenden Menschen erscheint in den Sagen als eine fast zufällige
Eigenschaft. Tritt hier eine germanische Sonderform oder nur eine Fortbildung
zutage? Man wird wohl das zweite annehmen müssen; es ist nicht gut möglich,
daß Nebensächliches sich viele Jahrhunderte lebendig erhielte. Wohl
aber ist möglich, daß eine Vorstellung, die ihre geistigen Wurzeln
verliert, allmählich herabsinkt zum Nebenmotiv. Denn daß sie latent
noch vorhanden ist, - und das will heißen, daß sie nicht fehlt,
sondern nur überdeckt worden ist, - das lehrt uns die folgende Überlegung:
As min Grotvader noch leben dö, ik bün wul so'n Jung weß von 'n Jahrer twölf, do dreeven wi mal de Köh den Weg rop von de Furt an de Eider.
Dar harren de Fockbeker vör Tieden en Ladstell. Do mit 'n Mal fat min Grotvader mi an den Arm un treckt mi an de Sied. "Komm, min Jung", seggt he, "du fallst sons noch." Na 'n paar Dag versüppt sik dar en jung Kerl in dc Eider. Se treckt de Liek dar bi dc Furt ut dat Water un drägt er dar den Weg rop, wo wi mit de Köh lank drieven dön. Dat harr min Grotvader seim, hat bett he mi nösen mennigtnal verteilt. Un wenn ik em fragen dö, warum [32] as he mi bi den Arm anfat harr, denn sä he: "Du weerst süns öwer de Liek röwer kamen und weerst fulln".
Und dieser Sage tritt eine zur Seite, die uns die Frage noch deutlicher macht:
En Fru ut Bönhusen is tosam mit en jung Deern na Kiel to Wochenmarkt. As se abends trüch gaht, seggt de Fru mit eens: "Komm weg, lütt Deernl" Aber dc deit dat ni, un do fangt se an to dammeln un to stöltern, im toletz fallt se hen. "Heff ik di dat iii seggt?" De Deern steiht gau wedder op un fragt biesterig: "Wut is dat weB?" "En Liekentog." - "Wo kann ich dar öwer falb?" - "Ja, säh, eerst perrst du na den Dießel rop; de sleit hen un her, un so kämmst du in't Dammeln. Denn kämmst du na den Wagen rop im öwer't Sarg, un so as dat to Enn is, faust du von'n Wagen".
Das sagt hier nicht mehr vom zweiten Leib, das
meint eine zweite Wirklichkeit, die in und mit d i e s e r Wirklichkeit ist.
Ganz
deutlich wird das an den "Vorgeschichten", die man als "Vorbrennen"
bezeichnet hat. Da sieht man ein Haus, das im Dorf noch steht, in Feuer
aufgehen; man könnte sagen, es sei eine Halluzination und sonst nichts,
aber
na Mörel is mal de Kaspelvagt ut Nordörp kamen. Do säht he, dat dar en Burnhus brennt, de Löchen slat hell ut dat Dack rut. He springt von sin'n Wagen raff un befühlt dat Hus, un do is dat Fackwark ganz warm.
das Haus steht wie immer da, denn es brennt nur
im zweiten Gesicht. Das Fachwerk, die Ständer des Hauses sind warm, als sei
der spätere Brand schon in ihnen, die kommende Wirklichkeit in der
heutigen.
Ich will den Gedanken nicht weiter verfolgen, denn es erhellt
schon, daß derlei Vorstellungen die Wurzel der Zweiten Gesicht-Sagen sein
müssen. Die Zweite Gesicht-Sagen spielen ja meistens ein ganzes Geschehnis
vor, - nicht nur den Menschen, dem es, an dem es später geschieht.
Man
kann nun zwei große Gruppen feststellen. Die eine, in der sich dem Seher
und Schichter das Zukünftige in zweiter Wirklichkeit weist, wie es unzähligen
Schichtern geschah:
Ein Bauer aus Husen kam vom Bahnhof Kurl vom letzten Abendzuge. Als er seinen Hof betrat, sah er vor dem Hause einen Schreiner, der damit beschäftigt war, einen Sarg anzustreichen. Der Bauer stutzte, blieb stehen und beobachtete, daß der Schreiner bei seiner Arbeit eine Mutzpfeife aus Ton rauchte. Nach wenigen Augenblicken waren Schreiner und Sarg verschwunden. Drei Wochen später trat auf dem Hof ein Todesfall ein. Nun wurde das Vor- [33] gesicht Wirklichkeit: es wurde in genau derselben Weise utgedoen, wie es sich deno Bauern vorher gezeigt hatte.
Daß diese Folge von einzelnen "Geschehen", welche der Schichter sieht, "Wirklichkeit" sind, nicht nur ein "Film" von einzelnen Bildern, das geht aus der Bönhusener Sage hervor. Auch eine Braunschweiger läßt es verstehen:
In Harderode lebten zwei Brüder, von denen auch einer das zweite Gesicht hatte. Eines Abends hatten die beiden die Pferde nach der Weide gebracht und waren auf dem Heimwege begriffen. Sie hatten eben einen Hohlweg erreicht, der nach dem Kirchhofe führte, als der Geisterseher seinen Bruder aufforderte, dicht an die Böschung heranzukommen, da es da unten zu schmutzig sei. Dieser wollte jedoch nicht. Nach etwa zwanzig Schritten war es ihm aber gerade, als ob er plötzlich zwischen lauter Steine und Malterholzstücke zu sitzen käme. Immer lag er in den Knien, rannte sich und sah doch nichts. Alles Schelten und Fluchen war vergebens. Der Geisterseher, der still an der Böschung stehen geblieben war, sah stieren Auges in den Hohlweg hinab. Als sie wieder im Hause waren, fragte der Seher seinen Bruder, ob er denn vorhin gar nichts bemerkt habe. "Nein", antwortete jener, "gesehen nichts, aber gefühlt desto mehr. Es hat da im Hohlwege wahrscheinlich einer Holz oder Steine verloren. Ich kam nicht gerade schlecht dazwischen zu sitzen" - "Nein", entgegnete ihm der Bruder, "du bist in einen Leichenzug hineingeraten, und als du am schlimmsten fluchtest, stießest du gerade gegen den Pastor".
Ich brauche Gesagtes nicht zu wiederholen. Aber ich will der Sage eine andere aus dem Graubündischen an die Seite stellen:
Es soll einem nachts um die Zwölfe ein großer Leichenzug begegnen, voran die Träger mit dem Sarge. Der Trauerzug beginnt bei dem Hause der Person, die bald sterben wird, und fährt bis auf den Kirchhof, und dieses nächtliche Leichengefolge ist das Totenvolk. (wz // wilde Jagd)
Der Unterschied dieser Graubündener Sage zu einer der vorigen ist unbedeutend, so unbedeutend, daß man versucht, die Graubündner unter die andern zu mischen. Aber dann heißt es dort wiederum:
Als die Pest in Tomils wütete, hörte der Meßmer in einer Nacht ein Geräusch, als ob eine Prozession durchs Dorf ziehe. Schnell stand er auf, um nachzusehen, was los sei. Schon war der Zug bis zu seinem Hause angelangt, und so schlüpfte er in der Eile nur in ein Hosenbein und eilte ans Fenster. Da sah er das Totenvolk vorbeiziehen, dumpf murmelnd, darunter viele Bewohner von Tomils, welche noch lebten. Zuletzt kam er selbst. Er sah als letztes im Zuge einen Mann, welcher nur in ein Hosenbein geschlüpft war und die Hose mit beiden Händen hielt. Er deutete die Sache nun so, daß er der letzte sei, der an der Pest sterbe, dann werde sie aufhören. So war es auch. [34] Alle noch Lebenden, welche er im Totenzuge gesehen, starben; er war der letzte.
"Darunter viele Bewohner, die noch lebten",
- demnach sind alle anderen in dem Zug Tote, so wie sein Name sagt. Es ist ein
Zug der Toten. In diesem Zuge sieht man solche, die noch leben; die Seele, der
zweite Leib, wie immer man es nennt, der Geist des nächsten Sterbenden
sucht die Schar der Toten auf. Und auch der Meßmer mit dem einen
Hosenbeine schließt sich an. D a s aber ist das Entscheidende: er geht mit
den Toten, wie er in diesem Augenblicke ist und aussieht. Er nimmt vorweg, was
sich in Zukunft erst ereignen soll, daß er ein Toter in der Schar der
Toten ist, und tritt in seiner g e g e n w ä r t i g e n Verfassung in die
Schar. Die sich im zweiten Gesichte selbst als Tote sehen, die sich an einem
Leichenzuge, einem Fest teilnehmen sehen, sehen sich, so wie sie später auf
der Bahre liegen werden, sehen sich in der Begräbnistracht, in der sie später
gehen. Die zweite Wirklichkeit ist die zukünftige Wirklichkeit. Das hier
ist keine Wirklichkeit, es ist der Zug der Toten, - an diesem Zuge nimmt der
Lebende im "zweiten Leibe" teil.
Wenn man den Zug der Toten,
wie das Volk es tut, als existent bezeichnet und ihn "wirklich" nennt,
auch dann ist, was hier steht, noch nicht die zweite Wirklichkeit, denn sie
mischt ja in jene ein ganz Gegenwärtiges. Niemals wird jener Meßmer,
nur mit einem Hosenbein bekleidet, im Totenvolk gehen; denn wenn er ihm gehört,
dann wird er wie die andern seine Sterbekleider tragen.
Das alles
lehrt, wie tief verschieden alle diese Sagen von denen sind, die man in
Niedersachsen sich erzählt. Hier ist die Zukunft in das Gegenwärtige
eingeschlossen, indes man in Graubünden Gegenwärtiges in die Zukunft
sieht.
Ich habe als erstes den Begriff vom zweiten Leib
entwickelt. Die Vorstellung von ihm ist, wie ich zeigte, weit verbreitet. Aus
ihr, die viele verschiedenartige Ausformungen erlangte, erwuchs am Ende die von
einer zweiten Wirklichkeit. Die zweite Wirklichkeit ist die im zweiten Gesicht
gesehene.
In diesen Ergebnissen liegt kein Widerstreit zu denen
Schmeings. ich leugne nicht, daß Schichter, mit dem zweiten Gesicht
Behaftete, Eidetiker sind. Nur reicht nicht aus, daß man das zweite
Gesicht eidetisches Sehen nennt und es vom Äußeren, Physiologischen
her erklären will. Die Formulierungen treffen die geistigen Hintergründe
nicht. 'Was der Eidetiker sieht, sind Bilder. Es ist nötig, daß man
den "Film" als [35] eine zweite Wirklichkeit
begreift; erst so wird, was er sieht, zu einem zweiten Gesicht. Wo aber das
Wissen um die zweite Wirklichkeit nicht existiert, da gibt es auch kein zweites
Gesicht und keine "Vorgeschichte".
Da es im ganzen deutschen
Reich Eidetiker gibt, so müßte man auch im ganzen deutschen
Reichsbezirk auf Schichter, das ist mit dem zweiten Gesicht Begabte, stoßen.
Das ist, wie Schmeings oder meine Karte dartut, nicht der Fall. Das zweite
Gesicht ist also mehr als nur eidetisches Sehen.
Mit diesem Versuch,
die Untersuchung unserer Sagen aus dem rein Psychologischen, Rationalistischen
heraus und in die geistesgeschichtlichen Bezirke zu verweisen, will ich schließen.
Man wird, von rationalistischer Basis ausgehend, nur erklären können,
was in der rationalistischen Welt entstanden ist, die "mythischen"
Bezirke fordern einen mythischen Grund.
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Peuckert
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